Der IS duldet keine anderen Religionen

Die Ungläubigen müssen sterben

Der IS vertreibt und ermordet systematisch alle religiösen Minderheiten in seinem Einflussgebiet. Yezidische Politiker fordern weitere Unterstützung.

Bereits mit der Eroberung Mossuls durch die inzwischen in »Islamischer Staat« (IS) umbenannte Isis war klar, dass die religiösen Minderheiten in der Umgebung von Mossul gefährdet sind. Die Provinz Ninive war bis zu diesem Zeitpunkt eine religiös vielfältige Provinz des Irak. In unmittelbarer Nähe der sunnitisch-arabischen Hochburg Mossul lebten große yezidische, christliche und schiitische Minderheiten, außerdem Angehörige einer schiitischen Heterodoxie, die sogenannten Schabak.
Die Angehörigen der synkretistischen Religion der Yezidi stellten im Irak in zwei Regionen westlich und östlich von Mossul die Mehrheit. Über Jahrhunderte wurden sie von Muslimen und Christen als »Teufelsanbeter« denunziert. Von Muslimen verfolgt, zogen sie sich in gebirgige Regionen zurück. Die größte davon ist das Sinjar-Gebirge westlich von Mossul. In den siebziger Jahren ließ Saddam Hussein allerdings im Zuge der Repression gegen die Kurden ihre Dörfer zerstören und siedelte die Bevölkerung in der Stadt Sinjar und einigen neu angelegten überwachten Siedlungen jenseits des Gebirges an.

Nach der Eroberung Mossuls durch den IS rückten die kurdischen Peshmerga zum Schutz der Yeziden nach Sinjar ein, zogen sich aber am 2. August zurück und überließen die Zivilistinnen und Zivilisten den Kämpfern des IS. Zehntausende flohen deshalb weitgehend ohne Nahrungsmittel und Wasser in die in der irakischen Augusthitze lebensfeindlichen Berge. Der lange Zeit in Deutschland lebende yezidische Intellektuelle und Politiker Mirza Dinnayi organisierte Hilfsflüge, die den Eingeschlossenen Wasser und Grundnahrungsmittel brachten und auf dem Rückflug Frauen und Kinder ausflogen. Auf einem dieser Flüge stürzte der Hubschrauber wegen Überladung ab. Der arabische Pilot und ein Kind starben, Mirza Dinnayi wurde verletzt. Erst die syrisch-kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) der syrischen PKK-Schwesterpartei PYD kämpften den auf den Bergen verdurstenden Menschen einen Korridor nach Syrien frei. Viele konnten aber nicht gerettet werden. Im Dorf Kocha richteten die Jihadisten des IS am Freitag voriger Woche ein Massaker an der gesamten männlichen Dorfbevölkerung an und verschleppten und vergewaltigten die Frauen. Zuvor war ihnen eine Frist zur Konversion zum Islam gestellt worden. Yezidischen Augenzeugen zufolge hatten einige Yeziden damit begonnen, Konversionswillige zu töten. Kämpfer des IS ermordeten daraufhin die gesamte männliche Bevölkerung des Dorfes.
Östlich von Mossul ist nun das zweite Siedlungsgebiet der Yeziden um die Kleinstadt Sheikhan und das zentrale Heiligtum der Yeziden in Lalisch bedroht. Jeder Yezide muss hierher einmal in seinem Leben eine Pilgerreise unternehmen. Die religiösen Autoritäten haben ihren Sitz in der Region. Sollte das Heiligtum in Lalisch zerstört werden, wäre dies für die Yeziden von ähnlicher Bedeutung wie für die Juden die Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer. Den Yeziden würde das geographische Zentrum ihrer Religion geraubt.
Am Rande dieses Gebiets leben die ebenfalls kurdischsprachigen Schabak, Anhänger einer schiitischen Heterodoxie, die wie alle Schiiten aus der Perspektive des IS zu töten sind. Die knapp 100 000 Schabak fürchten derzeit ebenso um ihr Leben wie die klassischen Zwölferschiiten in der Provinz. Die Turkmenen in der Stadt Tal Afar, die bereits im Juni unter die Herrschaft des IS kam, sind überwiegend Schiiten. Aber auch in Mossul selbst sowie im vergangene Woche eroberten Jalawa gab es immer eine schiitische Minderheit. Wie überall in ihrem Herrschaftsbereich begann der IS auch hier, schiitische Moscheen und Heiligengräber zu zerstören und schiitische Geistliche und Angehörige der Armee zu ermorden.

Östlich von Mossul, in der Region südlich der Gebiete der Yeziden und Schabak, gab es zudem bis zum 7. August das größte noch verbliebene mehr oder weniger geschlossene Siedlungsgebiet neuostaramäischsprachiger Christen, die sich im Irak wahlweise als Assyrer, Chaldäer oder Chaldo-Assyrer bezeichnen. Kaum hatte der IS sein »Kalifat« ausgerufen, wurden die Christen in Mossul vor die Alternative gestellt, zum Islam zu konvertieren, einen Status als »Schutzbefohlene« (Dhimmis) zu akzeptieren oder aber den »Islamischen Staat« zu verlassen und ihr Hab und Gut zurückzulassen. Alle anderen würden hingerichtet. Die meisten Christen flohen daraufhin zu den Kurden oder zu den Christen in der Ninive-Ebene. Bis zum 6. August gelang es den Christen mit Unterstützung der kurdischen Peshmerga dieses Gebiet zu verteidigen. In der Nacht darauf fiel die Region allerdings dem IS in die Hände. Fast 200 000 Christen flohen Hals über Kopf in Richtung des Kerngebiets der Regionalregierung Kurdistan.
Der IS rückte jedoch weiter vor und stand plötzlich 30 Kilometer vor der kurdischen Hauptstadt Erbil. Hätten die USA keine Luftangriffe geflogen, wäre heute vielleicht auch diese in Hand der Jihadisten. Die militärischen Probleme der Kurden, insbesondere der Rückzug aus Sinjar, führten in den vergangenen zwei Wochen zu massiven innerkurdischen Problemen. Unter den Yeziden kann sich derzeit die PKK/PYD dank des Einsatzes der YPG über großen Zulauf freuen. Von den irakisch-kurdischen Peshmerga kämpften fast nur jene der kleineren Patriotischen Union Kurdistans (PUK), der Partei Jalal Talabanis, während sich die der Regierungspartei KDP weiter zurückhalten.
Mirza Dinnayi fordert nun von Deutschland und der EU internationale Hilfe: »Wir brauchen nicht nur humanitäre Unterstützung, sondern auch ein Autonomiegebiet unter internationalem militärischen Schutz!« Darin ist er sich mit Kassem Schascho einig, einem seit den neunziger Jahren in Bad Oeynhausen lebenden Yeziden, der nun in den Irak zurückgekehrt ist und sich seither als »Löwe des Sinjar« einen Namen gemacht hat. Es mangle dem von ihm organisierten Selbstschutz und Widerstand allerdings an Waffen und Geld, sagt er. Für einen effektiven Schutz seien nicht nur Luftschläge, sondern auch Bodentruppen nötig.