Berlin Beatet Bestes. Folge 296.

Große Freiheit Buxtehude

Berlin Beatet Bestes. Folge 296. Jet-Sons: Hellbound Stories (2013).

Wie jeden Dienstag bin ich im Bassy-Club zum Tanzen. Heute gibt es Live-Musik, diesmal spielen sogar zwei Bands. Die Urban Pioneers sind wieder in der Stadt, ich hatte im Dezember vorigen Jahres bereits über die Band geschrieben. Diesmal bin ich auf ihren lauten Bluegrass-Sound vorbereitet. Eine Handvoll Underground-Country-Fans in Westernhemden und Chucks hat sich auch eingefunden. Sie wippen mit und werfen gelegentlich den Zeigefinger in die Luft. Wir Swingtänzer liefern auf der Tanzfläche unsere Version von Squaredance ab. Nach einer Stunde sind alle nassgeschwitzt und erschöpft. Aber der Abend ist noch lange nicht vorbei. Im kleineren Barraum des Bassy spielen anschließend die Jet-Sons aus Polen. Das Trio hat eine klassische Rockabilly-Besetzung: Standbass, Gretsch-Gitarre, Schlagzeug. Alles weitere ist unüblich. Der Schlagzeuger trägt Brille und Vollbart, der Sänger und Gitarrist sieht aus wie der junge Bernd Begemann. Gleich der erste Song überrascht. Ein Blues, der klingt, als würde Glenn Danzig eine Rockabilly-Band anführen. T.J. Arnalls »Cocaine Blues«, bekannt in der Fassung von Johnny Cash, trägt Sänger Mateusz in einer Version mit polnischem Text vor, in der Kokain mit Whisky ersetzt wird. Bei »Surfin’ Bird« von den Trashmen verlässt er die Bühne und scattet minutenlang »Mamamamamama … Suuuurfin’ bird!« Kein Song, der nicht improvisiert vorgetragen wird, immer wechseln ruhige, bluesige mit dynamischen Passagen, alles fließt und droht aus­einanderzufallen. Viele eigene Stücke runden das Konzert ab. Als sie »Blitzkrieg Bop« spielen, versuche ich kurz Pogo anzuzetteln, bremse mich aber doch. Ob allein oder als Paar, hier tanzen Frauen und Männer einträchtig zusammen, das soll nicht auseinanderfallen.
Ich bin begeistert, eine so humorvolle und intelligente Rock­abilly-Band wie die Jet-Sons habe ich in 35 Jahren nicht gesehen. Und die kommt nun ausgerechnet aus einem kleinen Nest, 200 Kilometer von Krakau, an der ukrainischen Grenze. Vielleicht ist das auch kein Zufall. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich in der Provinz, abseits des eigenen soziokulturellen Zentrums, ein freierer Blick entfalten kann. Als Teenager verbrachte ich einige schreckliche, aber sehr lehrreiche Jahre in der trostlos flachen niedersächsischen Einöde zwischen Buxtehude und Stade. Wir hatten damals viel Zeit und spürten nicht die Zwänge einer überwachenden Szenepolizei, die letztendlich jeden ­eigenen, innovativen Funken killt. Unsere Provinzbands klangen nie so wie die Band aus Hamburg, waren aber leider auch nie so erfolgreich.
Folgerichtig antwortet auch Mateusz auf meine Frage, wie denn andere Rockabilly-Bands auf ihren Sound reagieren: »Wir spielen nicht mit Rockabilly-Bands, sondern lieber mit verschiedenen Bands aller möglichen Genres zusammen.« Grenzensprengende, innovative Bands haben es nie leicht, besonders wenn sie aus Polen kommen. Ich wünsche den Jet-Sons viel Erfolg, sie hätten ihn verdient.