Der Dokumentarfilm »Everyday Rebellion«

Gewaltfreie Gleichmacherei

Der Dokumentarfilm »Everyday Rebellion« untersucht weltweite Proteste. Leider geht der Blick auf die Formen der Proteste auf Kosten einer Auseinandersetzung mit deren Zielen.

Irgendwo lauert eine internationale Verschwörung, eine Guerilla-Organisation, die sich zusammengerottet hat und nun aus dem Untergrund nach Unterstützung ruft. Diesen Eindruck machen die ersten Minuten des Dokumentarfilms »Everyday Rebellion« der Brüder Arash T. und Arman T. Riahi.
Denn die einleitenden Bilder von Massendemonstrationen in aller Welt werden begleitet von einer Stimme aus dem Off, die in verschwörerischem Flüsterton Zustimmung heischt. »Wir sind normale Menschen, die jeden Tag aufstehen, um zu arbeiten oder Arbeit zu suchen«, wispert die Stimme auf Spanisch. Progressiv oder konservativ seien »wir«, religiös oder nicht, doch besorgt und indignados, aufgebracht, seien »wir« alle: Mit diesem Auszug aus dem Manifest der spanischen »Bewegung des 15. Mai« fordert der Film die Zuschauer auf, als Teil des »Wir« zu fühlen. Warum es dazu eine Flüsterstimme braucht, bleibt unklar – denn die Proteste, um die es gehen soll, spielen sich gerade nicht im Verborgenen ab.
Die Stimme schlägt vor: »Gemeinsam wollen wir eine bessere Gesellschaft kreieren.« Wie die aussehen soll, wird zumindest an diesem Punkt noch nicht erklärt, und so wartet man gespannt auf weitere Informationen. Gleich darauf wird das Motto des Films eingeblendet: »In der Geschichte der Menschheit haben Menschen immer für ihre Rechte gekämpft. Entgegen der weitverbreiteten Meinung ist Gewalt dabei jedoch nicht die effektivste Methode, sondern Gewaltlosigkeit.« Ziel des Films ist es also, Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen gewaltlosen Kämpfen zu finden. Und die suchen die Regisseure bei so unterschiedlichen Bewegungen wie »Occupy Wall Street« in den USA, bei Femen in der Ukraine, bei Widerstandsbewegungen in Ägypten, Syrien und im Iran.
Der Zuccotti-Park in New York darf dabei den Anfang machen, eine junge Frau erzählt dort von der Obdachlosigkeit ihrer Familie und ihren Versuchen, der Schuldenfalle zu entfliehen. Ebenso wie diese Geschichte berühren die Bilder: Um dem Verbot von Megaphonen auf ihren Demonstrationen zu begegnen, hatten die Protestierenden die eigenen Stimmen im Chor als »Human Megaphone« verwendet – so können nicht nur die Worte, sondern auch Intonation und Emotionalität der Sprecherin von Personenkreis zu Personenkreis weitergegeben werden.
Schnitt – in der nächsten Einstellung ist eine Hochhaussiedlung in Madrid zu sehen, wir sehen einen Bewohner und erfahren, dass er von Räumung bedroht ist. Seine Lebensgrundlage sei zerstört, er verzweifelt. Doch der Film gibt ihm und den Zuschauern Hoffnung. Denn nicht nur Juan Carlos, sondern viele Nachbarn sind betroffen und organisieren die asambleas, Versammlungen, auf denen das gemeinsame Vorgehen beraten wird.
Der gesamte Film ist ähnlich aufgebaut wie diese ersten Sequenzen: Auf die Darstellung eines Einzelschicksals folgt die Ausweitung auf die Gruppe, auf Menschen mit ähnlichen Schwierigkeiten und Problemen. An manchen Stellen wirkt das inszeniert, etwa wenn die Spanierin Gema eine ganze Reihe von Argumenten vorbringt, um ihre Tochter und damit gleich deren gesamte politisch desinteressierte Generation zum Engagement aufzurufen.
Spannender als die allzu gespielt anmutenden Debatten sind die immer wieder zwischengeschnittenen Experteninterviews, die das Thema des Films auf theoretischer Ebene reflektieren sollen. Die Schauspielerin und Aktivistin Monika Hunken erläutert die Ziele ihrer »Action Trainings« für Demonstranten und die Mitglieder der Netzkunst- und Aktivistengruppe The Yes Men werden zu Humor als Methode des Protests befragt. John Jackson, der Autor eines Buchs über gewaltfreien Widerstand, beurteilt »Occupy« schon deshalb als Erfolg, weil die Proteste die Diskussion verändert hätten, auch wenn man über die Erfolge uneins sein könne.
