Immobilienkauf per Crowdfunding in Nürnberg

Haste mal 25 Millionen?

Künstler wollen mit Crowdfunding Deutschlands zweitgrößte leerstehende Immobilie kaufen. Für das Quelle-Gebäude in Nürnberg haben sie ehrgeizige Pläne.

Die Kaffeemaschine ist verstopft. Wanda Leuthe durchquert ein Fotostudio, auf einem Tisch liegen Metall- und Glasplatten neben Ether- und Ethanol-Fläschchen. In der Werkstatt, einem ehemaligen Logistikbüro, versucht die gelernte Schreinerin erfolglos mit einer Druckluftpistole den Trichtereinsatz der Kaffeemaschine zu reinigen. Sie geht in den angrenzenden Raum, wo Studentinnen Graphiken zeichnen. In einem Regal voller Schubladen und Bilderrahmen kramt Leuthe nach einem Draht. Weil der auch nicht hilft, sucht die Designerin im Bürobereich nach einem weiteren Putzutensil. Ausgediente Autositze bilden eine Couchecke, auf dem Boden spielt ein Praktikant mit Leuthes kleinem Sohn. Die 28jährige ist schließlich erfolgreich, der Kaffeetrichter ist wieder frei.

Wanda Leuthe ist eine von etwa 40 Personen aus der Kreativ- und Kunstbranche, die eine etwa 8 000 Quadratmeter große Fläche im ehemaligen Versandzentrum des Unternehmens Quelle im mittelfränkischen Nürnberg zur Zwischennutzung angemietet haben. Organisiert sind sie im basisdemokratischen »Quellkollektiv« und in der Initiative »Wir kaufen die Quelle«. 2009 wurde Quelle, einst Europas größtes Versandhaus, aufgelöst. Seitdem zerbrechen sich Politiker und Investoren den Kopf über eine langfristige Nutzung des Industriekomplexes. Neben dem »Quellkollektiv« haben einige Outlet-Stores, Logistikbetriebe und auch Freikirchen Räume bezogen. Mit einer Fläche von 250 000 Quadratmetern ist das Gebäude nach dem ehemaligen Flughafen Berlin-Tempelhof die zweitgrößte leerstehende Immobilie in Deutschland – annähernd leerstehend, besser gesagt.
Im Büro des »Quellkollektivs« dienen alte Spinde als Raumteiler, die Möbel sind selbstentworfen. Die Fensterfront bietet einen Panoramablick auf die Stadt. Matthias Neubeck kümmert sich als Vorsitzender von »Wir kaufen die Quelle« um das wohl größte Crowdfunding-Projekt in Deutschland. 25 Millionen Euro sollen gesammelt werden, um das Gebäude zu kaufen. »Was ist das schon im Vergleich zu dem, was der bayerische Staat zur Bankenrettung ausgegeben hat? In Anbetracht der gesellschaftlichen Möglichkeiten, die sich hier bieten, ist das doch ein Witz. Es ist eine Utopie, die tatsächlich wahr werden könnte«, sagt der Architekt.
»Ich bin kein Gesellschaftskritiker«, Neubeck. Der 37jährige plädiert lieber für »Nachhaltigkeit« und »soziale Verantwortung«. Im Quelle-Gebäude sollen »neue, alternative Lebensentwürfe und Gesellschaftsformen praktisch erprobt werden können«, heißt es in der Selbstdarstellung von »Wir kaufen die Quelle«. »Wir haben hier die Möglichkeit, ein abgefahrenes Erste-Welt-Spiel zu machen. Das wird in Simbabwe nicht funktionieren, wir können es uns leisten«, sagt Neubeck zuversichtlich. Auf der Dachterrasse pflanzen Mieter Gemüse an. In einem sogenannten Aquaponik-System schwimmen im Sommer Karpfen, die mit ihren Ausscheidungen Pflanzen düngen, die wiederum das Wasser reinigen. Es gibt Ideen für eine stehende Welle für Surfer auf dem Dach und einen mehrere Stockwerke hohen botanischen Garten. »Hier trinken wir manchmal Bier«, sagt Neubeck und blickt vom Geländer der Terrasse auf die angrenzende Hauptverkehrsstraße. Dort fuhr 1835 die erste deutsche Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth. Gegenüber liegt das ehemalige AEG-Gelände, wo jahrzehntelang Waschmaschinen produziert wurden. Das Unternehmen schloss vor zehn Jahren Jahren das Werk.
Quelle und AEG galten lange als Symbole der wirtschaftlichen Prosperität der Bundesrepublik. Dies spiegelt sich auch in der Architektur des Quelle-Gebäudes wieder. »Es hat einen außermenschlichen Maßstab«, findet Neubeck. Der Architekt Ernst Neufert entwarf den in den fünfziger und sechziger Jahren entstandenen Klinkerbau. Neufert studierte bei Walter Gropius und versuchte mit dem Quelle-Gebäude an die klassische Moderne des Bauhaus anzuknüpfen. Die durchgehenden Fensterfronten wurden über Eck verglast, Ornamente weitgehend vermieden.
Ernst Neufert ist Autor der 1936 erschienenen »Bauentwurfslehre«, bis heute ein Standardwerk für Architekten. Die Nationalsozialisten verpönten zwar offiziell den Bauhaus-Stil, förderten aber Neuferts Design zweckmäßiger Industriekomplexe. 1944 wurde Neufert Mitarbeiter in Albert Speers Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte, Adolf Hitler nahm ihn in die »Gottbegnadeten-Liste« der wichtigsten Architekten auf, was Neufert einen Fronteinsatz ersparte.

Rauchend steht Wanda Leuthe vor dem Eingang zu ihrem Atelier. Sie wünscht sich, dass Menschen aller gesellschaftlichen Schichten diese »Stadt in der Stadt« mit Leben füllen. Dazu gehören auch Flüchtlinge. In Bayern sind die Erstaufnahmeeinrichtungen hoffnungslos überfüllt. Im nahegelegenen Zirndorf wurden Menschen sogar in einem Bierzelt untergebracht. Das »Quellkollektiv« hat in einem offenen Brief angeregt, Geflüchtete im Quelle-Gebäude unterzubringen, wo im Gegensatz zu anderen Einrichtungen die Menschen schnell soziale Beziehungen aufbauen könnten.
Ob die vielen Ideen von »Wir kaufen die Quelle« verwirklicht werden, ist ungewiss. Der portugiesische Investor »Sonae Sierra« hat bisher lediglich seine Kaufoption für das derzeit in Insolvenzverwaltung befindliche Areal immer wieder verlängert. Sollte das Unternehmen jedoch Erfolg bei der Suche nach Partnern zur Nutzung des Gebäudes haben, könnte der Traum des »Quellkollektivs« zu Ende sein, bevor er richtig begonnen hat.