Jo Seoka im Gespräch über die Morde an südafrikanischen Bergarbeitern

»Das Töten geschah in voller Absicht«

Ende April forderte Bischof Jo Seoka aus Pretoria als Vertreter der südafrikanischen Bench Marks Foundation das deutsche Chemieunternehmen BASF bei dessen Aktionärsversammlung in Mannheim auf, eine Stellungnahme zum Massaker in Marikana in Südafrika abzugeben. Im August 2012 waren dort 34 streikende Bergarbeiter von der Polizei erschossen worden. Die BASF hat mit der britischen Minenbetreiberfirma Lonmin seit 30 Jahren geschäftliche Beziehungen und ist Hauptabnehmer des in Marikana abgebauten Platins. Die Jungle World sprach mit Seoka über das Ergebnis der vom südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma bestellten Untersuchungskommission, bekannt als Farlam-Kommission, und über die Verantwortung von BASF.

Könnten Sie das Ergebnis der Farlam-Kommission zusammenfassen, die Ende März dem Präsidenten Jacob Zuma einen Abschlussbericht vorlegte? Wie bewerten Sie das Ergebnis?
Die Farlam Kommission wurde vom Präsidenten eingesetzt und wird vom pensionierten Richter Ian Farlam geleitet. In Südafrika sind Richter nach ihrer Pensionierung dem Staat gegenüber rechenschaftspflichtig, da sie weiterhin Geld von ihm beziehen. Daher bezweifeln viele Leute in Südafrika, dass Farlam wirklich objektiv und unparteiisch sein kann, insbesondere da in diesem Fall der Regierung vorgeworfen wird, ebenso wie das Bergbauunternehmen Lonmin mitschuldig an dem Massaker in Marikana gewesen zu sein. Zudem mussten wir beobachten, dass die meiste Zeit für die Befragung der Opfer, also der Angehörigen der getöteten Bergarbeiter verwendet wurde und nicht etwa für die Befragung der Tatverdächtigen. Daher wissen wir bis heute nicht, wer den Schießbefehl erteilte. Die leitende Polizeikommissarin, Riah Phiyega, wurde vernommen, ebenso Kommissare auf Provinz- und Regionsebene. Doch diejenigen, die ein Gewehr in der Hand hielten und geschossen haben, wurden nie vorgeladen. Also werden wir wohl nie erfahren, wer die Schüsse abgegeben und wer sie angeordnet hat. Wir können nur ganz allgemein sagen, es war die Polizei.
Es ergibt aber doch Sinn, auch die Befehlsgeber zur Verantwortung zu ziehen?
Ja, das ist wichtig, doch aus den Vernehmungen ist genau das schwer auszumachen. Sicher ist, es kam zu Fahrlässigkeiten und unverantwortlichen Aktionen, doch wer der befehlsgebende Beamte war, wurde nie geklärt.
Haben die Angehörigen der Opfer und die streikenden Bergarbeiterkollegen denn das Gefühl, durch die Untersuchungskommission irgendeine Art von Gerechtigkeit zu erfahren?
Nein. Erst kürzlich sagte eine der Witwen im Interview, das einzige, was ihre Trauer beenden und sie vom Schmerz befreien könnte, wäre, genau zu wissen, wer ihren Mann getötet hat. Die Angehörigen verstehen einfach nicht, warum das passiert ist, denn die Arbeiter waren nicht gewalttätig und nicht bewaffnet, während die Polizei mit R1-Gewehren ausgestattet war, also mit sehr gefährlichen Waffen. Von daher gab es keinen Anlass für einen Schießbefehl, viele Arbeiter wurden mit erhobenen Händen erschossen – von hinten auf der Flucht. Der Körper eines Arbeiters war durch über 20 Kugeln zerschossen. Das Töten geschah in voller Absicht. Und es wurde sehr gut vorbereitet. Wir wissen das so genau, weil kurz vor der Schießerei die Leichenwagen bestellt und Sozialarbeiter sowie medizinisches Personal herbeigerufen wurden. Auch die Kirchen wurden hergebeten, um Beistand zu leisten.
