Die Uno sorgt sich lieber um den Klimawandel als um das Chaos der internationalen Beziehungen

United Nations of Appeasement

Über das Desaster der Uno als Siegerallianz und Weltparlament.

Wer für den Völkerbund war, war für Appeasement. Das Wort bedeutet Befriedung. Auch Winston Churchill sprach in den zwanziger Jahren wörtlich von Appeasement als dem Ziel, das Großbritannien in den internationalen Beziehungen anstreben solle. Heute kann der Begriff von niemandem mehr verwendet werden, ohne zugleich das schmähliche Verhalten des Westens gegenüber der nationalsozialistischen Aggression und Churchills fundamentalen Bruch mit dieser Politik in Erinnerung zu rufen.
Dem Wort selbst ist damit historisch eingeschrieben, dass anhaltende Befriedung nur innerhalb des Staats möglich ist – wenn ein anerkanntes Gewaltmonopol die Einhaltung der Verträge zwischen seinen Bürgern garantiert. Sie zwischen den Staaten einzufordern, ist ein »frommer Wunsch«, wie schon Kant bemerkte, der aber das Fromme daran noch nicht so sarkastisch meinte, wie es nach der Erfahrung der Appeasement-Politik verstanden werden muss: Hier gibt es kein allen übergeordnetes, also »souveränes« Gewaltmonopol, kann es per se keines geben, sondern nur Konventionen: Verträge, deren Einhaltung allein vom jeweils gegebenen Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Staaten abhängt. Gerade dieser latente oder manifeste Kriegszustand im Äußeren ist die notwendige, wenngleich nicht hinreichende Bedingung dafür, dass der Staat im Inneren Befriedung ermöglicht, wenigstens solange er nicht selbst durch die Krise kapitalistischer Verwertung in sich zerfällt – wie im nationalsozialistischen »Unstaat« (Franz Neumann), der im selben Maß, in dem die staatliche Einheit in Rackets namens SA, SS, Wehrmacht et cetera zerfiel, Einheit als Vernichtung um der Vernichtung willen herzustellen und über die Welt zu verbreiten wusste.
Die Uno wie davor der Völkerbund verkörpern den frommen Wunsch, aber damit ist zunächst wenig gesagt. Denn wenn hinter der »Weltorganisation«, die den Weltsouverän mimt, ein Staatenbündnis steht, das, aus einem siegreich geführten Krieg hervorgegangen, stark genug ist, die anderen Staaten zu beeinflussen, dann kann Befriedung mehr sein als jene Anpassung an die Katastrophenpolitik, wie sie der Westen gegenüber Nazideutschland einst betrieben hatte; dann mag das internationale Recht dazu dienlich sein, Konflikte einigermaßen friedlich auszutragen und Interessensgegensätze zu regeln.
Zu diesem Zweck trafen sich Churchill und Roosevelt bereits 1941 auf einem Schlachtschiff und entwarfen die Atlantik-Charta, worin ganz klar darauf hingewirkt wurde, die Wiederaufrüstung von Staaten wie Nazideutschland in Zukunft zu verhindern. Die UN-Charta von 1945 scheint dagegen eher wieder ein bürgerliches Gesetzbuch für Staaten zu entwerfen: So wird im 2. Artikel prinzipiell jegliche Einmischung in andere souveräne Staaten untersagt – also auch die Einmischung in solche, die im Namen neuer Katastrophenpolitik abermals Aufrüstung betreiben: »Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit gerichtete  Androhung oder Anwendung von Gewalt.« Es folgen freilich die Kapitel, die der Atlantik-Charta Rechnung tragen und in denen die institutionelle Fortsetzung des Kriegsbündnisses in Gestalt des Sicherheitsrats festgeschrieben wird, der – von der Generalversammlung, in der jeder Staat eine Stimme hat, vollständig abgehoben – autonom entscheidet, wann denn doch die Androhung und Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit notwendig ist; siehe Kapitel 7 über die Bedrohung für den Weltfrieden.

