Die Folgen der Goldsuche im Amazonasgebiet

Giftiges Gold

Im Amazonasgebiet wird zum Abbau von Gold viel Quecksilber eingesetzt. Damit werden die Flüsse kontaminiert, auch bei Menschen kommt es zu Vergiftungen. Der hohe Goldpreis und fehlende staatliche Regulierung treiben jedoch weiter­hin Tausende in die toxische Goldsuche.

Arcopongo heißt der kleine Ort, der im Frühjahr in ganz Bolivien bekannt wurde, weil dort ein Bergbaukonflikt mit Waffengewalt ausgetragen wurde. Drei Tote forderte der Streit zwischen den Bergbaukooperativen Palma Flor und Ullakaya Condorini. Es ging um Schürfrechte am Río Chaquety. Die abgelegene Region im Verwaltungsdistrikt La Paz in der Provinz Inquisivi ist ein wichtiges Goldschürfgebiet, die Regierung ist dort wie in ähnlichen Regionen Boliviens kaum präsent. »Es gibt keine effektive Regulierung in Bolivien«, sagt Elizabeth Peredo Beltrán, eine boli­vianische Frauenrechtlerin und Umweltschützerin, die sich gegen die durch den Bergbau hervorgerufene Zerstörung engagiert. »Das Bergbaugesetz, das Ende März 2014 verabschiedet wurde und für viele Proteste gesorgt hat, öffnet die Tore für einen Bergbau, der für Kontamination sorgt. Wenn Sie in die Provinz Sud-Yungas fahren, werden Sie auf Flüsse stoßen, die von Quecksilber belastet sind«, so Beltrán.
Ein Phänomen, das in der ganzen Amazonasregion zu beobachten ist. Nicht nur in Arcopongo, wo der Konflikt zwischen den beiden Kooperativen schwelt, sondern auch in anderen Landesteilen wie der Bergbauregion Oruro und im tropischen Tiefland rund um Boliviens erste ­offizielle Tourismusgemeinde, Coroico. Die vom nationalen und internationalen Tourismus lebende Kleinstadt liegt rund 1 700 Metern über dem Meeresspiegel, bietet tropische Tempera­turen und einem spektakulären Blick über grüne Berge und tiefe Schluchten, zudem lebt dort die einzige afrobolivianische Gemeinde. Doch nur ein paar Kilometer vom touristischen Idyll entfernt wird intensiv gegraben und geschürft. Um den feinen Goldstaub vom Gestein zu lösen, wird von fast allen Kleinschürfern Quecksilber eingesetzt. Im gängigen Verfahren entsteht Goldamalgam, das beim Waschen und dem anschließenden Ausglühen zur Gewinnung des reinen Goldes verdampft. Das Gold bleibt und das hochgiftige Metall Quecksilber gelangt schließlich in die Umgebung. Dies ist der Hauptgrund für die hohen Quecksilberemissionen, die nicht nur in Bolivien, sondern auch in Brasilien und Peru für die Kontamination der Flüsse in der Amazonasregion sorgen.

Die schleichende Kontamination führt nicht nur in Bolivien zu ökologischen und sozialen Problemen. Auch in der nur einige Hundert Kilometer von Coroico entfernten peruanischen Stadt Puerto Maldonado im Verwaltungsdistrikt Madre de Dios sind die Gewässer stark belastet. Dort arbeitet César Ascorra. Der Biologe warnt seit Jahren vor den Folgen des Bergbaus in der Region und unterstützt im Dienst der katholischen Hilfsorganisation Caritas die Bevölkerung bei der Nutzung alternativer Anbauverfahren für Tropenfrüchte und andere Pflanzen im Regenwald. »Wir brauchen in der Region mehr staatliche Präsenz und Kontrolle, wenn wir dem illegalen Bergbau begegnen und ihn kontrollieren wollen«, sagt Ascorra, der seit zehn Jahren in Puerto Maldonado lebt. Die am Fluss Madre de Dios gelegene Stadt ist Versorgungspunkt für Tausende Goldschürfer und regionaler Umschlagplatz für das Edelmetall. Es wird in Puerto Maldonado angekauft und gelangt von hier über Lima nach Europa und in die USA. Derzeit liegt der Preis bei rund 1 225 US-Dollar pro Unze. Anfang September 2011 wurde die Unze noch für den bisherigen Rekordpreis von 1 920 US-Dollar gehandelt. Damals hatte das weltweite Goldfieber seinen Höhepunkt erreicht. In Madre de Dios und anderen Amazonasregionen Perus, Brasiliens und Boliviens drangen Tausende Goldschürfer in Regenwaldgebiete vor, selbst in Reservate, und suchten in Flüssen, Bächen und Seen nach Nuggets, kleinen Goldpartikeln und Goldstaub. Weltweit sind Schätzungen von Experten des UN-Umweltprogramms zufolge zehn bis 15 Millionen Menschen auf der Suche nach Gold. Die meisten dieser Kleinschürfer, die sich auch zu Genossenschaften und Kooperativen zusammenschließen, verwenden Quecksilber, um das Gold vom Gestein zu trennen. Jedes Jahr werden rund 1 350 Tonnen des silbrig-weißen Metalls, so die UN-Schätzungen, von Kleinschürfern eingesetzt – womit die Goldsucher weltweit mehr Quecksilber verbrauchen als die Industrie.
Das toxische Metall setzt sich in den Sedimenten der Flüsse ab, wo es wiederum von den Fischen mit der Nahrung aufgenommen wird. So landet das Quecksilber in der Nahrungskette des Menschen. Der Biologe Ascorra isst daher schon lange keinen Fisch mehr aus Flüssen wie dem Río Malinowski, dem Río de Las Piedras oder dem Madre de Dios. Mota, Chambira und Bocachico heißen beliebte Speisefische der Region. Jeder Mensch, der zweimal pro Woche einen derartigen Fisch verzehrt, konsumiert nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) die siebeneinhalbfache Menge an Quecksilber, die als noch erträglicher Grenzwert gilt.
Das hat gravierende Folgen. So berichtet Dr. Manrique Arada Estrada, der im Krankenhaus in Puerto Maldonado arbeitet, in einem Interview vom Dezember 2011 mit dem US-Journalisten Steve Sapienza von Patientinnen und Patienten, die mit Quecksilbervergiftungen ins Hospital kommen. Typisch seien ein metallischer Geschmack im Mund und Bauchschmerzen, verbreitet seien aber auch Seh- und Hörstörungen, Einschränkungen im Wortverständnis und Sensibilitätsstörungen der Finger und Zehen sowie motorische Störungen. Bei Kindern seien die Folgen deutlich gravierender, denn sie weisen eine im Vergleich zu Erwachsenen fünf- bis zehnmal erhöhte Empfindlichkeit gegenüber organischen Quecksilberverbindungen auf, die motorische und kognitive Entwicklungsstörungen verursachen. Eine Studie, die auf den Färöer-Inseln durchgeführt wurde, belegt, dass es mit zunehmender Quecksilberkonzentration zu Entwicklungsdefiziten bei Kindern kommt.

