Europa und der deutsche Hegemon

Im Krieg

Der Umgang der deutschen Regierung mit Griechenland erinnert an die nationalistische Machtpolitik des 19. Jahrhunderts.

Auf dem Euro-Gipfel wurde nicht scharf geschossen und wer mag, kann darin einen zivilisatorischen Fortschritt erkennen. Abgesehen davon agierten die Gipfelteilnehmer in Brüssel am ­Wochenende wie in einem nicht erklärten Krieg, auch wenn dieser mit etwas subtileren Methoden geführt wird. In Europa braucht es nicht mehr Panzer und Gewehre, um Staaten zu schlagen und Feinde zu vernichten. In dem Wirtschaftskrieg, den Deutschland gegen halb Europa führt, sind Bailout-Regeln und Fiskalpakte die ­effizienteren Waffen, damit der Gegner schließlich bedingungslos kapituliert. Dies ist bei Griechenland nun der Fall. Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte bereits vor dem Gipfel in allen ­wesentlichen Punkten nachgegeben, nur um anschließend von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorgeführt zu werden. Die Liste der Grausamkeiten, die Tsipras jetzt akzeptieren muss, geht weit über die Forderungen hinaus, die er ursprünglich verhindern wollte. Die bereits bestehende Sparpolitik wird radikalisiert und wird Griechenland weiter ruinieren. Die neuen Milliardenkredite, falls die Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten sie genehmigen, werden wieder wirkungslos verpuffen, und am Ende sind natürlich, so viel ist jetzt schon sicher, die Griechen schuld. Von Tsipras’ Ansprüchen bleibt nur die vage Andeutung Angela Merkels, dass irgendwann, vielleicht, über eine Umschuldung gesprochen werden soll. Die griechische Koalitionsregierung wird dieses Ergebnis kaum überleben.
Gegenüber der deutschen Regierung war Tsipras jedoch machtlos. »Mit einer Pistole an der Schläfe wäre jeder einverstanden«, kommentierte ein griechischer Regierungsvertreter das Ergebnis. Und Schäuble war bereit, abzudrücken. Zweifellos würde er gerne die widerspenstigen Griechen aus der Euro-Zone werfen. Das Land wäre dann kein Adressat mehr für zweifelhafte Rettungs­programme, sondern ein hoffnungsloser Fall für die Caritas.
Schäubles Verhalten ist grausam, weil er nüchtern mit der Angst vor Hunger, Elend und Verzweiflung kalkuliert. Es ist aber nicht »verrückt«, wie der US-Nobelpreisträger Paul Krugman in der New York Times kommentierte. Vielmehr diente es dazu, ein Exempel zu statuieren, falls andere Euro-Staaten aus der Reihe tanzen wollen. Schäubles Konzept ist einfach: Die Regeln werden in Deutschland bestimmt, unterstützt von nordeuropäischen Verbündeten wie den rechts­populistischen »Wahren Finnen«. Wer sie nicht befolgt, dem droht der Bankrott. Die Strategie der Bundesregierung erinnert an die nationalistische Machtpolitik, wie sie im 19. Jahrhundert üblich war. Das Titelbild der Zeitung Bild vor dem Gipfeltreffen, Merkel mit Pickelhaube, war die dazu passende Collage.
Ebenso bestürzend wie das rücksichtslose Vorgehen von Schäuble und Merkel ist die Akzeptanz, die es im eigenen Land erfährt. Kaum eine Zeitung oder ein Fernsehsender lässt es sich nehmen, über die Griechen zu lästern und ihnen in herrischer Art zu empfehlen, endlich ihre »Hausaufgaben« zu erledigen. Der Hass auf die Unter­legenen, der sich bereits gegen Flüchtlinge richtet, hat in den Griechen ein weiteres lohnendes Ziel gefunden. Sie werden nicht das letzte sein. Doch ein Europa der Angst und des Schreckens kann nur verlieren. Auch wenn dies in der deutschen Regierung noch niemanden interessiert.