Mit dieser Doppelstruktur von Siegerallianz und Weltparlament hängt zusammen, dass in der Geschichte der Uno nicht einfach das Desaster des Völkerbunds sich wiederholte, dessen Untergang mit dem Vernichtungsfeldzug gegen die Juden zusammenfiel. Dieser Untergang hatte sich darin angekündigt, dass die neue große Macht des Westens, die USA, von Anfang an fernblieb und die größte antiwestliche, Deutschland, in den dreißiger Jahren austrat.
Das Desaster der Uno, das es nun erlaubt, den Vernichtungsfeldzug gegen Israel vorzubereiten, lässt sich im Gegenteil eher daran ablesen, dass ihr beizutreten zu einer Art Volks- bzw. Völkersport geworden ist. Waren es ursprünglich 51 Mitglieder, sind es heute 192. Der Massenansturm hing mit der Entstehung neuer Staaten im Prozess der Dekolonisierung zusammen und schlug sich jenseits des Sicherheitsrats in der Möglichkeit eines »faschistischen Blocks« nieder, wie ihn Max Horkheimer schon 1960 heraufkommen sah: Es gebe einen Plan, eine »starke, Russland wie Amerika gegenüber machtvolle, dritte Gewalt« zu formieren, »einen faschistischen Block, der Staaten der alten Welt mit den sogenannten unterentwickelten Völkern zusammenfasst«. Eben daraus resultiere für Israel eine besondere Situation: »Daß man die Juden betont, heißt nur, daß die Deutschen vor der Losung, Israel zu liquidieren, noch ein altes Vorrecht im Hause haben«, und wie viele Bewegungen in anderen Ländern würden »unter solchen Zeichen den Bündnispartnern nicht zujubeln!« Horkheimer musste noch den Amtsantritt von Kurt Waldheim als UN-Generalsekretär erleben, der als einstiges Mitglied der SA-Reiterstaffel und ehemaliger Wehrmachtoffizier die Formierung jenes neuen faschistischen Blocks wie kein anderer repräsentieren konnte. In seine Amtszeit fielen die berüchtigten Resolutionen, welche die »militärische Aggression« Israels gegen den Libanon, die israelische Siedlungspolitik und insgesamt den Zionismus als Rassismus verurteilten; Waldheim selbst vermied es während des Jom-Kippur-Kriegs konsequent, den Angriff Syriens und Ägyptens zu kritisieren, und erst nach dem Umschwung des Krieges zugunsten Israels forderte er plötzlich die Befriedung.

1974 befürwortete dieser UN-Generalsekretär ostentativ den Auftritt Yassir Arafats vor den Vereinten Nationen. Zum ersten Mal wurde der Anführer einer politischen Bande, eines »arabischen Freikorps« (Jean Améry), wie der Vertreter eines Staats anerkannt. Damit eröffnete die UN-Generalversammlung eine neue Phase: Neben dem staatlich organisierten Antizionismus, der ursprünglich von der UdSSR getragen wurde, gehen aus dem inneren Zerfall der islamisch geprägten Staaten immer neue Freikorps hervor, die aber die Auslöschung Israels nun nicht mehr als Sozialismus, sondern als Jihad anstreben. Die Frage ist immer nur, ob sie diese Gemeinsamkeit über ihre an sich grenzenlose Rivalität stellen oder (noch) nicht. Bestimmte Institutionen der Generalversammlung, die von islamischen und »blockfreien« Ländern – unterstützt von den Vetomächten Russland und China – dominiert werden, fördern jedenfalls direkt oder indirekt diese terroristischen Rackets. So können sich die UNRWA, ein mittlerweile ganz auf den Kampf gegen Israel spezialisiertes »Flüchtlingshilfswerk«, und UN-Menschenrechtsrat, der diesen Kampf jeweils zu legitimieren berufen ist, ideal ergänzen.
Demgegenüber erscheint der Sicherheitsrat noch als Hüter der alten hegemonialen Ordnung. Das Veto der USA vermag hier, wenn deren Regierung es weiterhin will, die schlimmsten antiisraelischen Beschlüsse zu verhindern. Doch neben durchsichtigen inneren Reformbestrebungen gewisser Akteure, die letztlich die Integration des Sicherheitsrats in die Vollversammlung im Sinn haben, zeigt sich im Äußeren, dass der Sicherheitsrat als solcher an Bedeutung verliert und was immer gegen das Jihad-Appeasement unternommen wird oder werden könnte, wie schon der US-amerikanische »Krieg gegen den Terror« vor zehn Jahren, weithin außerhalb davon durch eigene Bündnispolitik organisiert werden muss.
Solchen Bedeutungsverlust demonstrierte auf fatale Weise die Geschichte des Atomwaffensperrvertrags. 1967 geschaffen, ist er zwar keine UN-Institution im eigentlichen Sinn, aber die Atommächte, die ihn schufen, waren identisch mit den fünf ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats und die Vertragsgemeinschaft selbst besitzt auch keine eigenen Sanktionsinstrumente, ist also auf den Sicherheitsrat angewiesen. Die Fehlkonstruktion, die sich beim Gleichgewicht der Supermächte noch nicht bemerkbar machen musste, liegt aber darin, dass für die beigetretenen Staaten die Möglichkeit der Kündigung besteht, wenn sie nur irgendwie begründet und rechtzeitig bekanntgegeben wird, etwa wie bei einem Mietverhältnis: drei Monate im Voraus. Die Vetomächte haben sich damit selbst die Möglichkeit des Vetos gerade dort verbaut, wo es um die letzten Schritte zur Beschaffung von Atomwaffen geht. Tritt man unter solchen Voraussetzungen in Verhandlungen mit einem Unstaat wie der Islamischen Republik Iran ein, seit längerem schon die größte Bedrohung für die Existenz Israels, und missachtet sozusagen die eigenen, nach dem (von der Atomenergiebehörde IAEO festgestellten) Vertragsbruch eingesetzten UN-Sanktionen gegen den Iran, zeichnet sich für alle sichtbar ein Horrorszenario ab, für das Nordkorea schon die Probe aufs Exempel gemacht hat: Die Zugehörigkeit zum Atomwaffensperrvertrag erlaubt es ganz offiziell, sich mit allen wichtigen Komponenten von Atomwaffen einzudecken, um anschließend vollkommen rechtmäßig den Vertrag wieder zu kündigen und die Bombe dann in kurzer Zeit fertigzustellen. Die Bereitschaft im Westen, sich auf dieses Szenario einzulassen, kann – wie damals, 1938, in München – mit bloßer Bequemlichkeit auf dem Weg des geringsten Widerstands wohl nicht erklärt werden. Entweder es handelt sich um offenen Todestrieb oder verborgenen Hass auf Israel und die Juden, was aber letztlich auf dieselbe Befriedung hinausläuft.

