Der Streik bei der Post

Willkommen in der Postmoderne

Obwohl es der Post wirtschaftlich glänzend geht, will sie bei den Personalkosten sparen, um ihre Gewinne weiter zu steigern. Beim derzeitigen Streik der Zusteller geht es nicht nur um Gehaltserhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen, sondern vor ­allem um die Abwehr von Lohndumping und Outsourcing.

Der Paketzusteller der Zukunft wird leise brummen, einen Propeller haben und im Unterhalt sehr billig sein – glauben viele, aber nicht der Vorstandsvorsitzende der Post, Frank Appel. Nach seiner Einschätzung wird die Lieferung von Briefen oder Paketen per Drohne auf spezielle Bereiche wie den Transport eiliger Medikamente beschränkt bleiben. Appel glaubt an die Zukunft des Zustellers aus Fleisch und Blut – gerade deshalb will er im derzeitigen Arbeitskampf bei der Post nicht nachgeben. Der Ausgang des Anfang Juni begonnenen unbefristeten Streiks bei der Post entscheidet über die Zukunft der gesamten Branche. Setzen sich die Manager im 42 Stockwerke hohen Bonner Post-Tower durch, werden die Zusteller langfristig zu Niedriglöhnern.

Die Paketlieferung ist eine der wenigen boomenden Branchen, in der viele neue Arbeitsplätze entstehen. Doch anders als zu Zeiten des rheinischen Kapitalismus werden heutzutage die Beschäftigten an den steigenden Gewinnen nicht mehr beteiligt. »Unsere Löhne liegen doppelt so hoch wie bei unseren Wettbewerbern – wenn wir so weitermachen, entstehen neue Arbeitsplätze in der Paketzustellung nur noch bei der Konkurrenz«, behauptete Appel im aktuellen Tarifkonflikt. Das wird ganz gewiss nicht geschehen, und niemand weiß das besser als der Vorstandsvorsitzende der Post selbst. Der Internethandel ist erst am Anfang. »Für immer mehr Pakete brauchen wir immer mehr Personal in der Zustellung«, sagte er noch bei der Hauptversammlung der Post im Mai. »Wir rechnen bis 2020 mit einem Mehrbedarf von bis zu 10 000 Mitarbeitern«, sagte Appel. Und nicht nur das: »Der Paketmarkt boomt. Bis 2025 erwarten wir daher sogar 20 000 neue Stellen in diesem Bereich.«
Die – so der offizielle Name – Deutsche Post DHL Group ist mit fast 500 000 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber weltweit. In Deutschland hat sie eine marktbeherrschende Stellung, Konkurrenten wie Hermes, UPS, DPD oder TNT können ihr nichts anhaben. Die Wettbewerber dienen ihr im derzeitigen Arbeitskampf lediglich als Argumentationshilfe, ins Gehege kommen sie ihr nicht. Umgekehrt gilt aber: Senkt die Post die Löhne, sinkt der Druck für die Konkurrenten, ebenfalls keine Niedriglöhne zu zahlen. Das Einstiegsgehalt bei der Post liegt in der niedrigsten Tarifstufe bei 1 738 Euro brutto im Monat. Die Post beschäftigt in Deutschland 170 000 Menschen, darunter 38 000 Beamte und 85 000 Zusteller. An 28 Tagen haben Angestellte bereits befristet gestreikt, um ihre Forderungen nach 5,5 Prozent mehr Gehalt und einer Arbeitszeitverkürzung von 38,5 auf 36 Stunden durchzusetzen. Im Mai hat die Post einen Etappensieg errungen. Sie hat vor dem Arbeitsgericht Bonn das Recht erstritten, Beamte als Streikbrecher einsetzen zu dürfen, zumindest, wenn diese freiwillig den Kollegen in den Rücken fallen. Doch auch die Beamten werden nicht verhindern können, dass Millionen von Briefen und Paketen mit erheblicher Verspätung zugestellt werden, wenn der Streik Schritt für Schritt ausgeweitet wird.
Nur vordergründig dreht sich der Arbeitskampf um mehr Geld und weniger Arbeitszeit. Tatsächlich geht es um die Abwehr eines drastischen Richtungswechsels. Die Post hat in den vergangenen Monaten 49 Regionalgesellschaften gegründet, bei denen bis Ende des Jahres 8 500 Zusteller arbeiten sollen. Sie verdienen nach Gewerkschaftsangaben rund 20 Prozent weniger als die Kollegen, die dem Haustarif des Mutterkonzerns unterliegen, weil sie nach dem Tarifvertrag für die Logistikbranche bezahlt werden. Die Post hat die Zahl der befristet Beschäftigten im vergangenen Jahr auf 24 000 erhöht. Jetzt hat sie vielen das Angebot gemacht, in eine der neuen Regionalgesellschaften zu wechseln und dort einen unbefristeten Vertrag zu bekommen – zu deutlich schlechteren Konditionen.

