Die 1. Jüdischen Filmtage in Fürth

Bären, die Hebräisch sprechen

Einst war Fürth das Zentrum jüdischen Lebens in Süddeutschland. Die 1. Jüdischen Filmtage in der fränkischen Stadt starten mit dem Schwerpunkt »Schwule Filme aus Israel«.

Die Kooperation bot sich an: Im Erdgeschoss des Hauses nahe der Innenstadt zeigt das Programmkino »Babylon« Independentfilme, im ersten Stock des Gebäudes leitet Daniela Eisenstein das Büro des Jüdischen Museums Franken. Museum und Kino haben sich nun zusammengeschlossen und präsentieren vom 19. bis 22. Februar die 1. Jüdischen Filmtage in Fürth.
»Der Grundtenor ist die jüdische Gegenwart in ihrer Vielfalt. Die Auswahl der Filme soll aber auch Klischees vom jüdischen Leben aufbrechen«, erklärt die Museumsdirektorin Eisenstein. »Wir wollen keine Schtetlromantik oder groß in der Vergangenheit wühlen«, sagt Tobias Lindemann vom Kino-Babylon, der für die Auswahl der 14 Filme zuständig ist. Deshalb wird es auch unter dem Titel »Schwule Filme aus Israel« einen kontroversen Schwerpunkt geben, über den sich bereits einige Menschen jüdischer Herkunft beschwert hätten.
Provozieren könnte manch strenggläubigen Juden der Film »Du sollst nicht lieben« von Haim Tabakman. Er erzählt die Geschichte zweier ultraorthodoxer jüdischer Männer, die sich ineinander verlieben und vor der Herausforderung eines Coming-outs in ihrem von Orthodoxen bewohnten Jerursalemer Stadtviertel stehen. Im Anschluss an die Vorführung werden Vertreter der drei monotheistischen Religionen über Homosexualität und Judentum diskutieren. Erstmals in Deutschland wird der Film »Bear with me« gezeigt, der einen Einblick in die »Bärengemeinschaft« Israels bietet, einer Szene für Homo- und Bisexuelle mit Vorliebe für hypermaskuline Männer. »Liebesbriefe eines Unbekannten« ist eine erotisch-provokante Verfilmung eines Bestsellers des israelischen Diplomaten und Schriftstellers Yossi Avni-Levy; sieben preisgekrönte Kurzfilme werden außerdem unter dem Titel »Gay Shorts Israel« gezeigt.
Israels schwule Filmszene bringt viele technisch und künstlerisch anspruchsvolle Werke hervor – auch dank staatlicher Unterstützung. »Israelkritiker« wie die Philosophin Judith Butler werfen Israel »Pinkwashing« vor. Das schwulenfreundliche Image des Staates diene dazu, »rassistische« Politik gegenüber nichtjüdischen Israelis zu übermalen. »Wir sind uns dieser Diskussion bewusst«, sagt Organisator Tobias Lindemann. »Ich denke aber, es gibt deshalb so viele schwule Filme, weil Israel mit seiner in der Region einmaligen Liberalität eine Magnetwirkung auf Schwule aus dem gesamten östlichen Mittelmeerraum hat. Es zeigt sich eben, dass es so einen Angriff sowohl von einer vermeintlich linken Seite und andererseits auch der konservativen Seite gibt. Das wollen wir auch gerne diskutieren.«
Neben den Schwerpunktfilmen zeigen die Veranstalter auch weitere progressive Werke, etwa »Get – Der Prozess der Viviane Amsalem«, das sich mit der schwierigen Situation von Frauen in Israel auseinandersetzt, die ihre Ehe auflösen lassen wollen. In Israel gibt es keine zivilgesetzlichen Ehen und deshalb auch keine Scheidungen. Auch zu diesem Film wird es im Anschluss eine von Micha Brumlik moderierte Podiumsdiskussion geben, auf der unter anderem Antje Yael Deusel, die erste deutschstämmige ordinierte Rabbinerin seit der Shoah, sprechen wird.
