Hausangestellte in Bolivien organisieren sich

Revolution in der Kittelschürze

In kaum einem Land Lateinamerikas haben die Hausangestellten so viel erreicht wie in Bolivien. Sie sind in einer Gewerkschaft organisiert, es gibt ein Gesetz, das ihre Arbeitsrechte regelt, und auch die internationale Konvention zum Schutz der Rechte der Hausarbeiter ist in Bolivien ratifiziert worden. Nur bei der Umsetzung hapert es noch. Frauen wie Casimira Rodríguez wollen dies ändern.

Martha Ramos stellt den letzten Teller in den Schrank über der Spüle, wischt die Arbeitsflächen ab und spült den Lappen noch einmal aus. Fertig, endlich eine Pause für die 27jährige Hausangestellte. Seit morgens um sechs ist sie heute, wie jeden Tag, auf den Beinen, die Kinder hat sie bereits versorgt und zur Schule gebracht, sie hat die Wohnung aufgeräumt, für das Mittagessen eingekauft, gekocht und nun sind die Reste des Mittagessens auch schon beseitigt. Es ist halb zwei. Die drei Kinder haben sich gleich nach dem Essen in eines der vorderen Zimmer in der großen Wohnung in der Calle Junín von Cochabamba verzogen, um am Computer zu spielen. Und der Hausherr, Eddy Orellana, ist wie jeden Dienstag gleich nach dem Essen zu seinem Zweitjob aufgebrochen. Der Linguistik-Professor ist Anfang 40 und arbeitet neben seiner Beschäftigung an der Universität von Cochabamba bei der »Alianza Francesa«, dem französischen Kulturinstitut. Das bietet auch in Boliviens viertgrößter Stadt Cochabamba Sprachkurse, Stipendien und Kulturseminare an.
Für so etwas hat Martha Ramos keine Zeit. Sie ist fast rund um die Uhr im Haushalt der Orellanas beschäftigt. Sie versorgt dort nicht nur die drei Kinder des Ehepaars, sondern auch noch Eddys Vater. Der 81jährige Rentner lebt im dritten Stock des gleichen Mietshauses in seinem eigenen Apartment und muss betreut werden. »Dafür müsste ich eigentlich Kilometergeld bekommen«, sagt die junge Frau lachend. Sie stammt aus einem der kleinen Dörfer im Süden von Cochabamba, arbeitet seit 2008 für die Orellanas und lebt mit ihrem Sohn Hector bei ihnen. Cama adentro (Bett drinnen), heißt das im Fachjargonder Hausmädchen. Viele der rund 130 000 Hausangestellten in Bolivien leben mit ihren Arbeitgebern unter einem Dach. Im Fall von Martha ist das ideal, denn schließlich muss sie sich auch um den alten Herrn kümmern und ihr Sohn Hector versteht sich gut mit den Kindern der Orellanas.
Doch anders als früher besteht sie heute auf ihre Rechte und arbeitet nicht mehr bis zu 16 Stunden am Tag.

»Seit gut zwei Jahren bin ich in Kontakt mit der Gewerkschaft. Dort nehme ich sonntags an Seminaren im Gewerkschaftshaus teil«, sagt die junge Frau. Ihre offene, direkte Art hat ihr auch dort Sympathien verschafft. Hinter einer schlichten schwarzen Metalltür mit der Nummer 860 in der Calle La Paz hat das »Sindicato de trabajadoras asalarias del hogar« (Gewerkschaft der angestellten Hausarbeiterinnen) von Cochabamba seinen Sitz. »Jeden Sonntag finden hier Kurse und Seminare statt, bei denen sich unsere Mitglieder weiterbilden können«, sagt Rosa Castillo. Die 28jährige ist die Generalsekretärin der zu Beginn der neunziger Jahre gegründeten Gewerkschaft. Damals hatten die Hausangestellten in Bolivien kaum Rechte. Eine Gruppe von Frauen um Casimira Rodríguez begann, sich gegen die permanente Ausbeutung der Hausmädchen zur Wehr zu setzen. Rodríguez, eine zurückhaltende Frau von Ende 40, die den traditionellen Faltenrock, die pollera, trägt, sitzt unter der Veranda vor dem Gewerkschaftshaus und berät gemeinsam mit einem Anwalt eine Gruppe von Frauen, die derbe Arbeitsschuhe tragen. »Es sind Arbeiterinnen der Stadtreinigung, die die Grünflächen in Schuss halten, aber von Subunternehmen schlecht bezahlt werden«, sagt Castillo. Sie arbeitet vier Tage die Woche für ein US-amerikanisches Ehepaar und widmet sich den Rest der Woche der Gewerkschaftsarbeit und ihrem Studium. Weiterkommen will die junge Frau, die ähnlich wie Casimira Rodríguez und Martha Ramos mit gerade 14 Jahren aus ihrem Herkunftsdorf San Pedro de Condor wegziehen musste, um Geld als Hausmädchen für die Familie zu verdienen. Im benachbarten Oruro, einer Bergarbeiterstadt auf 3 700 Meter Höhe, hat sie ihren ersten Job bekommen. Nun ist sie beim fünften Arbeitgeber angestellt und verdient gerade einmal 600 Bolivianos, umgerechnet 65 Euro. Das reicht für das Nötigste. Rosa Castillo ist bereit, Kompromisse zu schließen, um sich weiterzubilden und einen Neuanfang zu machen. »Das geht nur durch Bildung«, sagt sie.

