Dietmar Bartsch im Gespräch über den Sieg von Syriza in Griechenland

»Natürlich habe ich gefeiert«

Von Ivo Bozic

Dietmar Bartsch ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion »Die Linke« im Deutschen Bundestag. Mit ihm sprach die Jungle World am Montagmorgen über den Sieg von Syriza, deren Koalition mit der rechten Partei »Unabhängige Griechen« (Anel) und die Konsequenzen für die europäischen Linksparteien.

Und, schön gefeiert?
Ja, natürlich habe ich gefeiert. Die Linke hat zwar in letzter Zeit hin und wieder Erfolge errungen, aber der großartige Sieg der griechischen Syriza ist schon etwas Besonderes.
Was bedeutet der Wahlsieg von Syriza für Griechenland?
Die Chance auf eine bessere wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die Wahl zeigt, dass ein grundsätzlich alternatives Programm für Griechenland und Europa mehrheitsfähig sein kann. Ich gehe davon aus, dass dies Veränderungen für die Politik in Europa bringt. Da sind auch wir und andere linke Parteien gefordert.
Die Versprechungen, die Alexis Tsipras und seine Partei gemacht haben, sind ja schon recht umfangreich. Was wird die neue Regierung überhaupt umsetzen können? Sind Enttäuschungen nicht programmiert?
Was Syriza sich als Ziel gesetzt hat, ist richtig und vernünftig. In welcher Geschwindigkeit und in welchem Umfang die Forderungen umgesetzt werden können, das hängt nicht nur von unseren Genossinnen und Genossen ab. Aber ich finde, die Entschlossenheit, die sie an den Tag legen und mit der sie schon den Wahlkampf angegangen sind, beachtenswert.
In Europa sehen viele Syriza als Schreckgespenst. Was bedeutet das Wahlergebnis für die Zukunft Europas?
Ein Schrecken war die Politik, die in Europa in den letzten Jahren durchgesetzt worden ist, die in Griechenland 25 Prozent Arbeitslosigkeit, über 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit und Rentenkürzungen von 40 Prozent gebracht hat. Ähnliche Entwicklungen gibt es auch in anderen Ländern. Jetzt gibt es die Chance, einen Kurswechsel in Europa zu vollziehen. Der Syriza-Sieg ist allerdings tatsächlich ein Schreckgespenst für die Oligarchen in Griechenland und für diejenigen, die Banken retten, aber nicht die Menschen und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen.
Welche Konsequenzen aus dem Wahlergebnis in Griechenland fordern Sie von der deutschen Bundesregierung?
Die Bundesregierung sollte das tun, was normal ist, nämlich mit der neuen griechischen Regierung Gespräche aufnehmen. Meiner Meinung nach ist eine Schuldenkonferenz für Europa notwendig mit dem Ziel, einen konditionierten Schuldenschnitt für Griechenland zu ermöglichen. Vor allem muss endlich wieder in den Blick genommen werden, was den Menschen in dem gebeutelten Land nutzt und nicht was allein die Finanzmärkte bedient. Für die deutsche Regierung wird das zumindest bedeuten, dass ihre Europapolitik, die Austeritätspolitik, so nicht mehr fortgesetzt werden kann. Diese Wahl war eben nicht nur eine griechische Wahl. Die Griechen haben gezeigt, dass sie sich nicht weiter von Deutschland und der Troika bevormunden lassen wollen. Griechenland hat das zweite Mal Demokratie zu einem Exportschlager gemacht. Für Deutschland wird es darauf ankommen, auf Regierungsebene mit den neuen Partnern gleichberechtigt und unter Achtung der jeweiligen Interessen umzugehen.
Nicht nur Sie haben gefeiert. Im Fernsehen habe ich auch Diether Dehm jubilieren sehen. Immer wenn der etwas zu feiern hat, ist irgendwas arg schief gelaufen. Könnte es daran liegen, dass das Signal, dass von dieser Wahl ausgeht, vor allem ein antieuropäisches ist, eines der nationalen Rückbesinnung, eines oberflächlichen Antikapitalismus, der die Ursachen für alle Probleme ausschließlich bei fremden Mächten sucht?
Ausdrücklich nicht. Syriza sieht die Ursachen für die Probleme in Griechenland bei den Altparteien, bei der Nea Dimokratia und der Pasok. Die sind abgewählt worden. Alexis Tsipras hat mehrfach gesagt, dass ein Wahlsieg von Syriza ein Segen für Europa ist. Dass sich in der »Linken« alle freuen, empfinde ich als normal und die Freude in Europa geht im Übrigen deutlich über die »Linke« hinaus.