Gleiches gilt sicherlich für Femen – bei aller Kritik an Methoden und Zielen der Gruppe lässt sich zumindest nicht behaupten, sie hätten keine Debatten angeregt. Mitstreiterin Inna Schewtschenko wird zunächst bei Protestaktionen, später auf der Flucht aus der Ukraine über Polen nach Paris begleitet, wo sie ein neues Zentrum von Femen aufbaut. Die Professionalität, mit der Schewtschenko ihre Mitkämpferinnen in »Selbstbewusstseinstrainings« schult, ist ebenso beeindruckend wie ihre Unbeirrbarkeit und Zielstrebigkeit.
Schade ist allerdings, dass für eine kritische Auseinandersetzung mit der Gruppe keine Zeit bleibt. Wie in anderen Fällen gilt auch hier, dass kontroverse Themen einfach ausgeblendet werden. Dass Femens Pauschalalkritik am Islam ebenso kritisiert wird wie ihre NS-Vergleiche, spielt keine Rolle, ebenso wenig wie die problematischen Elemente der Rhetorik von »Occupy Wall Street«.
Ein Höhepunkt und zugleich der ergreifendste Moment des Films ist eine Sequenz aus dem Iran-Tribunal, das 2012 in Den Haag stattfand. Ehemalige politische Gefangene und Angehörige von Opfern der Morde des Regimes in den achtziger Jahren inszenierten hier einen Prozess, bei dem die Verantwortlichen symbolisch vor Gericht gestellt wurden. Ein Zeuge erzählt unter Tränen, wie er zur Erschießung eines Mitgefangen gezwungen wurde, und der gesamte Saal weint mit ihm. Seit 27 Jahren trage er schreckliche Bilder mit sich herum, sagt er, und es helfe ihm schon, darüber zu sprechen. Vielleicht ist diese psychische Befreiung schon ein erster großer Erfolg der gewaltfreien Methoden, die »Everyday Rebellion« darstellt. Die große Leistung des Films ist denn auch sein Optimismus, sein tiefer Glaube daran, dass Menschen etwas verändern können.
Viele Details werden ausgeblendet, der Fokus der Brüder Riahi liegt nicht auf den Zielen, sondern dem Vorgehen der unterschiedlichen Proteste. Zugleich ermöglicht er aber einen neuen, analytischen Blick auf das Phänomen Gewaltfreiheit, den Expertinnen wie die US-amerikanische Professorin Erica Chenoweth unterstützen. Sie hält ein beeindruckendes Plädoyer für den Einsatz ausschließlich gewaltfreier Protestmethoden und begründet ihre Meinung mit deren statistisch höherer Erfolgsquote. Erfolgreicher Widerstand brauche allerdings gute Organisation, meint sie, und fasst damit eine Hauptaussage des Films zusammen. Wie diese gute Organisation gelingt, zeigen eben jene »Selbstverteidigungstrainings« bei Femen, die Demonstrationsschulungen von »Occupy« und die Reden des serbischen Aktivisten Srdja Popović von der Gruppe Otpor, der behauptet, seine Gruppe habe die geballte Faust als Widerstandssymbol erfunden.
Wie Chenoweth beschäftigt sich auch Popovic mit der Wirksamkeit von Widerstandsformen. Mit Otpor hatte er in den neunziger Jahren zum Sturz von Slobodan Milošević beigetragen. Nicht nur wegen seines sehr ausgeprägten Selbstbewusstseins funktioniert der im weißen Hemd auftretende Popović nicht so richtig als Sympathieträger. Seine durchkomponierten Redebeiträge, die er in einem Seminar für internationale Aktivisten hält, wirken wie aus einem Lehrbuch für Erfolgstrainer. Er mischt ein bisschen Storytelling anhand biographischer Details mit Populismus, garniert das Ganze mit etwas Erotik und tritt dann für die Notwendigkeit von leader skills ein.
Vielleicht bringt seine Person ganz gut auf den Punkt, was an dem Film so irritiert. Ein wenig wirkt er wie eine Werbekampagne für das Produkt »gewaltfreier Widerstand« – und das umso mehr, als er nur ein Teil einer groß angelegten Kampagne ist: Auf einer Website finden sich umfassende Materialien zu Vernetzungsmethoden und kreativer Demonstra­tionsgestaltung, außerdem gibt es Apps zum Thema.
Mehr als dieses beeindruckende Engagement stört aber die Leichtigkeit, mit der die Regisseure über Inhalte und womöglich deutlich voneinander abweichende Ziele der Bewegungen hinweggehen. Denn das lässt sie den einzelnen Protesten nicht gerecht werden. Ob im Iran, in Ägypten, Spanien, den USA oder der Ukraine, Syrien, Jordanien – wofür die Menschen sich in den verschiedenen Ländern eigentlich einsetzen, verschwindet hinter den Formen ihres Protests. Geschuldet ist das sicher der Begeisterung der Regisseure für ihr Thema und ihrer unübersehbaren Hoffnung in die Menschheit. Hauptdarsteller ihres Films ist der zivile Ungehorsam, und der hat diesen Platz sicherlich verdient.

»Everyday Rebellion« (D, A, CH 2013). Regie: Arash T. Riahi, Arman T. Riahi. Start: 11. September