Kleidung ist nie wertfrei

Hotpants – fuck yeah!

Von Ivo Bozic

Religiöse Kleiderordnungen disziplinieren Frauen. Sie schreiben ihnen vor, Teile des Körpers zu verstecken. Das Hotpants-Verbot an Schulen ist Teil eines antifeministischen Rollbacks.

Kleider machen Leute. Das war schon immer so. Kleidung prägt auch Gesellschaften, sie gibt Auskunft über den Beruf, die Zugehörigkeit zu sozialen Schichten oder, wie bei der Dirndlschleife, über den Familienstand der sie tragenden Frauen. Auch die Ablehnung solcher Dresscodes ist ein Dresscode: Maos Volksuniformen, Joschka Fischers Turnschuhe; auch Punks und party people haben ihre definierten Monturen. Selbst die Ablehnung sämtlicher Kleidung wird auf dem FKK-Campingplatz zur regulierten und kontrollierten Norm. Der Liberale, der die Freiheit des Individuums befürwortet, trägt die Klamotten, die der Markt eben gerade bietet, die Mode von heute. Der Linksalternative, der die Herrschaft des Marktes ablehnt, strickt, häkelt und batikt sich seinen Dienstanzug selbst.
Es gibt keine wertfreie Kleidung. Auch und gerade Religionen haben ihre Kleiderordnungen. Die werden umso strenger beachtet, je strenger die Religion praktiziert wird. Das Kopftuch ist nicht nur ein Zeichen islamischen Glaubens, sondern einer strengen Auffassung dieses Glaubens. Dass man auch ohne Kopftuch fromme Muslimin sein kann, wurde in der Türkei, im Libanon, in Indonesien über lange Zeiträume hinweg bewiesen.
Nun ist es natürlich jeder und jedem selbst überlassen, welche Kleidung sie oder er trägt. Problematisch wird es, wenn man anderen den Kleidungsstil vorschreiben will, so wie es in den islamischen Communities zum Beispiel in Deutschland zunehmend durch Imame geschieht, die Druck auf Familien ausüben, ihre Töchter zum Tragen des Kopftuchs zu drängen. Kopftuchtragende Lehrerinnen an säkularen Schulen unterstützen solche Disziplinierungsversuche, ob gewollt oder nicht. Der Einwand der Kopftuchverteidiger ist jedoch berechtigt: Auch ein Kopftuchverbot ist eine Kleidungsvorschrift. Man kann also nur wählen, ob man eher diese oder jene Norm goutiert.
In Deutschland hat nun eine kirchlich engagierte evangelische Schuldirektorin einer Werkrealschule im Schwarzwald-Städtchen Horb ihren Schülerinnen verboten, »aufreizende« Kleidung zu tragen. Kurze Röcke, bauchfreie T-Shirts und sogenannte Hotpants, also kurze, enge Hosen. Und hier wird klar, worum es eigentlich geht: Im Unterschied zu religiösen Dresscodes für Männer sind jene für Frauen immer darauf ausgerichtet, deren Körperlichkeit zu verstecken. Nicht etwa um Gott zu gefallen, sollen sie sich züchtig kleiden, sondern um die Männer nicht in Versuchung zu führen, damit diese gottgefällig und ohne Sünde bleiben können. Die religiöse Kleidung der Frauen dient der Religiosität der Männer. Das offenbart ein schlimmes Frauenbild, laut dem die Frau in erster Linie dem Mann zu dienen hat, und ebenso ein schlimmes Selbstverständnis der Männer, die offenbar bei jeder Haarlocke, jedem Stück offen getragener Haut nicht anders können, als sexuell übergriffig zu werden oder zumindest darüber nachzudenken, was nichts anderes bedeutet, als Frauen nicht ernst zu nehmen.
»Anzüglich«, der Begriff sagt nichts über die Trägerinnen solcherart definierter Kleidung aus, sondern über deren Betrachter. Was offenbaren Hotpants? Beine, mehr nicht. Das macht die Schwarzwälder Lehrer und Schüler schon wuschig? Was muss dann erst bei der jährlichen »Miss Dirndl«-Wahl im selben Ort in den Männern vorgehen, wenn reihenweise Dekolletés zur Schau gestellt werden? Das Problem mit den Hotpants haben die Männer, bei ihnen muss daher auch die Lösung ansetzen. Im Schwarzwald wie in Teheran.