Die Kampagnen der Beschäftigten im Niedriglohnsektor in den USA

Fast Food macht nicht satt

Am 15. April streikten in den USA Zehntausende Beschäftigte im Niedriglohnsektor für einen Mindestlohn von 15 US-Dollar und für mehr Gewerkschaftsfreiheit. Doch selbst nach erfolgreichen Kampagnen müssen Beschäftigte noch lange auf eine Lohnerhöhung warten, wie das Beispiel Seattle zeigt.

Als Beginn für den größten Streik von Beschäftigten im Niedriglohnsektor in der Geschichte der USA wählten die Arbeiterinnen und Arbeiter der Kampagne »Fight for 15« den 15. April, einen Mittwoch – den Tag, an dem die Steuererklärung spätestens abgegeben werden muss, in den USA bekannt als tax day. Zum Auftakt des Streiks fanden in den größten Städten der USA Proteste statt, den Veranstaltern zufolge beteiligten sich 60 000 Menschen. In über 200 Städten machten Arbeiterinnen und Arbeiter ihre Forderungen auf Schildern, Transparenten und per Megaphon deutlich – sie forderten einen bundesweit geltenden Mindestlohn in Höhe von 15 US-Dollar (13,87 Euro) und das Recht auf die Gründung von Gewerkschaften, ohne dafür von Arbeitgebern abgestraft zu werden.
Der derzeit geltende, vom damaligen Präsidenten George W. Bush über zwei Jahre stufenweise eingeführte Mindestlohn auf Bundesebe­ne beträgt 7,25 US-Dollar (6,70 Euro). Davon können Niedriglohnbeschäftigte in den USA kaum überleben, sie verdienen oft gerade genug, um die grund­legenden Lebenshaltungskosten zu decken. Für Arbeiterinnen und Arbeiter, die mit ihrem Lohn eine Familie ernähren müssen, ist die Lage noch härter. In einem Video auf der Nachrichtenseite Progress Illinois vom 15. April erklärt eine Angestellte von McDonald’s, wie bereits das Geld für besondere Ausgaben für die Schule ihrer Kinder fehlt, etwa für den picture day, wenn Fotos für das Jahrbuch gemacht werden: »Picture day steht an und ich muss jeden Pfennig zusammenkratzen, um 17 Dollar zusammenzubekommen. Und das ist wirklich traurig (…) es erschüttert mich.«
Inflation und steigende Wohnkosten machen es den meisten im Niedriglohnsektor Beschäftigten unmöglich, ohne irgendeine Form von staatlicher Unterstützung auszukommen, seien es das Gesundheitsfürsorgeprogramm Medicaid, subventioniertes Wohnen oder Essensmarken. Einem Bericht im Forbes Magazine vom April 2014 zufolge sollen allein die Beschäftigten bei Wal­mart im Jahr 2013 geschätzte 6,2 Milliarden US-Dollar (5,7 Milliarden Euro) an staatlichen Unterstützungsleistungen benötigt haben.

Zunächst hatte sich die Kampagne »Fight for 15« auf Beschäftigte im Fast-Food-Sektor konzentriert, der Fokus wurde dann aber erweitert, so dass sich an den Protesten an diesem 15. April auch Lohnabhängige aus verschiedenen anderen Sektoren beteiligten, darunter häusliche Pflegekräfte, Aushilfslehrkräfte und Sicherheitsdienstpersonal.
Obwohl in den Mainstreammedien der USA als Basisbewegung bezeichnet, ist »Fight for 15« vielmehr in community advocacy groups in Chicago und New York City entstanden, deren Arbeit an der Kampagne von der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft Service Employees International Union (SEIU) finanziert wurde, wie Arun Gupta im November 2013 für das linke Monatsmagazin In These Times recherchierte. Orga­nizern von Gruppen wie »The advocacy group for New York Communities for Change (NYCC)« und »Action Now« in Chicago seien die anhaltend erschreckenden Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten im Fast-Food-Sektor aufgefallen und sie hätten entschieden, eine Kampagne gegen die zu niedrigen Löhne wäre der beste Weg, um die Lage in den betroffenen communities zu verbessern.

