Beim fünften Mal wird alles anders

Nach Protesten in Burkina Faso musste der Präsident zurücktreten – nach 27 Jahren an der Macht. Eine Fraktion der Armee hat vorläufig die Regierung übernommen.

Am Donnerstagmorgen vergangener Woche überschritt Blaise Compaoré die rote Linie. Nach über 27 Jahren ohne Unterbrechung an der Macht wusste der 63jährige Präsident Burkina Fasos, dass sein Vorhaben heftige Reaktionen auslösen würde: Er wollte eine Verfassungsänderung durchsetzen, um eine fünfte Amtszeit zu ermöglichen. Es gab in Burkina Faso bereits viele Menschen, die von Anfang an gegen seine autoritäre Herrschaft waren. Doch Compaorés Plan, seinen Verbleib an der Macht auf unbestimmte Zeit zu verlängern, brachte unzählige weitere Menschen gegen ihn auf.
Der Artikel 37 der Verfassung Burkina Fasos – des »Lands der Aufrichtigen«, wie die Staatsbezeichnung des einstigen Obervolta seit 1984 lautet – beschränkt die Zahl der Präsidentschaftsmandate, die eine Person nacheinander ausüben kann, auf zwei. Zwar hatte Compaoré bereits mehr Amtszeiten hinter sich und hielt sich mittlerweile länger an der Macht als etwa der tune­sische Autokrat Zine al-Abidine Ben Ali, den die Bevölkerung Tunesiens nach 23 Jahren abschütteln konnte. Doch war der Verfassungstext 1997 und 2000 abgeändert worden; beim zweiten Mal, um die Dauer der Amtszeit des Präsidenten von sieben auf fünf Jahre zu verkürzen. Compa­oré reagierte damals auf erhebliche Proteste der Bevölkerung. Die Verfassungsänderung von 2000 erlaubte ihm jedoch, die Zählung der Amtszeiten von vorne zu beginnen: Zwar sollten ihm nur zwei Amtsperioden vergönnt sein, doch erst beim darauffolgenden Mandat wurde mit dem Zählen begonnen.

Compaoré war 1987 genau drei Wochen vor Ben Ali ins Amt gekommen: Der Burkinabè durch ­einen blutigen Staatsstreich, der Tunesier hingegen durch einen unblutigen »medizinischen Putsch«, indem er durch Ärzte die Amtsunfähigkeit seines Vorgängers, des Republikgründers Habib Bourguiba, feststellen ließ. Bourguiba konnte seine alten Tage friedlich in seiner Herkunftsstadt Monastir verbringen. Dies war Compaorés Amtsvorgänger, dem linksrevolutionären Präsidenten Thomas Sankara, nicht vergönnt. Zusammen mit 13 weiteren Personen wurde er ermordet, sein Stiefsohn und Minister Compaoré war der Drahtzieher. Infolge des rechten Putschs näherte Burkina Faso sich wieder der früheren Kolonialmacht Frankreich an und setzte allen sozialistischen Selbstverwaltungsversuchen, die unter Sankara durchgeführt worden waren, ein Ende. Compaoré wurde danach ein Vierteljahrhundert lang Frankreichs Partner in seiner neokolonialen Einflusssphäre in Afrika.
Jüngst hatte François Hollande dem alten Freund Frankreichs noch geraten, es nicht zu übertreiben und auf seine alten Tagen kein Risiko einzugehen. In einem Brief vom 7. Oktober, den das Magazin Jeune Afrique inzwischen publiziert hat, riet der französische Präsident »(s)einem lieben Blaise«, Burkina Faso könne doch Vorbild sein, indem es nicht die Verfassung ändere, um dem Präsidenten eine weitere Amtszeit zu ermöglichen – wie Compaoré es vorhatte, wie acht weitere afrikanische Staatsoberhäupter es vor kurzem taten und ein halbes Dutzend weitere es derzeit beabsichtigen, etwa in Burundi. Als Belohnung stellte Hollande ihm einen internationalen Posten in Aussicht, habe Compaoré doch, wie er hinzufügte, bislang eine so wichtige Rolle für die internationale Gemeinschaft gespielt.
Compaoré hörte nicht auf den Rat. In der Nacht zum Donnerstag vergangener Woche wurden alle Abgeordneten seiner Regierungspartei »Kongress für Demokratie und Fortschritt« (CDP) in einem Hotel unmittelbar gegenüber vom Parlamentsgebäude untergebracht, um sich nicht einen Weg durch eine erwartete feindselige Menge bahnen zu müssen. Bereits am Dienstag zuvor hatten große Demonstrationen stattgefunden, am Mittwoch folgte ein Generalstreik gegen das Vorhaben des Präsidenten. Donnerstagmorgen brachen vor dem Parlament heftige Kämpfe aus. Das Gebäude sowie ein Fernsehsender wurden gestürmt. Bei Kampfhandlungen starben rund 30 Personen, wobei die meisten Einheiten von Polizei und Armee nicht das Feuer eröffneten, sondern teilweise auf Seiten der Protestierenden standen. Die meisten Toten gehen auf das Konto von bewaffneten Zivilisten, die zu Compaoré hielten, sowie auf das der Präsidentengarde RSP, einer etwa 1 000 Personen starken Elitetruppe, die äußerst privilegierte Lebensbedingungen genoss und mit Abstand besser bewaffnet war als alle anderen Einheiten.