Stimmt. Auch Marine Le Pen und Pegida-Anhänger wie Jürgen Elsässer freuen sich. Syriza musste ja eine Koalition bilden und hat sich gleich am Montagmorgen für eine Regierung mit den »Unabhängigen Griechen« ausgesprochen. Das ist eine rechtspopulistische, nationalistische Partei, die man am ehesten mit der AfD hierzulande vergleichen kann und die schon betont hat, dass sie »rote Linien« bei Themen wie Zuwanderung hat. Haben wir es mit einer Querfront zu tun?
Nein. Das sind Entscheidungen, die man aus der Ferne schwer beurteilen kann. Eine Einschätzung politischer Kräfte in Griechenland kann und will ich nicht aus dem Ärmel schütteln. Ja, ich finde eine Zusammenarbeit, erst recht Koalitionen mit rechtspopulistischen Parteien nicht akzeptabel. Es ist aber offensichtlich so, dass nicht massenhaft Partner für Syriza bereitstanden. Es wird weder in Griechenland noch in Deutschland eine Querfront geben, das wäre völlig absurd. Links ist immer internationalistisch, immer an der Seite derjenigen, die zu den Unterdrückten und Ausgebeuteten gehören, da verbieten sich Querfronten. Ich bin der Auffassung, dass die »Linke« natürliche Bündnispartner hat, in Griechenland und ebenso in Deutschland, nämlich Gewerkschaften, Arbeitslose, kleine und mittlere Unternehmerinnen und Unternehmer, nicht Parteien vom rechten Rand.
Zu den Forderungen von Syriza gehört auch eine Beendigung der militärischen Zusammenarbeit mit Israel. Haben wir es hier mit einer offensiv antiimperialistischen Partei zu tun und erklärt sich vielleicht so Diether Dehms Feierlaune?
Nein. Ich finde, dass es ein wichtiger Schritt wäre, wenn Griechenland die Rüstungsimporte deutlich einschränkt, gerade die aus Deutschland. Griechenland hat mehr Leopard-Panzer als die Bundeswehr. Diese unselige Rüstungspartnerschaft sollte beendet werden. Griechenland wird sich zuerst auf die Probleme im Land konzentrieren. Die deutsche Haltung zu Israel muss völlig klar sein, da teile ich die grundsätzliche Position, die auch Angela Merkel verkündet hat. Nicht nur aus geschichtlicher, sondern auch aus heutiger Verantwortung, die Deutschland hat, muss es eine besondere Haltung zu Israel geben. Da kann es kein Schwanken geben.
Zwischen den europäischen Linksparteien gibt es ja eine recht enge Zusammenarbeit. Hätte man Syriza nicht zu einem anderen Koalitionspartner raten können und sollen?
Ich hätte mir etwas anderes gewünscht, am besten die absolute Mehrheit, die ja zum Greifen nahe war. Aber Wünsche reichen nicht als politischer Fahrplan.
Aber wenigstens Bauchschmerzen müsste Ihnen das Bündnis mit den Rechten doch bereiten?
Ja, das tut es. Aber ich mahne trotzdem zur Zurückhaltung. Wir wollen die von Alexis Tsipras geführte Regierung an den Ergebnissen, an der konkreten Politik bewerten.
Was bedeutet das gute Abschneiden von Syriza für die europäischen Linksparteien?
Das ist ein wichtiges Zeichen für die europäische Linke. Es zeigt der Linken, dass sie mehrheitsfähig sein kann. Wir können daraus Kraft schöpfen. Ich hoffe, dass es in Spanien, Portugal, Irland und anderswo ähnliche Erfolge der Linken geben wird.
Und wird die deutsche Linkspartei aus dem Erfolg der griechischen Genossen Lehren ziehen? Sie würden doch sicher auch mal gerne stärkste Partei werden.
Wir haben das auf kommunaler, regionaler und Länderebene mehrfach geschafft. Auf Bundesebene ist das allerdings aktuell für uns kein Thema. Letztlich muss es aber darum gehen, Mehrheiten zu erringen. Ich wünsche mir, dass manche in der »Linken«, die jetzt Syriza zujubeln, genauso begeistert sind, wenn es bei uns um die Übernahme von Regierungsverantwortung geht.
Wie geht es jetzt weiter mit den europäischen Linksparteien? Wie stellen wir uns das vor? Setzt man sich zusammen und überlegt, wie man gemeinsam Druck gegen die europäische Austeritätspolitik entwickeln kann?
Ja, mit dem Feiern am Wahltag und dem verbalen Bekunden von Solidarität ist es nicht getan. Jetzt wird es um konkretes Handeln gehen. Das gilt selbstverständlich für unsere Fraktionen im Europaparlament und im Deutschen Bundestag, aber nicht nur dort. Es geht darum, genau zu schauen, was kann man konkret tun, auch da, wo wir in Verantwortung sind, wo es linke Bürgermeister, Landräte oder auch Verantwortung in Landesregierungen gibt. Wir sollten alle Möglichkeiten zur Zusammenarbeit voll ausschöpfen.