Außerdem wird Claude Lanzmanns jüngster Film »Der Letzte der Ungerechten« gezeigt. Das 1975 entstandende Interview mit Benjamin Murmelstein, Wiener Rabbiner und »Judenältester« im Ghetto Theresienstadt, war zunächst für Lanzmanns Film »Shoah« vorgesehen. Erst 2012 holte Lanzmann die Aufnahmen aus dem Archiv und präsentierte 2013 das knapp vierstündige Werk auf den Festspielen in Cannes. Seitdem war der Film nur selten auf der Leinwand zu sehen.
Die Filmtage finden an einem für das Judentum historisch bedeutsamen Ort statt. Nach der Vertreibung der Juden aus den Reichsstädten wie dem direkt an Fürth angrenzenden Nürnberg ließen sich in dem damaligen Marktflecken – dank hoher Schutzgelder – ab dem 16. Jahrhundert wohlhabende Juden nieder. Mit dem Ziel, reiche Einwohner anzuziehen und zu halten, wurden den Juden für die damalige Zeit weitreichende Rechte zugestanden. Bald konnte die jüdische Gemeinde mit mehreren Synagogen, Taldmudschulen, einem jüdischen Friedhof, Krankenhaus, Waisenhaus und hebräischen Druckereien beeindrucken. 1720 lebten etwa 1 500 Juden in Fürth, fast 20 Prozent der Gesamtbevölkerung von 5 700, der höchste Anteil im Heiligen Römischen Reich.
Seit einem Edikt des Bayerischen Königreiches von 1813 konnten Juden Grundbesitz erwerben und staatliche Universitäten besuchen. Andererseits wurde das traditionelle Judentum benachteiligt und die jüdische Bevölkerung durch die Einführung einer Höchstzahl an Familien beschränkt. Viele wanderten in andere Städte und nach Nordamerika aus. 1836 schlossen die Behörden die letzten Talmudschulen. Damit kam es zum Ende Fürths als bedeutendstem Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit in Süddeutschland, aber auch zum Aufbruch in die Emanzipation.
Ein Leben als Freie und Gleiche war den Fürther Juden jedoch nie vergönnt. Zwar existierte nie ein jüdisches Ghetto und bis 1933 wurden keine Juden vertrieben. Antijüdische Hetzpredigten, Konfiszierungen hebräischer Bücher, Anklagen wegen »Zauberei« und die Denunziation wegen »Lästerung des christlichen Glaubens« mit folgender öffentlicher Prügel sind aber Teil der jüdischen Stadtgeschichte. 1933 lebten noch 2 000 Juden in Fürth, zehn Jahre später meldeten die Nazis: »Fürth judenfrei«. Aus einem Lager für jüdische displaced persons entstand nach dem Krieg die heutige, knapp 500 Mitglieder zählende jüdische Gemeinde, die sich vor allem aus Menschen aus den ehemaligen GUS-Staaten zusammensetzt.
Angesichts dieser langen Geschichte mag es verwundern, dass erst jetzt ein Jüdisches Filmfestival stattfindet. Zwar kooperierten Museum und Kino bereits für einzelne Filme, doch ausreichend Zeit, Ressourcen und die passende Gelegenheit für ein Festival habe es bislang nicht gegeben, erläutert die Museumsleiterin Eisenstein, die vor allem für die Organisation der Podiumsdiskussionen zuständig ist. Im Mai 2014 hat sich das Team der Filmtage das erste Mal getroffen und im Oktober mit der Planung und Vorbereitung begonnen. Zu diesem Zeitpunkt war der Erfolg autoritärer Bewegungen wie Pegida noch nicht abzusehen, doch Kino-Gesellschafter Christian Ilg stellt zu den Filmtagen klar: »Sie sollen auch ein Kontrapunkt zur aktuellen Deutschtümelei sein.« Eine jährliche Wiederholung ist bereits geplant.

Jüdische Filmtage Fürth, 19. bis 22. Februar