Diese Informationen sind auch in Peru bekannt, wie eine Studie belegt, die im August 2012 von der Stiftung »Carnegie Institution for Science« veröffentlicht wurde. In der von acht Nichtregierungsorganisationen und Universitäten erstellten Untersuchung »Carnegie Amazon Mercury Ecosystem Project« (CAMEP) kam heraus, dass die meisten Fische, die auf den lokalen Märkten von Puerto Maldonado verkauft werden, stark belastet sind. Demnach wiesen neun von 15 Gattungen eine Quecksilberkonzentration auf, die über dem internationalen Grenzwert liegt. Bei 226 Erwachsenen aus der Region wurden die Haare auf Quecksilberspuren untersucht. 78 Prozent der Untersuchten wiesen eine Belastung über den internationalen Referenzwerten auf.
Die Studie, die auf der Homepage des peruanischen Umweltministeriums publiziert wurde, blieb aber ohne konkrete Folgen. »Mittlerweile gibt es immerhin eine Kommission, die dafür verantwortlich ist, Maßnahmen einzuleiten, um Menschen zu helfen, die mit Schwermetallen belastet sind«, sagt der Biologe Ascorra. Doch in Puerto Maldonado ist das Krankenhaus noch immer nicht mit den notwendigen Laborutensilien und mit Therapiemöglichkeiten ausgestattet, um Menschen mit einer Quecksilbervergiftung zu helfen. Krankenhäuser mit einem hohen Qualitätsstandard verfügten darüber, ihr Krankenhaus habe jedoch einen niedrigeren Standard, erklärt Ascorra schulterzuckend. Verantwortlich für das ökologische Desaster macht er die Politik. Zum einen sei die Lobby der Goldschürfer, die in vielen der 24 Verwaltungsbezirke Perus nach Gold graben, groß, zum anderen fehle es vielen Menschen in der Region an Informationen. »Viele Menschen haben keine Ahnung, dass die Fische verseucht sind. Burgos, das einzige Luxus-Restaurant der Stadt, importiert seinen Fisch aus Aquakultur in Bolivien«, so Ascorra.

An der schlechten Informationspolitik wird sich so schnell nichts ändern. Gerade sind die Kommunalwahlen in Peru vorbei. Die Quecksilberbelastung war kein Thema im Wahlkampf. Zudem ist der Goldpreis nach wie vor auf einem Niveau, das die Suche attraktiv erscheinen lässt. Erst unterhalb einer Marge von 900 US-Dollar pro Unze werde der Einsatz von Schwimmbaggern und schwerem Gerät unrentabel, so Ascorra. Bis dahin werde es im Amazonasgebiet weiter gehen mit dem Raubbau, befürchtet er.
480 Tonnen Quecksilber wurden 2012 in den Staaten des Amazonasbeckens eingeführt, es dürfte kaum zu einem Rückgang der Importe gekommen sein. In Peru, Bolivien, Brasilien, Venezuela, Ecuador und Kolumbien wird weiterhin mit Hochdruck illegal und auch legal nach Gold geschürft. Der hohe Goldpreis ist dafür genauso verantwortlich wie der Mangel an Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt. An der Kontamination der Bergbauregionen konnte das im Februar 2013 vereinbarte Uno-Abkommen zur Reduzierung des Quecksilbereinsatzes bislang auch nichts ändern. Darin wurden weniger Förderung, steigende Preise und ein sparsamerer Umgang mit dem flüssigen Metall gefordert. Doch die ersten positiven Effekte lassen noch auf sich warten. Im bolivianischen Arcopongo haben sich zumindest die Konflikte unter den Kooperativen wieder beruhigt, aber über die negativen Effekte des Quecksilbereinsatzes wird dort ebenso wenig diskutiert wie in Puerto Maldonado.