Sie werfen Lonmin vor, diesen militärisch aufgerüsteten Einsatz der Polizei gegen die streikenden Bergarbeiter unterstützt zu haben. Worin genau bestand diese Unterstützung und was sind die Ergebnisse der Untersuchungskommission in diesem Punkt?
Am Tag des Massakers war ich persönlich auf dem Hügel und sprach mit den Arbeitern, die unter Tage das Gestein abbauen. Sie baten mich, den Geschäftsführer zu ihnen zu bitten, damit sie ihre Anliegen der Firmenleitung vorbringen können. Ich ging also in das Büro der Geschäftsführung und traf dort einige Leute, die mir jedoch alle sehr direkt sagten, dass sie nicht bereit seien, mit den Arbeitern zu sprechen. Damit ist klar: Dadurch dass Lonmin nicht auf ihre Bitte reagierte, hat die Geschäftsführung den Arbeitern den Dialog versagt. Stattdessen wurde mir noch auf dem Werkgelände geraten, das Terrain der streikenden Arbeiter zu verlassen, weil es gefährlich sei. Als wir abzogen, war bereits sichtbar, dass es irgendwelche Aktionen der Polizei geben wird. Die Hubschrauber kreisten über dem Gelände, Polizeiwagen waren überall unterwegs und instruierten die Leute, wo sie sich aufhalten dürfen und wo nicht.
Es wurden Mordvorwürfe gegenüber dem Vorstand von Lonmin erhoben. Warum? Und wie wird der Fall nun weiter behandelt?
Das sind zunächst Beschuldigungen, die darauf fußen, dass die Unternehmensführung die Verhandlungen verweigert hat. Auch wäre die Polizei nicht anwesend gewesen, hätte die Unternehmensführung sie nicht gerufen. Es gab ja keinen Privatbesitz zu schützen. Tatsächlich hat die Bench Marks Foundation zwei Tage vor dem Massaker eine Warnung herausgegeben, dass hier Anstiftung zur Unruhe vorliege. Die Warnung wurde von Lonmin ignoriert – hätten sie darauf gehört, wäre es vermutlich nicht zu der Schießerei gekommen.
Erklären Sie bitte kurz, was die Bench Marks Foundation macht.
Die Bench Marks Foundation untersucht die ethische und soziale Verantwortung von Unternehmen und fertigt primär Studien über die Arbeitsbedingungen in großen Unternehmen an. Wir haben unsere Arbeit über die Jahre auf die Bergbauindustrie fokussiert, weil die Mehrheit der sogenannten Analphabeten und ungelernten Arbeiterinnen und Arbeiter in diesem Sektor tätig ist. Und ihre Interessen stehen nicht gerade oben auf der Agenda der meisten politischen Akteure in Südafrika, obwohl die Bergleute erheblich zum Reichtum des Landes beitragen. Wir haben über Jahre hinweg auf die Diskrepanz zwischen dem, was die Unternehmen offiziell in Hochglanzbroschüren verlautbaren, und den realen Arbeitsbedingungen hingewiesen.
Ende April hat der Dachverband der kritischen Aktionäre und Aktionärinnen auf der Hauptversammlung der BASF beantragt, den Vorstand für das Geschäftsjahr 2014 nicht zu entlasten. Zunächst die Frage: Welche ökonomischen Beziehungen unterhalten BASF und Lonmin?
Lonmin produziert Platin, das an BASF verkauft wird, die daraus hauptsächlich Katalysatoren für Fahrzeuge herstellt, die weltweit verkauft werden. Zudem heißt es, BASF sei Lonmins größter Abnehmer. Wenn es nun zutrifft, dass BASF in Mannheim einen Verhaltenskodex und ein Nachhaltigkeitsprogramm verabschiedet hat, die sich explizit auch auf die Zulieferbetriebe beziehen, dann sollten die Mitglieder des Vorstandes auch dafür verantwortlich sein, die Politik von Lonmin in denjenigen Gemeinden in Südafrika zu beeinflussen, in denen Lonmin unternehmerisch tätig ist und Platin gewinnt. In Deutschland sind die Standards sehr hoch, die Arbeitssicherheit und Löhne am Beginn der Produktionskette sehen anders aus: In Südafrika werden die Arbeiter in den Platingruben, die am Anfang der Wertschöpfung stehen, behandelt wie Maschinen. Ihre Löhne sind in keiner Weise vergleichbar mit den Löhnen, die BASF zahlt.