Wieder fällt der Unterschied zum vielzitierten Versagen des Völkerbunds ins Auge: Deutschland trat mit propagandistischem Aplomb bereits 1933 aus dem Völkerbund aus, um sein Aufrüstungsprogramm ungestört von den internationalen Verträgen voranzutreiben. Der Unstaat, der heute am gefährlichsten ist, weil er jene an sich schrankenlose Rivalität seiner Rackets unter Kontrolle hat, kann hingegen die Vorbereitung auf den Vernichtungsschlag bis auf weiteres und propagandistisch nicht minder wirksam innerhalb der Uno und der mit ihr verwobenen Vertragsgemeinschaften betreiben.
Zudem hatte der Völkerbund noch nicht die Möglichkeit medienwirksamer Ersatzhandlungen. Heute kann indessen die unisono zur Schau getragene Sorge ums Weltklima über das zunehmende Chaos der internationalen Beziehungen hinwegtrösten, und die Umweltexperten, die den CO2-Ausstoß berechnen, geben dabei offenbar das neue Vorbild für die Völkerweltexperten ab. Auch diese wollen lediglich Berechnungen anstellen und zwar, wie viel an Mitteln und eigenen Truppen der Uno fehlt, denn solcher Mangel wird als der Grund ausgegeben, warum sie sich nicht zum Weltstaat »weiterentwickeln« kann, der die Befriedung leisten soll; nachzulesen etwa im neuen Buch des Taz-Autors Andreas Zumach: »Globales Chaos – machtlose Uno«. Sucht man nach Schuldigen, schlägt die Quantität der Erbsenzähler in die Qualität der Verschwörungstheorien um: Es liegt zunächst nahe, den reichsten Staat zu nennen, der zu wenig Geld gibt und zu oft ein Veto einlegt, um hinter ihm einen de facto zwar weniger reichen zu vermuten, der aber mit Hilfe seiner »gut organisierten Lobby in den USA und anderen Ländern« zu verhindern weiß, dass aus der Uno ein richtiger, dem ewigen Frieden verpflichteter Weltstaat werden kann – was sich schon daran zeige, dass er selbst die Kooperation mit dem UN-Menschenrechtsrat verweigere und Verleumdungskampagnen orchestriere. So werden aus dem Wahn des Weltsouveräns die Protokolle jener Weisen von Tel Aviv fabriziert, die ebenso heimlich wie ihr Atomwaffenprogramm den Sicherheitsrat kontrollieren und die Völker der Vollversammlung zur Ohnmacht verdammen.