Ihr Vorbild ist die Frau, die draußen auf der Veranda mit leiser Stimme spricht und den Frauen von der Stadtreinigung rät, sich zu organisieren. »Allein funktioniert es nicht, ihr habt es schließlich mit dem Subunternehmen, den Stadtwerken und deren Anwälten zu tun. Ihr wollt mehr Rechte, das kostet Geld, also wehren sich die Arbeitgeber«, erklärt sie den Kolleginnen. Gespannt hören ihr rund zwei Dutzend Frauen zu, die Autorität, die Rodríguez ausstrahlt, ist beinahe greifbar. Oft nimmt sie die Hände zu Hilfe, um ihren Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen. Rodríguez gilt in Bolivien als eine Symbolfigur für den gesellschaftlichen Aufstieg der Frauen. Dabei hatte es die aus dem kleinen Dorf Mizque bei Cochabamba stammende Frau alles andere als einfach. Mit 13 Jahren ging sie in die Stadt, um dort als Hausmädchen zu arbeiten. Doch in den ersten zwei Jahren wurde sie nur als Arbeitsesel, als Objekt, behandelt und nicht bezahlt. Als das ihre Eltern mitbekamen, riefen sie einen der Dorfältesten als Vermittler hinzu. »Doch Geld haben wir trotzdem nie gesehen«, erzählt Casimira Rodríguez lachend. Sie hat aus ihren Erfahrungen gelernt, die Fehler nicht wie viele andere wiederholt und hat sich schließlich bei einer Kirchengruppe Informationen über Arbeitsrechte verschafft. Da hat sie die Angst abgeschüttelt und sich engagiert. »Viele der Mädchen haben Angst, sich mit ihren Arbeitgebern zu streiten, denn sie werden zwar gern als Mitglied der Familie bezeichnet, aber im Zweifel vor die Tür gesetzt«, sagt sie.
Das bestätigen viele Beispiele aus der Gewerkschaftsarbeit der Fenatrahob, der Dachorganisation der Hausarbeiterinnen. Sie agiert landesweit, hat rund 30 000 Mitglieder und vertritt in Bolivien die Interessen von rund 130 000 Hausarbeiterinnen. So wie Martha Ramos, die vor etwa zwei Jahren anfing, ihre Rechte einzufordern. »Jahrelang war ich unterbezahlt. Das ist mir erst bei einem der Seminare klargeworden«, erzählt sie verlegen. Einen blauen Kittel trägt die junge Frau oft bei der Hausarbeit, nur am Sonntag hängt er den ganzen Tag am Haken. Das ist der einzige freie Tag der Woche und den verbringt die Frau mit den optimistisch funkelnden Augen in aller Regel im Gewerkschaftshaus in der Calle La Paz. Computer- genauso wie Näh-, Koch- oder Handarbeitskurse werden dort vormittags angeboten, Urkunden dokumentieren, dass die Frauen sich weiterqualifiziert haben. Das nehmen viele Arbeitgeber wohlwollend zur Kenntnis und davon profitieren viele auch. Nicht nur am Mittagstisch, sondern manchmal auch, wenn die Hausangestellte die Buchführung am Computer erledigt. Nachmittags stehen meist Seminare auf dem Programm, bei denen Experten über Arbeits- und Urlaubsrechte, Schutzbestimmungen und die Rolle der Gewerkschaften aufklären. Hier lernen Frauen, dass sie nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte haben.
»Viele Hausangestellte erhalten weniger als den gesetzlichen Mindestlohn von derzeit 1 488 Bolivianos (rund 160 Euro, KH) und haben keine Ahnung, dass der Sonntag frei ist«, erzählt Casimira Rodríguez. Die Mutter von Zwillingen hat lange an der Spitze der Gewerkschaft gestanden und gehörte dem ersten Kabinett von Präsident Evo Morales als Justizministerin an, bevor sie sich zurückzog, um ihren Traum von der eigenen Familie zu verwirklichen. Nun ist sie wieder aktiv und hat auch Martha Ramos geraten, das direkte Gespräch mit ihrem Arbeitgeber zu suchen. Das hat sie gemacht: »Ich habe ihn vor die Wahl gestellt: Mindestlohn oder Kündigung.« Das hat funktioniert, denn Eddy Orellana wollte auf Martha nicht verzichten. »Wir brauchen eine zuverlässige Hilfe und mit Martha funktioniert es prächtig. Ihr Sohn ist längst wie mein eigener«, sagt der dreifache Vater, der mittlerweile freiwillig ein 13. und 14. Monatsgehalt zahlt. Weshalb er nicht schon früher den Mindestlohn gezahlt hat, bleibt jedoch sein Geheimnis.
Das ist typisch für Bolivien, wo die Medien empört waren, als 2006 mit der ersten Regierung von Evo Morales Frauen in traditioneller Kleidung der Aymara und Quechua am Kabinettstisch Platz nahmen. Casimira Rodríguez gehörte dazu und seitdem hat sich einiges geändert im Land. Dort stellen Aymara, Quechua und Guarani, die drei großen indigenen Gruppen, die Bevölkerungsmehrheit und das Bekenntnis zur eigenen Herkunft ist heute deutlich einfacher als früher. Das geht einher mit einer Fülle neuer gesetzlicher Bestimmungen, die Diskriminierung von Minderheiten und Rassismus ahnden. Für die Hausangestellten bildete das Gesetz 2 450 vom April 2003, das die Arbeit in fremden Haushalten regelt, den Auftakt. Die Richtlinie, für die Casimira Rodríguez als Vorsitzende von Fenatrahob lange Zeit abseits des politischen Establishment in Bolivien warb, war die erste ihrer Art in der Region. Ein erster Erfolg, dem im November 2012 ein weiterer folgte: die Ratifizierung der Konvention 189 »Menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte« der International Labour Organization (ILO).

