Eine Text-Collage von Ronald M. Schernikau im Deutschen Theater

Ein Kessel Grelles

Mit einer Text-Collage erinnert das Deutsche Theater an den linken schwulen Schriftsteller Ronald M. Schernikau: ein großer
Stilmix, der alles mit allem versöhnen will.

Ich bin Ronald M. Schernikau, ich komme aus Westberlin, ich bin seit 1. September 1989 DDR-Bürger, ich habe drei Bücher veröffentlicht und ich bin Kommunist.« Im März 1990 findet der Außerordentliche Kongress der Schriftsteller der DDR statt. Der Verband befindet sich in Auflösung, Ende des Jahres sollte es weder ihn noch die von ihm herausgegebene Zeitschrift Neue deutsche Literatur geben. In Erinnerung geblieben ist aber die Rede des jungen Schiftstellers Ronald M. Schernikau, der sowohl den Kapitalismus als auch den »Terror der Geistlosigeit unter Honecker« in der DDR kritisiert. Jahre später, zeitgleich zu den Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der Maueröffnung, beginnt in den Kammerspielen des Deutschen Theaters in Berlin eine Inszenierung mit dem Titel »Die Schönheit von Ost-Berlin. Eine Ronald-M.-Schernikau-Collage«, die am Freitag voriger Woche Premiere hatte, mit dieser Rede.
Dort heißt es weiter: »Die Dummheit der Kommunisten halte ich für kein Argument gegen den Kommunismus.« Dieser Ausspruch erntet heitere Lacher. »Wer die Buntheit des Westens will, wird die Verzweiflung des Westens kriegen.« Auch das ist noch gefällig – Gelächter. »Am 9. November 1989 hat in Deutschland die Konterrevolution gesiegt. Ich glaube nicht, dass man ohne diese Erkenntnis in der Zukunft wird Bücher schreiben können.« Jetzt bleibt das Lachen aus. Ist ja auch nicht lustig. Ist aber auch nicht schlimm, denn es geht augenblicklich weiter mit der bunten Schernikau-Show. »In unserer Fassung kommentieren und erläutern sich die Texte gegenseitig, treten miteinander in einen Dialog. Dabei geht es nicht um ein authentisches Bild des Autors. Schernikau tritt als die Kunstfigur auf, als die er sich selbst bereits zu Lebzeiten zu inszenieren verstand«, sagt der Regisseur Bastian Kraft.
Das funktioniert nur bedingt. Die vier Schernikau-Darsteller (Elias Arens, Thorsten Hierse, Wiebke Mollenhauer, Bernd Moss) – lange Haare, eine etwas altertümliche Brille, schwarze Kleidung mit ein bisschen Glitzer – rufen »Schnitt!« oder »Kamerawechsel!«, um von einer Szene in die nächste zu springen – leider ist das oft zusammenhangslos.
Zusammenhang stiften sollen die biographischen Erinnerungen von Schernikaus Mutter, die in dem Buch »Irene Binz. Eine Befragung« in Versform festgehalten wurden. Margit Bendokat spricht die Texte. Sie erzählen von der Flucht in die BRD im Kofferaum eines Autos und von dem Vater, der längst eine andere Familie hat und sich zudem als Nazi erweist, natürlich auch von Ronalds Kindheit und Jugend in Lehrte in der Nähe von Hannover. Doch die intime Erzählung steht im Kontrast zu dem restlichen Geschehen, das die Grellheit der schwulen Subkultur im Berlin der achtziger Jahre darstellen soll. Die Schernikau-Figuren erinnern in ihrer Überdrehtheit an den von Jean Durjadin gespielten Octave Parango in der Verfilmung von Beigbeders »39,90« – ironisch, schlagfertig, postmodern. Doch was ist mit dem etwas schüchternen, klug und schön formulierenden Schernikau, wie er zum Beispiel 1980 in der Talkshow »Club 2« auftrat? Wo ist der politische Ernst seiner Gedanken?
