Dilma Rousseff bleibt Brasiliens Präsidentin

Bohneneinerlei

Die Stichwahl für die brasilianische Präsidentschaft hat die amtierende Präsidentin Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT) knapp gewonnen. Doch der PT ist auf diverse Koalitionspartner angewiesen und steht kaum noch für eine sozial gerechte Politik.

Wandel oder Kontinuität – eine knappe Mehrheit der 143 Millionen stimmberechtigten Brasilianer und Brasilianerinnen entschied sich bei der Stichwahl für die Präsidentschaft am vergangenen Sonntag für letzteres. Dilma Rousseff bleibt Präsidentin und die Arbeiterpartei (PT) stellt damit nun zum vierten Mal in Folge die Regierung. Mit 51,45 Prozent der Stimmen fiel der Erfolg jedoch denkbar knapp aus. Als Arbeitssieg könnte man das Ergebnis schönreden, wäre Rousseff wenigstens ihrem Ruf als unterkühlte Technokratin gerecht geworden. Doch weder sie noch der rechte Gegenkandidat Aécio Neves von der Partei der brasilianischen Sozialdemokratie (PSDB) glänzten in den Debatten vor der Stichwahl mit politischen Ideen, ideologischer Schärfe oder programmatischen Inhalten. Stattdessen wurden die potentiellen Wählerinnen und Wähler in den Medien täglich mit einer Mischung aus einstudierten Marketingfloskeln und persönlichen Angriffen unterhalten: die korrupte ehemalige Guerillera gegen den koksnasigen Playboy. Das private Medienoligopol von Rede Globo und den anderen großen Sendern verstieg sich dabei in eine verbitterte Anti-PT-Kampagne. Der rechte Chefkommentator Merval Pereira von O Globo knurrte kurz nach Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses, Rousseff sei nicht siegreich aus dieser Wahl hervorgegangen.

So unrecht hat Pereira damit gar nicht. Bereits bei den Parlamentswahlen vor zwei Wochen hatte der PT schlecht abgeschnitten, die Partei hält nur noch 70 von 513 Sitzen der Abgeordnetenkammer und zwölf der 27 Mandate im Senat. Und während sich viele Unterstützerinnen und Unterstützer des PT über Neves’ reaktionäres Bündnis aus evangelikalen Homophoben, Law-and-Order-Fetischisten, militanten Abtreibungsgegnern und Gentech-Multis echauffierten, vergaßen sie, dass der PT mit Teilen ebendieser Klientel bereits seit Jahren gemeinsam regiert. Den ideologisch bunten Haufen an Koalitionspartnern wird Rousseff nun um weitere Regionalfürsten und Provinzmafiosi erweitern müssen.
Kompromisse mit dem wirtschaftlichen Establishment, das auch nach dem ersten Wahlsieg des PT im Jahr 2003 weiterhin die faktische Macht in Brasilien in Händen hielt, wurden stets als ein notwendiges Mittel zum Zweck gerechtfertigt. Win-Win als Burgfrieden auf Zeit. Doch dann, als Rousseffs Vorgänger, Luiz Inácio Lula da Silva, in seiner zweiten Amtszeit mit über 80 Prozent Zustimmung im Zenit seiner Beliebtheit stand, wagte er nicht, etwa eine dringend nötige Reform der Medien oder der Landverteilung durchzusetzen, sondern beschwor die politische Kontinuität: assistentialistische Sozialprogramme von oben anstatt partizipativer Umverteilung von unten. Finanziert wurden diese Programme durch den Export von Erdöl, anderen Bodenschätzen und Agrarprodukten aus Monokultur. Wer Ja zu Familienstipendien für Einkommensschwache sagt, muss auch Ja zur weiteren Entwaldung im Amazonasgebiet sagen, solange nicht radikal an der Ungleichheit im Land gerüttelt wird.

Zweifellos haben die PT-Regierungen die absolute Armut in Brasilien gelindert und sind das kleinere Übel im Vergleich zu ihrer reaktionären, neoliberalen oder autoritären Konkurrenz. Mehr aber auch nicht. In Lateinamerika zeigen sich einige Nachbarländer besorgt über den angeblich natürlichen Anspruch Brasiliens als regionale Führungsmacht. Brasilianische Banken, Bergbau- und Bauunternehmen investieren seit Jahren mit Krediten der staatlichen Entwicklungsbank in teils umstrittene Projekte in Bolivien, Peru und Ecuador – eine seltsam anmutende Vorstellung von regionaler Integration. Die PT-Regierung scheint ihre politischen Ideale längst vergessen zu haben. Der Befreiungstheologe Frei Betto rät nach der Wahl daher zu ein wenig außerparlamentarischer Kurskorrektur: »Regierungen sind wie Bohnen, sie funktionieren nur im Druckkochtopf.«