Uli Tomaschowski im Gespräch über Sprachkurse für Flüchtlinge

»Ziel ist es, die Isolation zu durchbrechen«

Die Situation von Geflüchteten in der deutschen Provinz ist häufig menschenunwürdig. Uli Tomaschowski rief daher das Projekt »Teachers on the road« ins Leben, vor allem Sprachkurse sollen dabei dazu dienen, die Lebensbedingungen von Flüchtlingen zu verbessern. Hunderte Menschen unterstützen deutschlandweit das Projekt. Mit der Jungle World sprach Tomaschowski über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten einer solchen Initiative, konkrete Solidarität und die diskriminierenden Gesetze in Deutschland.

Aus welcher Motivation heraus haben Sie das Projekt gegründet?
Meine Frustration über die Entwicklungen in der antirassistischen Szene war 2012 sehr groß. Berichte von Freunden über die seltsamen Auseinandersetzungen auf dem No-Border-Camp in Köln und Düsseldorf hatten mich noch mehr frustriert. Eine größere gesellschaftliche Bewegung, die nicht in identitären Diskursen und Sprachkritik verhaftet bleibt, schien unmöglich. Es kam viel mehr auf das richtige Bekenntnis als auf die politischen Ziele an. Die Diskurse hatten eine sehr seltsame Dynamik entwickelt und wurden mit einer Vehemenz geführt, die an anderer Stelle notwendig gewesen wäre.
Mit dem Projekt wollte ich darauf antworten. Die Idee ist, dass sich die Leute durch ihr Engagement selbst politisieren. Sie brauchen niemanden, der ihnen sagt, wie sie zu denken und wie sie sich zu verhalten haben, noch müssen sie ein Bekenntnis ablegen, bevor sie mitmachen können. Wenn man Flüchtlinge unterrichtet und kennenlernt, bekommt man auch mit, mit welchen Problemen sie konfrontiert sind, und verhält sich solidarisch. Dieses Konzept hat gut funktioniert und viele Leute bewegt, mitzumachen und längerfristig dabeizubleiben. Die jeweiligen »Teachers-« und »Konkrete Solidaritäts-Gruppen« handeln autonom.
Sollen auch die Geflüchteten selbst politisiert werden?
Nein, Ziel unseres Projekts ist es vor allem, die Isolation der Menschen zu durchbrechen. Es gibt viele Flüchtlinge, die bereits politisch sind und dementsprechend handeln. Außerdem gibt es viele selbstorganisierte Gruppen von Flüchtlingen, die das weit besser vermögen als wir.
Wie verlief die konkrete Umsetzung des Projektes?
Teachers on the road gibt es seit 2013. Die Idee wurde aber schon 2006 geboren. Damals war ich noch im Multikulturellen Zentrum Trier als Deutschlehrer tätig. Wir hatten die Idee, ehrenamtlichen Deutschunterricht für Flüchtlinge aus der Erstaufnahmeeinrichtung zu organisieren. Dieses Projekt läuft nun seit neun Jahren erfolgreich. Da viele der Flüchtlinge nach dem Transfer von der Erstaufnahme in die Kommunen aber keinerlei Möglichkeit hatten, einen Deutschkurs zu besuchen, wollten wir mit Teachers on the road unser Trierer Konzept multiplizieren.
Das Projekt selbst entstand dann 2013 bei unserer Anti-Isolations-Tour durch zahlreiche Flüchtlingsunterkünfte in Rheinland-Pfalz. Wir machten in jeder Unterkunft eine genaue Bestandsaufnahme hinsichtlich Unterbringung, medizinischer Versorgung, Zugang zu Bildung und rassistischen Übergriffen. Außerdem befragten wir die Flüchtlinge nach ihren Anliegen. Am häufigsten äußerten sie den Wunsch, schnell Deutsch zu lernen. Bis die Leute einen Aufenthaltstitel erhalten, hatten sie damals nur in den wenigsten Kommunen die Möglichkeit, einen Deutschkurs zu besuchen. Daher starteten wir das Projekt. In den größeren Städten gelang uns das ganz gut. Seit dem Beginn des Projekts waren bestimmt schon an die 400 Menschen dort aktiv, viele machen längerfristig mit oder steigen nach einer Pause wieder ein.