Die Gewerkschaft Verdi fordert, dass die Mitarbeiter der Regionalgesellschaften in den Haustarifvertrag der Post aufgenommen werden und will dafür auf Lohnerhöhungen verzichten und für neue Beschäftigte langsamere Lohnsteigerungen akzeptieren. Die Post weist das strikt zurück. »Mit der Forderung nach Abschaffung der seit Monaten schon tätigen Regionalgesellschaften für die Paketzustellung stellt die Gewerkschaft ihre eigenen regionalen Tarifverträge für die Speditions- und Logistikbranche in Frage«, erklärte Melanie Kreis, Konzernpersonalvorstand und Arbeitsdirektorin der Post. Tatsächlich ist es nach dem Arbeitskampf bei Amazon bereits das zweite Mal, dass die Arbeitgeberseite mit einem von Verdi selbst ausgehandelten Tarifvertrag kontert. Allerdings wird bei Amazon nur in Anlehnung an den Logistiktarifvertrag gezahlt, denn das Unternehmen akzeptiert überhaupt keinen Tarifvertrag.
So weit ist es bei der Post noch nicht. Doch Verdi und die ebenfalls für die Post zuständige Kommunikationsgewerkschaft DPV fürchten ­einen Dammbruch. Ende des Jahres 2015 laufen zwei entscheidende Vereinbarungen zwischen Post und Gewerkschaften aus: erstens der Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen und zweitens das Verbot, weitere Bezirke an Subunternehmer zu vergeben. Durch die weitere Auslagerung von Tätigkeiten an Dritte würde der Druck auf die Beschäftigten enorm steigen. Das Anheuern von Subunternehmern lohnt sich nur, wenn diese sich selbst ausbeuten oder schlechtere Löhne zahlen. Deshalb wollen die Gewerkschaften weitere Ausgliederungen unbedingt verhindern – doch das wird schwer. Aber keineswegs, weil die Post in Turbulenzen ist oder Probleme mit der Konkurrenz hätte. Der Konzern steht bestens da. Das Problem sind die Gewinnziele des Vorstands um den Vorsitzenden Appel. Der ehemalige Staatskonzern wurde vor 20 Jahren von der damaligen schwarz-gelben Regierung unter Helmut Kohl (CDU) von einer Behörde zu einem Unternehmen gemacht. Vor 15 Jahren ging die Post an die Börse. Im Gegensatz zum ehemaligen Staatskonzernteil Telekom legte sie dort das hin, was Fans des ­Kapitalmarkts eine Erfolgsgeschichte nennen. Der Wert der Aktie stieg und stieg, die meisten Analysten empfehlen den Kauf. Derzeit ist der Konzern Europas größte Post und der weltweit führende Logistiker mit einem Umsatz von 55 Milliarden Euro und einem zu versteuernden Gewinn von drei Milliarden Euro im Jahr 2014. Das reicht den Leuten in den obersten Etagen des Post-Towers nicht. Appel will den Gewinn bis 2020 um jährlich acht Prozent steigern, auf dann fünf Milliarden Euro. »Kein anderer Dax-Konzern hat so konkrete und zugleich so ehrgeizige Ziele«, so die unternehmensfreundliche Wirtschaftswoche, die den eingeschlagenen Weg trotzdem skeptisch sieht: »Appels Sparkurs gefährdet Service und Qualität.« Einen Beitrag zur Gewinnsteigerung sollen auch die sogenannten Postagenturnehmer leisten. Das sind Einzelhändler oder Kiosk­besitzer, die in ihrem Laden einen kleinen Postschalter einrichten. Sie brauchte die Post, um die vielen Filialschließungen zu kompensieren. Von den 25 000 Filialen und Paketshops werden nach Schätzungen des Postagenturunternehmensverbands 30 Prozent schließen müssen, weil die Post nun die festen Kostenzuschüsse für die Betreiber kürzt. Sie sollen nur noch Provisionen erhalten, die von den Einnahmen abhängen. Damit verlagert die Post das gesamte unternehmerische Risiko auf die Lizenznehmer.

