Die Wahlen in Bosnien-Herzegowina

Selbst Engel fänden keinen Frieden

Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Bosnien-Herzegowina gewannen erneut nationalistische Parteien. Die Proteststimmung vom Februar hat sich nicht in den Ergebnissen widergespiegelt.

Es gibt Länder, in denen Wahlen einen Nachrichtenwert haben, und es gibt Bosnien-Herzegowina. Die einzige wirkliche Neuigkeit der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom Sonntag dürfte sein, dass alles beim Alten bleibt. Als kollektives Staatsoberhaupt Bosnien-Herzegowinas fungiert ein dreiköpfiges Präsidium, dem ein Bosniake, ein Kroate und ein Serbe angehören. Die Sitze gingen diesmal wieder an ethnonationalistische Kandidaten der jeweiligen Gruppe. Bakir Izetbegović für die Bosniaken, Dragan Čović für die bosnischen Kroaten und Mladen Ivanić für die bosnischen Serben. Die Nationalisten bleiben an der Macht und es gibt wenig Grund anzunehmen, dass sie Reformen beginnen oder nationale Mythen aufgeben werden.
Posten in der Politik werden nach ethnischem Proporz vergeben. Der Rom Dervo Sejdić und der Jude Jakob Finci klagten bereits 2009 vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, weil ihr passives Wahlrecht eingeschränkt wird. Sie bekamen zwar Recht, geändert hat sich seitdem jedoch nichts. Das waren bereits die zweiten Wahlen, bei denen sich die amtierenden Regierenden schlicht weigern, das Wahlrecht anzupassen. Roma, Juden und andere Minderheiten bleiben somit weiterhin von den wichtigsten Staatsämtern ausgeschlossen. Wahlen in Bosnien-Herzegowina sind vor allem eine Tombola, bei der lukrative Posten vergeben werden. Es geht um Klientelismus, nicht um Demokratie.
Nach den Protesten und Plena Anfang dieses Jahres, die die Korruption der Regierenden und die schlechte wirtschaftliche Lage anprangerten (Jungle World 17/2014), und der Flutkatastrophe, bei der sich Menschen über ethnische Grenzen hinweg geholfen haben, gab es Hoffnungen, diese Stimmung würde sich in den Wahlergebnissen widerspiegeln. Doch die Geschichte von den »multiethnischen Protesten« war zu schön, um wahr zu sein. Der Wahlkampf verlief nach einem einstudierten Drehbuch: In der Wahlwoche wurden Straßen fertiggestellt, was die Kandidaten der jeweiligen Regierungsparteien als Erfolg für sich verbuchten. Durch die Dörfer und Städte fuhren Autos mit Megaphonen und machten Wahlversprechen, die niemand halten kann oder will. Die Nichtregierungsorganisation »Zašto ne« (Warum nicht) kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass von 693 Wahlversprechen auf gesamtstaatlicher Ebene nur 13 tatsächlich eingehalten wurden. Auf den Wahlplakaten finden sich dieselben Gesichter wir früher, auch wenn die Kandidaten nun teilweise für neugegründete Parteien antreten.

Die Wahlbeteiligung lag bei rund 54 Prozent, dem niedrigsten Wert seit dem Ende des Krieges. Dafür liegt die Jugendarbeitslosigkeit pessimistischen Schätzungen zufolge bei 72 Prozent, während der korrupte Staatsapparat 64 Prozent des Budgets verschluckt. Großzügige Sozialleistungen kommen oftmals denjenigen zugute, die sie gar nicht brauchen. Dies geht aus dem kürzlich veröffentlichten »Fortschrittsbericht der EU« hervor. Der Titel schillert zwischen Zynismus und Realsatire.
Immanuel Kant zufolge sollte ein Staat so verfasst sein, dass selbst eine Gesellschaft von Teufeln friedlich in ihm zusammenleben kann. In der Verfasstheit Bosnien-Herzegowinas könnte selbst eine Gesellschaft von Engeln nicht friedlich miteinander leben. Im Friedensvertrag von Dayton manifestierte sich die Macht der damaligen Kriegsparteien. Daran krankt der Staat bis heute. Es wurde ein intransparentes System geschaffen, das zu Korruption, Vetternwirtschaft und nationalistischem Populismus einlädt. Ressentiments gegen die jeweils anderen ethnischen Gruppen zu schüren, ist noch immer die sicherste Variante, Wählerstimmen zu bekommen. Diejenigen, die diesen Staat eigentlich reformieren sollten, profitieren von seiner Dysfunktionalität. Bis die neue Regierung ihre Arbeit aufnimmt, könnte es dauern. Der amtierende Ministerpräsident Vjekoslav Bevanda wurde erst anderthalb Jahre nach den vergangenen Wahlen vereidigt. Einen Unterschied hat das allerdings kaum gemacht.