Das Gedenken an den 70. Jahrestag der Bombardierung Nürnbergs

Die deutsche Trümmerstadt

Als »Stadt der Reichsparteitage« war Nürnberg ein wichtiger Ort der NS-Propaganda. Im Januar 1945 zerstörte die britische Luftwaffe die nordbayerische Stadt. Den 70. Jahrestag der Bombardierung darf in einer Lokalzeitung ein Zeitzeuge kommentieren. Der Mann war NSDAP-Mitglied.

Am 2. Januar 1945 warfen über 500 Flugzeuge der Royal Air Force 1 825 Tonnen Sprengbomben und 479 Tonnen Brandbomben auf Nürnberg ab, das im Vergleich zu anderen deutschen Städten bis dahin noch relativ unbeschädigt war. Fast die komplette Altstadt wurde zerstört, Rüstungsbetriebe wurden getroffen, 1 800 Menschen starben. Das Bombardement war Teil der »moral bombing«-Kampagne unter der Führung von Sir Arthur Harris, dem Oberbefehlshaber des RAF Bomber Command. Das Flächenbombardement sollte den Widerstandswillen der deutschen Bevölkerung brechen.

Oscar Schneider, Ehrenbürger der Stadt Nürnberg, hat den Zweiten Weltkrieg erlebt. In den Nürnberger Nachrichten schreibt der als »historisches Gewissen« der Stadt bezeichnete Schneider im deutschen Jargon: »Der Krieg entartete zum hemmungslosen Vernichtungskrieg.« Damit meint er nicht etwa den Vernichtungsfeldzug der deutschen Wehrmacht, sondern die Bombardierung Nürnbergs. Man scheint zu glauben, dass er sich das als 87jähriger herausnehmen kann, wohl auch, weil seine NSDAP-Mitgliedschaft in dem Beitrag nicht zur Sprache kommt. In einem Interview, das er 2011 der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit anlässlich der Debatte um die Gestaltung des Neubaus des Berliner Stadtschlosses gab, unterstreicht Schneider, wie wichtig die Bedeutung der Verankerung des modernen Menschen in »Heimat, Kultur und Nation« sei. In einem Gastkommentar für die Welt zur Eröffnung des Museums »Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände« in Nürnberg wirft Schneider den Nationalsozialisten vor, sie hätten sich anmaßend als »die wahren Erben der rühmlichen deutschen Nationalgeschichte« verstanden. In die NSDAP (Mitgliedsnummer 9 699 165) trat Schneider im April 1944 ein, zu einem Zeitpunkt also, als die Aussicht auf einen deutschen Endsieg schon deutlich getrübt war.
Geschadet hat das Schneider nicht, er wechselte nach dem Krieg zur CSU, von 1982 bis 1989 war Schneider unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Auch das macht ihn zu einem gerngesehenen Experten im Rahmen einer Reihe von Artikeln zum 70. Jahrestag von Nürnbergs »schwerster Stunde«. Historikerdarstellern wie Guido Knopp nacheifernd, wird dort viel über den Nationalsozialismus geschrieben, doch nichts verstanden.

Bereits früh profilierte sich Nürnberg als nationalsozialistische Hochburg: Julius Streicher gründete dort 1923 die antisemitisch-pornographische Wochenzeitung Der Stürmer, noch vor den Novemberpogromen 1938 erzwang Streicher als Gauleiter von Franken den Abbruch der Hauptsynagoge Nürnbergs am Hans-Sachs-Platz. Die Bedeutung Nürnbergs im Mittelalter als Ort der Reichstage der deutschen Kaiser und die gut erhaltene Altstadt gefielen Hitler, der Nürnberg als »deutscheste aller deutschen Städte« bezeichnet haben soll.
Hinzu kam Nürnbergs zentrale Lage mit guter Verkehrsanbindung durch die Reichsbahn. Bis zum Kriegsbeginn entstanden die Monumentalbauten des Reichsparteitagsgeländes, auf dem die NSDAP bis 1939 ihre Massenaufmärsche veranstaltete. 1935 erließ der Reichstag auf dem »Reichsparteitag der Freiheit« die antisemitischen Nürnberger Gesetze. 1933 lebten 7 500 Juden in der Stadt. Zu Beginn der Deportationen in die Vernichtungslager im Herbst 1941 waren es noch 1 800. Etwa 100 von ihnen überlebten die Shoah. Nach Kriegsende wurde in Nürnberg den wenigen lebenden und verhafteten Nazigrößen vor dem Internationalen Militärgerichtshof der Prozess gemacht. Heute soll ein grauer Verkehrsknotenpunkt als »Platz der Opfer des Faschismus« weitab des Zentrums an die Opfer der nationalsozialistischen Barbarei erinnern. In bester Altstadtlage wird mit einem unübersehbaren Denkmal lieber der »Heimatvertriebenen« gedacht.
»Nürnberg hat seine Rolle in der NS-Zeit nicht geleugnet oder ignoriert, sondern sich intensiv und kontrovers damit auseinandergesetzt«, heißt es auf der Internetseite des Menschenrechtsbüros der Stadt. Seit 1993 vergibt die »Stadt der Menschenrechte« und Zentrum der bayerischen Sozialdemokratie einen internationalen Menschenrechtspreis. Eine »Straße der Menschenrechte« mit Säulen, die Kurzfassungen der Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 tragen, soll als Mahnmal dienen. Jüngst wurden die Säulen mit Hakenkreuzen sowie den Parolen »Wir sind das Volk« und »Pegida« beschmiert.

Wohl angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt und der kaum zu übersehenden NS-Bauten hat sich in Nürnberg, anders als etwa in Dresden, kein ausgeprägter »Bombenholocaust«-Opferkult entwickelt. Die Erinnerung an die Zerstörung der historischen Altstadtgebäude beherrscht den Diskurs über das Bombardement am 2. Januar 1945. Obwohl Nürnberg zu 90 Prozent zerstört worden war, wurde es im Unterschied zu Städten wie Hannover weitgehend originalgetreu wiederaufgebaut.
Manchen Bürgern geht die Mittelalterkopie der Albrecht-Dürer-Stadt mit Lebkuchen-, Weihnachtsmarkt- und Bratwurst-Folklore jedoch nicht weit genug. Die »Altstadtfreunde Nürnberg« setzen sich etwa für die Wiederherstellung des historischen Rathaussaals, einst größter Profanbau nördlich der Alpen, in den Vorkriegszustand ein. Der Vereinsvorsitzende Karl-Heinz Enderle meint zu der geplanten Traumabewältigung: »Es war richtig, dass die Stadt in den letzten Jahren in die Orte der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus investiert hat. Es braucht aber auch Räume, auf die die Bürger stolz sein können.« Investiert hat die Stadt in das »Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände«, das 2001 eröffnet wurde. Im Kuratorium sitzt der ehemalige NSDAPler Oscar Schneider.