Eine Performance von Spoken Word und Hip Hop in Gebärdensprache

Lautlos laut

»Shut Up and Sign Speak« ist ein Projekt, das die Zusammenarbeit
zwischen tauben und hörenden Performern durch Spoken Word,
HipHop und Gebärdensprache inszeniert.

Ach, kein Problem, die können doch ein bisschen Händelesen, oder?« Die paar Personen, die in Simone Lönnes Stück »Perspektivwechsel III« keine Gebärdensprache sprechen, kommen schon irgendwie klar, auch wenn auf dieser Party alle anderen viel zu weit weg sitzen, um eine Unterhaltung in Lautsprache führen zu können. Die Hände der tauben Mehrheit dagegen fliegen: »Süß, diese Hörenden. Und wie schnell sich ihre Lippen bewegen!« Was Lönne auf der Bühne in Deutscher Gebärdensprache (DGS) vorträgt, wird von Bab Loretzki in die deutsche Lautsprache übertragen, »gevoiced«.
Immer wieder heben sich die Hände des Publikums zustimmend, wird im vollbesetzten Saal der Berliner Werkstatt der Kulturen applaudiert. Die Erfahrung, dass an Taube einfach nicht gedacht wird, scheinen viele zu kennen. Nicht nur in diesem letzten Stück der Veranstaltungsreihe »Shut Up and Sign Speak« kommt die Botschaft an – auch Andy Bittner erzählt in seiner Performance zusammen mit Laura Häußer von einem ignoranten hörenden Gegenüber. »Gebärdensprache ist so schön! Ich will sie auch lernen«, steht auf dem Zettel, den ein Unbekannter zwei Freunden mitten in deren Unterhaltung vor die Nase hält. Dass die beiden gerade um einen Freund trauern, kann der Hörende ja nicht wissen, er erwartet, dass die beiden sein Interesse an der Gebärdesprache mit Wohlwollen aufnehmen.
Paternalismus, Ignoranz und Mangel an Sensibilität – die hörende Mehrheit kommt nicht gut weg in vielen der Texte, die bei »Shut Up and Sign Speak« vorgetragen werden. Viele Beiträge thematisieren auch Alltagsrassismus und Homophobie.
Für die Show haben 15 hörende und taube Künstler und Künstlerinnen drei Monate lang zusammengearbeitet, Texte geschrieben und neue Ausdrucksformen für die eigenen Werke gefunden. Dabei sind keine reinen Übersetzungen entstanden, sondern zweisprachige Koproduktionen von sehr unterschiedlichen queeren Künstlern und Künstlerinnen, die wie die Komikerin Simone Lönne oder die Rapperin Deaf Kat Night Szenegrößen sind. Auch die angehende Sonderpädagogin Swantje Marks hat an der Show mitgewirkt. Ihr Beitrag zeigt vielleicht am besten, welche Bereicherung die Zweisprachigkeit bedeutet. Denn sie erzählt ihre Geschichte nicht nur, sie stellt sie so ausdrucksstark pantomimisch dar, dass auch DGS-Unkundige verstehen, worum es geht. Das Gefühl, ständig in Schubladen gesteckt zu werden, als Frau, als Lesbe, Taube oder auch als Öko, stellt sie in ihrer Performance gemeinsam mit Henrike Schmitz eindrücklich dar.
Für Marks ist der zentrale Aspekt der Austausch der beiden Kulturen durch die gemeinsame künstlerische Arbeit: »Es geht mir nicht darum, durch Übersetzung Texte zu produzieren, sondern darum, zu verstehen, was wirklich gemeint ist. Ich muss den Hintergrund der Person kennenlernen, die den Text geschrieben hat. Nur dann kann ich ihn gut auf die Bühne bringen.« Genau diese Verbindung ist auch das Ziel von Katinka Kraft, hörende Performerin und neben Simone Lönne eine der beiden künstlerischen Leiterinnen des Projektes. »Durch die Verbindung von zwei verschiedenen Kunstformen entsteht etwas Neues«, erzählt sie kurz vor der Show am Telefon. »Wir wollen eine Performance machen, die sich gleichberechtigt an Taube und an Hörende richtet.«
Anlass zur Gründung von »Shut Up and Sign Speak« vor über zehn Jahren als Performance-Gruppe von Frauen, Lesben und Trans war der Ärger über die in Deutschland männlich dominierte und oft sexistische Slam-Szene. Katinka Kraft hat viele Jahre in den USA verbracht, und vielleicht deshalb sind ihr die Wurzeln von Spoken Word sehr bewusst: Sie verweist auf schwarze politische Bewegungen, auf die Harlem Renaissance und auf den frühen HipHop – das gesprochene Wort als Mittel politischen Widerstands. »In Deutschland war die Szene lange männerdominiert und teilweise sehr sexistisch«, sagt Kraft. Mit ihrem Projekt traten sie und ihre Kollegen und Koleginnen damals an, um das zu verändern. Das feministische Grundverständnis ist geblieben, nur hat sich der Fokus heute verschoben – auf die Verbindung von Gebärden- und Lautsprachenkultur. Katinka Kraft erzählt von den ersten Versuchen in beiden Sprachen: Anfangs traten nur hörende Performerinnen auf, deren Beiträge dann übersetzt wurden. Sprachspiele und Doppeldeutigkeiten gingen dabei aber verloren. Seit 2012 arbeitet Kraft mit Lönne zusammen, seither werden die Texte in beiden Sprachen entwickelt.