Was leistet das Projekt konkret?
Wir bieten Deutschunterricht für Flüchtlinge mit dem Ziel, deren Isolation zu durchbrechen und viele Kontakte herzustellen. In den Kursen geht es vor allem um Konversation. Unser Ziel ist es nicht, einen professionellen Sprachkurs zu ersetzen. Dafür sollten gut ausgebildete und bezahlte Lehrkräfte eingestellt werden.
Durch das Projekt entsteht ein Stück Gesellschaft, wo vorher nichts war. Das ist im Übrigen bei allen ehrenamtlichen Initiativen in diesem Bereich der Fall. Neben dem Deutschunterricht vermitteln wir den Geflüchteten auch zahlreiche Kontakte zu anderen Initiativen und organisieren Vorträge und Demonstrationen mit den Flüchtlingen aus unseren Kursen oder anderen, die wir auf unserer Tour durch die Provinz kennengelernt haben.
Für Ihre Arbeit verwenden Sie und andere viel Zeit und Energie. Wird Ihre Arbeit ausreichend anerkannt?
Darum geht es nicht. Mittelfristig sollte erreicht werden, dass der Staat allen Flüchtlingen vom Tag ihrer Ankunft an den Besuch eines Deutschkurses ermöglicht. Dafür müssen viele gut ausgebildete Lehrkräfte eingestellt werden. Der Bereich von »Deutsch als Fremdsprache« (DaF) ist insgesamt erheblich unterfinanziert. Die meisten DaF-Lehrkräfte arbeiten auf Honorarbasis für private Sprachinstitute. Da müsste auch eine Gewerkschaft her und viel mehr Leute sollten in diesem Bereich fest angestellt werden.
Was sind die größten Probleme für Geflüchtete in Deutschland und Europa? Wie verschärfen sich diese Probleme in der Provinz?
Die größten Probleme sind die geltenden Gesetze. Erst wenn das Asylbewerberleistungsgesetz und das Aufenthaltsgesetz abgeschafft werden, wird eine deutlich spürbare Verbesserung für alle Flüchtlinge eintreten. Aufgrund der Gesetzgebung werden Flüchtlinge in Deutschland so schlecht behandelt. Dies führt zu ihrer Absonderung und Ausgrenzung und treibt die Faschisierung der Gesellschaft weiter voran.
Wie beurteilen Sie die aktuellen Entwicklungen in der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik?
In meinen Augen steuern wir auf die Barbarei zu. Die Gesetze werden immer weiter verschärft, der zivilgesellschaftliche Rest hat noch keine gute Antwort auf die völkische Mobilisierung à la Pegida gefunden. Die Szene war lange zu stark mit sich selbst beschäftigt. Wir sind mit großen Herausforderungen konfrontiert. In einer Zeit, in der längst die Tat das Wort hat – durch Brandanschläge auf Unterkünfte und Übergriffe auf Flüchtlinge und Aktivisten –, muss unsere Solidarität konkreter werden.
Wie sehen Sie die Gegenproteste, etwa gegen die Asylrechtsverschärfung oder gegen Frontex?
Die Gegenproteste gegen die Asylrechtsverschärfung sind sehr wichtig. Das Prinzip des »Teile und Herrsche«, das die Menschen erst entrechtet, um sie dann gegeneinander auszuspielen, muss kaputtgemacht werden. Das geht nur, wenn wir alle Gesetze abschaffen, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft benachteiligen. Natürlich sind auch Alltagsrassismus und Aufmärsche vor den Unterkünften ein riesiges Problem, aber eben doch Folge einer Politik, die die Menschen soweit entrechtet hat.
Sie sind als »Lehrer Uli« die Identifikationsfigur Ihres Projektes geworden und sehen sich mit einem riesigen Organisationsaufwand konfrontiert. Welche Perspektive sehen Sie für die Zukunft?
Das Projekt ist sehr umfangreich geworden. Der administrative Aufwand ist immens. Da ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass ein Projekt wie Teachers on the road leicht zu starten ist. Ich wollte im Prinzip eine schöne Idee verbreiten: Wie man mit einem einfachen Konzept die Isolation von Flüchtlingen durchbrechen kann.