Es fehlt der Inszenierung das, womit sich Schernikau intensiv und kritisch auseinandergesetzt hat: das Gesellschaftliche. Die Aids-Krise wird kurz abgehandelt, ohne die individuelle Tragik und die politische Situation, die Schernikau in seinem Text »Fickt weiter!« kritisiert, zu berücksichtigen. »allergrößte bewußtheit bei null aktivität. das ist das merkmal des spätkapitalismus«, schreibt Schernikau in »die tage in l.: darüber, daß die ddr und die brd sich niemals verständigen können, geschweige mittels ihrer literatur«, einem der besten Bücher über die BRD und die DDR der achtziger Jahre. Die Aussagen des Buchs verlieren ihre Gültigkeit nicht, sagt Bastian Kraft: »Alle wissen, dass es nicht mehr lange so weitergehen kann, alle sind unzufrieden mit dem System, mit den Strukturen, in denen wir leben, alle sind unglücklich, dass die Klamotten in Sweatshops genäht werden, alle sind unglücklich, dass der Kaffee unfair gehandelt wird: Es herrscht volles Bewusstsein – und gleichzeitig das Einverständnis, dass man nichts ändern kann, das ist das Lähmende. Es ist egal, welche Partei man wählt, an welcher Demonstration man teilnimmt, wo man einkauft – das Gefühl bleibt: Es ändert sich eh nichts. Dieses Dilemma, in dem wir heute mehr denn je stecken, beschrieb Schernikau sehr pointiert.«
Die klugen und anregenden Analysen Schernikaus und seine erhellende und ungewöhnliche Sprache verhalten sich antithetisch zu den ideologischen Phrasen der nationalen Einheits- und Einigkeitsfeierlichkeiten. Diese Faszination beschreibt Kraft im Gespräch: »Ich bin in Hessen aufgewachsen und war zum Mauerfall neun Jahre alt. Mir wurde die Wende ausschließlich als Heilsgeschichte erzählt: Endlich dürfen die armen Ostdeutschen auch Bananen essen. Dann eine Stimme zu hören, die sagt: Ich will diese Bananen nicht!, hat mich nachdenklich gemacht. Mit etwas Distanz können wir heute die Frage stellen, ob es richtig war, der DDR das westliche System einfach überzustülpen.«
Die Inszenierung bedient sich aus dem Repertoire derzeit populärer Stilmittel, wie sie vor allem Frank Castorf an der Berliner Volksbühne propagiert und die inzwischen in den Theatern landauf und landab adaptiert werden. Das Bühnenbild ist ein Sammelsurium aus Sofa, Pissoir, Büchern, Ampel, Schreibmaschine, einer pinken Marx-Büste, Plakaten (SEW, Marx, Heiner Müller, Marilyn Monroe, Peter Hacks), einem Globus und allerlei anderen Utensilien. Dieses Gebilde kann sich drehen. Aufgrund fehlender weiterer Verwendungsmöglichkeiten muss es allerdings ab und zu von den Schauspieler beklettert und bekrabbelt werden. Auch vorhanden ist die inzwischen wohl unvermeidbare Videoleinwand für Live-Übertragungen. Wobei das, was übertragen wird, ein Schernikau-Stück der Tuntengruppe »Ladies Neid«, äußerst unterhaltsam ist. Doch insgesamt wirken die Regieeinfälle einfallslos.
Am Ende gibt es Nebel, buntes Licht, einen Popsong. Wörter und Sätze werden aus dem Bühnenraum gerufen: »Ich umarme Euch!« Beim Applaus gibt es für alle Beteiligten Küsschen von Ellen Schernikau, der Mutter des Schriftstellers. Es ist, wie der gesamte Abend, etwas zu versöhnlerisch. Wie schon Peter Hacks’ Theaterstück »Die Sorgen und die Macht«, das am 2. Oktober am Deutschen Theater die Reihe »Da bin ich noch: mein Land geht in den Westen« zum 25. Jahrestag der Maueröffnung begann, ist es einer Revue ähnlich. Der Abend unterhält, er präsentiert eine Auswahl an Texten Schernikaus, zeigt Ausschnitte seiner Biographie. Doch diese Inszenierung wird einem das Vergnügen nicht ersparen, selbst die Schriften von Ronald M. Schnernikau zu lesen. Der Verbrecher-Verlag bereitet im Zuge einer Werkausgabe für Herbst 2015 die Neuauflage seines Hauptwerkes »legende« vor. Im März des kommenden Jahres wird es eine Schernikau-Tagung im Berliner Literturforum im Brechthaus geben.

Die Schönheit von Ost-Berlin. Deutsches Theater Berlin. Nächste Termine: 18. und 27. November, 6., 16. und 28. Dezember 2014