80 000 taube Menschen leben dem Deutschem Gehörlosen-Bund zufolge in Deutschland, 16 Millionen Menschen sind schwerhörig. Die Minderheitenkultur dieser Menschen sichtbar zu machen, ist ihr ein großes Anliegen, sagt Swantje Marks im Interview, das ihre Freundin und Kollegin Henrike Schmitz in Lautsprache übersetzt. Zu wenige Dolmetscher und Dolmetscherinnen sind auch eine Barriere für die Kommunikation mit Journalisten und Journalistinnen.
Die Zugehörigkeit zur Gebärdensprachkultur empfindet Marks als zentralen Teil ihrer Identität: »Mir ist es wichtig zu zeigen, dass diese Welt eine eigene Kultur hat – keine kleinere, keine Subkultur, sondern eine gleichwertige. Mit der Show will ich auch andere taube Menschen empowern, auf der Bühne zeigen, dass wir gemeinsam stark sind.« Das ist auch der Grund dafür, dass Marks für sich den Begriff »gehörlos« ablehnt, der ein Defizit bezeichnet.
Das Stück von Simone Lönne zeigt für sie deutlich, wie Barrieren im Alltag aufgebaut werden: »Ich kann in der Mehrheitskultur nicht mitmachen. Ich habe andere Bedürfnisse, etwa das Bedürfnis, mit den Augen zu kommunizieren. So bin ich, und das wird nicht wahrgenommen.« Die Frage nach politischen Forderungen ärgert sie trotzdem, denn »das ist ein schiefes Bild. Ich bin keine Bittstellerin.« Statt um eine Freundlichkeit der Mehrheitsgesellschaft geht es ihr darum, den Ausschluss der Minderheiten endlich zu beenden.
Was Marks dann aufzählt, wirkt wie eine Aneinanderreihung von Selbstverständlichkeiten. An Schulen für Taube sollte endlich durchgehend Gebärdensprache genutzt werden. Fernsehprogramme sollten ausnahmslos gebärdet und untertitelt werden. Die Ignoranz für unterschiedliche Bedürfnisse illustriert sie an einem alltäglichen Beispiel: an dem Hinweisschild »Bitte beachten Sie die Ansage« in Berliner U-Bahn-Stationen. »Die kann ich nicht beachten. Ich wünsche mir einfach eine bilinguale Lebensrealität, auch in geschriebener Sprache.«
Dass in Deutschland die Situation für Leute mit besonderem Bedarf nicht die rosigste ist, ist auch den UN aufgefallen. Der erste Staatenbericht des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom April dieses Jahres enthält zwar auch ein paar positive Punkte. So erkennt er an, dass im Jahr 2011 ein nationaler Aktionsplan zur Umsetzung des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verabschiedet wurde. Auch die Einsetzung einer Beauftragten der Bundesregierung und die Anerkennung der DGS als eigenständige Sprache werden positiv vermerkt. Die Kritikpunkte sind aber deutlich umfangreicher: An erster Stelle nennt der Bericht die mangelnde Barrierefreiheit bei der Kommunikation – Gebärdendolmetscher und -dolmetischerinnen gibt es meist weder in Behörden noch bei kulturellen Veranstaltungen. Der Bericht kritisiert außerdem die »ungenügenden Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung einer Mehrfachdiskriminierung von Frauen und Mädchen mit Behinderungen, insbesondere von Migrantinnen und weiblichen Flüchtlingen«.
Selbst große politische Stiftungen debattieren noch darüber, ob Übersetzung »wirklich« nötig ist: Zu den Veranstaltungen kommen sowieso nur Hörende – wieso denn da eine Übersetzung? Auch das kennt Katinka Kraft aus den USA anders: Dass Performances oder Lesungen gedolmetscht werden, ist dort kein Sonderfall. Für die Zukunft fallen ihr noch viele Möglichkeiten ein – etwa Workshops mit hörenden und tauben Jugendlichen oder Auftritte an Schulen. Das dürfte auch der UN-Kommission entgegenkommen. Die mangelnde Inklusion an Schulen ist ein weiterer zentraler Kritikpunkt.