Abgesehen von den tödlichen Schüssen und einigen Plünderungen blieb das Geschehen weitgehend friedlich. Teile der protestierenden Menge hofften auf eine aktive Rolle desjenigen Teils der Armee, der als ihr Verbündeter gelten darf. Viele in Burkina Faso haben keine Vorbehalte gegen eine vorübergehende Machtausübung durch das Militär, da zumindest ein Flügel als progressiv gilt. Früher gab es ein revolutionäres Potential innerhalb der Streitkräfte, weil viele arme Burkinabès allein durch eine Karriere bei der Armee Aufstiegs- und Bildungschancen bekamen, ihrer sozialen Herkunft jedoch verbunden blieben. Sankara selbst war bei der »Sammlung kommunistischer Offiziere« (ROC) aktiv, bevor er im März 1983 durch einen Putsch an die Macht kam.
Da sich in der Hauptstadt Ouagadougou nach wochenlangen Protesten ein akuter Versorgungs- und vor allem Treibstoffmangel bemerkbar machte, wünschten viele Menschen einen halbwegs geordneten Übergang. Große Hoffnungen ruhten auf dem pensionierten General Kouamé Longué, den Compaoré 2003 als Verteidigungsminister schasste und der als integer gilt. Doch stattdessen drohte die Armee, den Generalstabschef Honoré Traoré zum Interimspräsidenten zu berufen. Er gilt als Compaorés Vertrauter und ist ausgesprochen unpopulär. Longué versuchte seinerseits, am Sonntag im Staatsfernsehen zu erklären, er nehme die Verantwortung als Interimspräsident auf sich. Doch die Kameras waren ausgeschaltet, als er seine Erklärung verlas. Ebenso scheiterte der Versuch, die Vorsitzende der Oppositionspartei »Partei für Entwicklung und Wandel« (PDC), Saran Sérémé, zur Übergangspräsidentin auszurufen. Unterdessem kam es vor dem Sendergebäude zu Kämpfen, bei denen ein Demonstrant erschossen wurde.
Am Freitag hatte sich bereits Oberstleutnant Isaac Zida, der Kandidat einer weiteren Fraktion innerhalb der Armee, zum Staatschef auf Zeit ­erklärt. Nach den politischen Wirren vom Sonntag scheint er sich vorläufig durchgesetzt zu haben. Die zivile Opposition misstraut ihm. Unterdessen verhandelt er mit den Oppositionsparteien über einen »Übergang zu einer Zivilregierung«, der die Abhaltung von Wahlen im Jahr 2015 beinhalten soll. Am Montag setzte die Afrikanische Union ihm jedoch eine 14tägige Frist, nach deren Ablauf er die Macht an Zivilisten übergeben soll.

Wichtig wird nun, wer die Wahlen unter welchen Bedingungen organisiert. Denn die alten Machthaber wollen ihren Kandidaten zum Durchbruch verhelfen. Neben den Resten der alten Staatspartei CDP stehen auch andere politische Kräfte für eine zivile Machtausübung ohne größere Brüche mit der Vergangenheit bereit. Seit Januar dieses Jahres wurde die Partei »Bewegung des Volkes für den Fortschritt« (MPP) unter Salif Diallo aufgebaut, eine Abspaltung des CDP, die ein Sammelbecken für Politikkarrieristen darstellt, denen Compaorés Zukunftsaussicht zu gering geworden war. Von entscheidender Bedeutung wird sein, in welchem Ausmaß es ihnen gelingt, die erreichte Massenmobilisierung und die sozial motivierte Protestbewegung zurückzudrängen. Vorläufig jedoch kommen sie an ihr nicht vorbei.