Dafür waren Tausende Frauen in ihrer Arbeitskleidung, teils uniformiert, teils mit der Schürze, auf die Straße gegangen. Casimira Rodríguez war damals an der Spitze des Demonstrationszugs in Cochabamba. »Eine erfolgreiche Kampagne, aber nun steht die Überführung der Konvention in nationales Recht an«, sagt sie. Dafür engagiert sich die ehemalige Ministerin, die Anträge in alle Welt geschickt hat, um ein regionales Monitoring-Zentrum aufzubauen, das über den Stand der Verwirklichung der Konvention in Bolivien und den Nachbarländern berichten soll. Eine Initiative, die von der Fenatrahob mitgetragen wird.
Internationale Unterstützung ist nach wie vor wichtig, auch um die eigenen Aktivitäten zu finanzieren. Aus Deutschland, aber auch aus Belgien erhalten Rosa Castillo und ihre Mitstreiterinnen Mittel für die tägliche Arbeit, denn dafür reichen die mageren Mitgliedsbeiträge der Fenatrahob nicht aus. Diese Unterstützung zeigt Wirkung, wie nicht nur die Beispiele von Rosa Castillo und Martha Ramos veranschaulichen. Rosa Castillo studiert derzeit Betriebswirtschaftslehre an der Uni und lässt ihre Kenntnisse in die Gewerkschaftsarbeit einfließen. Ganz so weit ist Martha Ramos noch nicht. Sie geht jedoch wieder zur Schule. »Nach Feierabend, um mein Abitur nachzuholen«, erklärt sie, stolz darauf, sich dazu aufgerafft zu haben. Nicht nur, weil sie ihrem Sohn Hector demonstrieren will, dass er nur durch Bildung weiterkommen kann, sondern auch, um sich für die Zukunft zu wappnen. Irgendwann könnte es mit der Hausarbeit bei den Orellanas schließlich vorbei sein.