Aber die Gruppe, die bei »Fight for 15« wirklich das Sagen hat, ist die SEIU, ein großer Verband, der bereits Unsummen in »Fight for 15« investiert hat. Die SEIU wurde von Arbeiterinnen und Arbeitern für ihre undemokratische Taktik kritisiert. Ein Arbeiter, genannt Sam, der in die ersten Organisationsbemühungen involviert war, beschrieb dies im Gespräch mit Gupta. Als es um die Entscheidung ging, ob gestreikt werden soll, habe SEIU die Stimmen nicht gezählt, »sie haben nicht gesagt, wer gegen einen Streik war, es gab keine Diskussion«. Einige Arbeiter und ihre Unterstützer vermuten, dass die SEIU auch darauf zielt, wenn die gewerkschaftlichen Rechte, für die die Niedriglohnbeschäftigen kämpfen und streiken, erst einmal gewonnen sind, dann die einzige greifbare Gewerkschaft für jene Arbeiterinnen und Arbeiter zu sein, egal was sie von der SEIU halten mögen.
In Seattle hat die SEIU Beschäftigte des Fast-Food-Sektors in einer Reihe von Ausständen geführt, die von der Kampagne »15 Now« inspiriert waren, 2014 angeführt von der Stadträtin Kashma Sawant von der trotzkistischen Socialist Alternative. »15 Now« erreichte die Einführung eines Mindestlohns von 15 US-Dollar für die Stadt Seattle, oder zumindest ein dahingehendes Versprechen. Die Lohnanhebung wird langsam und stufenweise über einen Zeitraum von sieben Jahren erfolgen, große Unternehmen und Franchises müssen sie 2017 vollständig umsetzen.

Am 14. April wussten nur wenige der Beschäftigten von McDonald’s, mit denen ich an verschiedenen Autoschaltern in Seattle sprach, vom für den nächsten Tag geplanten Streik oder der landesweiten Kampagne »Fight for 15«. Viele hingegen waren sich dessen bewusst, dass in Seattle bereits ein Mindestlohn von 15 US-Dollar erkämpft worden war, aber auch, dass die Beschäftigten der Fast-Food-Branche diesen nicht schnell genug erhalten würden. Chris*, ein junger Beschäftigter, der sich lieber bei McDonald’s als bei Starbucks beworben hatte, weil der Arbeitsweg für ihn kürzer war, bemerkte, dass die Lohnerhöhung auf 15 US-Dollar noch »etwa sechs bis sieben Jahre auf sich warten lassen wird, daher ist sie für mich nicht real«. Seine Einschätzung der Folgen von »15 Now« ist aussagekräftig genug; in die Lohnverhandlungen waren die Beschäftigten nicht involviert, die Ergebnisse blieben unklar.
Ohne Gewerkschaften, die ihren Mitgliedern eine direkte Beteiligung und Aufsicht erlauben, bleibt offen, wie die neuen Löhne in Seattle durchgesetzt werden sollen. Unternehmen wie Starbucks, dessen Management gute Verbindungen zur Stadtregierung von Seattle hat, haben hart für die Verzögerung gekämpft. An sich verpflichtende Schritte werden von manchen Firmen umgangen, so hat der Nachtclub »Pandora« die seit dem 1. April für Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten vorgeschriebene Anhebung des Stundenlohns auf zehn Dollar ignoriert. Es ist daher möglich, dass die versprochene Erhöhung auf 15 US-Dollar pro Stunde in den kommenden sieben Jahren wieder gekippt wird.
Folglich beharrt der »Fight for 15«-Streik klugerweise auf den Gewerkschaftsrechten. Dennoch sind es, ähnlich wie bei der Kampagne »15 Now« in Seattle, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die kämpfen und streiken, und die SEIU-Organizer und Regierungsvertreter, die Löhne verhandeln und Entscheidungen treffen. Was letztlich beschlossen wird, kommt nicht unbedingt bei den Beschäftigten an.

* Name von der Redaktion geändert