2014 schüttete die Post 49,7 Prozent des Nachsteuergewinns – mehr als eine Milliarde Euro – als Dividende an die Aktionäre aus. Der Rest fließt unter anderem in Infrastruktur und neue Entwicklungen, etwa die Zustellung von Paketen in den Kofferräumen von Autos. Damit sollen künftige Gewinne gesichert werden. »Der Vorstand will nur Kapitalmarktinteressen befriedigen«, sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende von Verdi, Andrea Kocsis. Der größte Einzelaktionär der Post ist der Bund mit einer Beteiligung über die Kreditanstalt für Wiederaufbau von knapp 21 Prozent. Die Bundesregierung habe großen Einfluss auf die Post, so der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger: »Als größte Einzelaktionärin muss sie ihrer Verantwortung für die Beschäftigten nachkommen und sich gegen miese Bezahlung und Lohndrückerei stark machen.« Doch das hat die Bundesregierung offenbar nicht vor.
Der Service der Post ist häufig schlechter als der der Wettbewerber. Der Postbote stellt ein Paket einmal zu, der Zusteller vom Konkurrenten Hermes zum Beispiel versucht es viermal, der von UPS immerhin dreimal. Die Preise der Post sind höher, obwohl sie im Kerngeschäft von der Mehrwertsteuer befreit ist. Im Gegenzug ist sie als so genannter Universaldienstleister verpflichtet, Kunden von der Zugspitze bis zu nördlichsten Hallig Briefe und Pakete zuzustellen. Dafür gibt es klare Vorgaben, Pakete bis 20 Kilogramm etwa müssen innerhalb von zwei Tagen zugestellt werden, 80 Prozent der Briefe am folgenden Werktag. Ob das der Fall ist, überwacht ein eigenes dafür beauftragtes Institut. Es hat bislang nichts zu beanstanden. Kunden aber erleben immer wieder erhebliche Verzögerungen. Zu wenige Zusteller haben zu große Bezirke, der Krankenstand ist aufgrund der hohen Arbeitsbelastung hoch, kritisieren Arbeitnehmervertreter.
Für die Post zu hoch sind nur die Forderungen der Gewerkschaften. »Mit einer Mehrbelastung von rund 300 Millionen Euro wäre es sogar eine spürbare Verschärfung unseres bestehenden Wettbewerbsnachteils«, sagt Personalvorstand Kreis. Aber: Die höheren Löhne sind ganz offensichtlich kein Wettbewerbsnachteil. »Die Post gewinnt Jahr für Jahr Marktanteile von diesem riesigen, wachsenden Paketmarkt dazu und deswegen hat die Post heute kein Problem mit den Mitbewerbern«, sagt Verdi-Verhandlungsführerin Kocsis. Im Briefgeschäft ist es für Privatkunden kaum möglich, auf einen Wettbewerber auszuweichen. Viele werden nur im Auftrag von Firmen oder Behörden tätig, Privatkunden können dort keine Briefe aufgeben. Deshalb hat die Post im Briefgeschäft einen Marktanteil von 90 Prozent. Über den Marktanteil der DHL Paket im Paket­geschäft schwanken die Angaben. Der Post zufolge sind es 43 Prozent, Verdi nennt 46 Prozent – Tendenz steigend. Der Konzernvorstand Appel sagt: »Die DHL Paket entwickelt sich prächtig in Deutschland.«