Wir denken, dass die BASF ihre Aktionärinnen und Aktionäre über die Geschäftsbeziehungen mit Lonmin informiert haben sollte, so dass diese entscheiden können, wie sie als Mitverantwortliche diese Partnerschaft bewerten und darüber befinden, ob und wie sie die Politik von Lonmin beeinflussen können. Das ist nicht passiert. Es scheint vielmehr, dass die Aktionäre in keiner Weise darüber informiert wurden, was im August 2012 in Marikana passiert ist. Es hat keinerlei Stellungnahme von Seiten der BASF zum Massaker gegeben.
Was genau wollten Sie mit der Eingabe in Mannheim Ende April erreichen? Und wäre nicht die Veröffentlichung des Farlam-Berichtes, der derzeit nur Präsident Zuma vorliegt, Voraussetzung für die BASF, überhaupt tätig zu werden?
Erstens wollten wir die Aktionäre über das begangene Unrecht ihrer Geschäftspartner informieren und darüber, wie ihre Investitionen dafür genutzt werden, Menschenrechte zu missachten. Um klarzustellen, dass das nichts mit sozialer Verantwortung zu tun hat. Wir hoffen, dass die Empfehlungen des Abschlussberichtes beinhalten – und das geht aus den bereits einsehbaren Beweisaufnahmen der Untersuchungsleiter hervor –, ein System für finanzielle Ausgleichszahlungen an die Witwen und Kinder ins Leben zu rufen, mit dem beispielsweise die Ausbildung der Kinder der ermordeten Bergleute finanziert wird.
Ist es nicht schwierig, auf Menschenrechte zu pochen, wenn es um kapitalistisch operierende Unternehmen geht?
Tatsächlich ist längst hinreichend bewiesen, dass dort, wo Menschenrechte gewahrt werden, die Arbeit auch viel besser läuft. Ein Unternehmen verliert also nichts, wenn es sozial verantwortlich handelt.
Die Vereinbarung, die im Platinsektor voriges Jahr durch die Streiks letztlich erreicht wurde, gilt als Bezugspunkt auch für andere Bergbau­sektoren in Südafrika. Haben die Bergarbeitergewerkschaften nun mehr Macht und Einfluss?
Es ist klar, dass die Möglichkeiten für Lohnverhandlungen gewährt werden müssen. Insbesondere die Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU) ist stark gewachsen und hat zahlreiche gewerkschaftlich wie auch nicht-gewerkschaftlich organisierte Arbeiter für sich gewinnen können. Viele sind von der viel größeren NUM (National Union of Mineworkers, der Regierungspartei ANC nahestehend, Anm. der Red.) zur AMCU gewechselt, aufgrund des Erfolges, den diese nach fast fünf Monaten Streik erringen konnte. Viele Bergbaugesellschaften sind nun bereit, mit der AMCU zu verhandeln, sie werden alles tun, um einen solchen Streik in Zukunft zu verhindern. Andere Gewerkschaften haben das gleiche probiert, doch sie haben nie den Effekt erzielt wie die AMCU im Platinsektor.
Angesichts der derzeitigen aktuellen Lohnverhandlungen in anderen Sektoren wie Gold und Kohle, was wurde aus Marikana gelernt?
Ich glaube nicht, dass die Gewerkschaften, wenn sie im Juni um Lohnerhöhungen kämpfen, unerfüllbare Forderungen stellen werden. Und ich möchte glauben, dass seit dem Streik Unternehmen wie Lonmin und andere Minenbetreiber bereit sind, mit der AMCU zu verhandeln. Früher gab es diesen Prozess in der Form nicht, weil für die gesamte Platinbranche Lohnverhandlungen, wie sie in der Goldindustrie bereits existierten, gar nicht vorgesehen waren. Diese Möglichkeit ist eben inzwischen auf den Platinbergbau ausgedehnt worden.

Weitere Informationen zur Kampagne und zur Reaktion der BASF unter: https://basflonmin.wordpress.com/