Sexarbeit soll gesetzlich stärker reglementiert werden

Stark ausgeprägte Minderbegabung

In der gegenwärtigen Debatte um ein neues Gesetz zur Regulierung der Sexarbeit zeigt sich erneut, wie sehr die Positionen durch ideologisch aufgeladene Bilder von Prostituierten geprägt sind.

Seit März gibt es den Entwurf eines »Prostituiertenschutzgesetzes«, ausgearbeitet vom SPD-geführten Frauenministerium, der bereits in der ersten Version von Sexarbeiterorganisationen wie Doña Carmen als »durch und durch diskriminierendes und repressives Sonderrecht gegenüber dem Prostitutionsgewerbe« kritisiert worden ist, inzwischen aber noch stärkere Konzessionen an die weitergehenden Forderungen der Unionsparteien enthalten soll, wie es in Medienberichten der vorletzten Woche hieß.

Zu den Hauptinhalten des Gesetzentwurfs zählt die alle zwei Jahre zu erneuernde verpflichtende Anmeldung für Sexarbeiter, verbunden mit einer jährlichen gesundheitlichen Pflichtberatung, etwa zu »Fragen der Krankheitsverhütung, der Empfängnisregelung, der Ernährung und der ­Risiken des Drogengebrauchs«. Dazu kommt eine »Kondompflicht« für Prostituierte und ihre Kunden bei vaginalem, oralem und analem Geschlechtsverkehr – ein Eingriff in die Intimsphäre, der durch keinerlei erhöhte Infektionsraten gerechtfertigt ist und dessen positive Wirkung zweifelhaft ist. Zuletzt soll eine Erlaubnispflicht für den Betrieb von »Prostitutionsstätten« eingeführt werden.
Die heftigste Kritik üben Hurenorganisationen an der bußgeldbewehrten Anmeldepflicht; zuständig soll je nach Bundesland ein Gewerbeamt oder die Polizei sein. Es besteht die Befürchtung, dass die Daten – womöglich auch an andere Polizeibehörden – weitergegeben werden und dass dies einem Outing gleichkäme. Die Anmeldung soll dabei nur für einzelne explizit benannte Kommunen gelten; wie viele man benennen können soll, ist noch offen. Für Sexarbeiterinnen, die häufig an wechselnden Orten arbeiten, bedeutet dies eine erhebliche Einschränkung ihrer Erwerbstätigkeit. Die Anmeldung hat unter anderem das Ziel, Anhaltspunkte dafür ausfindig zu machen, ob die zukünftige Prostituierte ihrem Gewerbe freiwillig nachgehen wird. So soll die mangelnde »Einsichtsfähigkeit« einer Anmel­derin zur Verweigerung der Anmeldung führen; diese könnte bei »einer stark ausgeprägten Minderbegabung« oder einer »psychischen Erkrankung« nicht ausreichend vorhanden sein oder sich in »unrealistischen Vorstellungen von der Tätigkeit als Prostituierte« oder dem Fehlen »der zur Ausübung der Prostitution elementaren Grundkenntnisse« äußern. Das hier wiederkehrende Bild der schwachsinnigen Prostituierten dient der Legitimation behördlicher Willkür und Bevormundung, die so weit gehen kann, ohne Zustimmung der Betroffenen einen »sozialpsychiatrischen Dienst« einzuschalten. Weitere Gründe einer Versagung sind analog zum Absatz 1 des Menschenhandelsparagraphen 232 des Strafgesetzbuches formuliert. Auch hier sind die »Anhaltspunkte« so gehalten, dass vor allem Migrantinnen der Ausforschung durch die Behörden unterworfen sind und Gefahr laufen, keine Genehmigung zu erhalten. Betreiber von Prostitutionsstätten werden zum verlängerten Arm des Staates gemacht, indem ihnen die Pflicht auferlegt wird, »genauer hinzuschauen«, ob eine Sexarbeiterin »erkennbar sehr naive Motive« hat oder »als Heranwachsende erkennbar durch Dritte fremdgesteuert« ist, in welchem Fall sie nicht dort arbeiten darf.

Sämtliche Pflichten für Betreiber und die hohen Auflagen für die Räume eines Betriebes sollen nicht nur für große Bordelle gelten, sondern bereits wenn mehr als eine Prostituierte in einer Wohnung arbeitet – nach dem Willen der Union sogar bei einer einzelnen Sexarbeiterin, was ­gerade das selbständige Arbeiten erschwert, das doch gefördert werden müsste, würde das Ziel des Gesetzes ernst genommen.
Das Gesetz könnte ein paar positive Aspekte haben, wenn es nicht insgesamt ein derart entmündigendes Bild von Prostituierten zeichnete und primär auf die Erschwerung ihrer Erwerbs­tätigkeit gerichtet wäre. So sollen Sexarbeiterinnen durch die Anmeldebestätigung, die auf Wunsch auch auf einen »Aliasnamen« ausgestellt werden kann, die Möglichkeit haben, gegenüber Betreibern anonym zu bleiben und dennoch einen schriftlichen Vertrag mit ihnen abschließen können. Dass Betreiber ihr Betriebskonzept auch den Prostituierten offenlegen müssen, dass es schriftliche Verträge geben muss, auch angemaßte Weisungen von Betreibern zu sexuellen Prak­tiken ausgeschlossen sein sollen und deutlich überhöhte Mieten ausdrücklich strafbar sind – all dies wären schöne Forderungen, kämen sie von einer Sexarbeitsgewerkschaft statt im Kontext eines repressiven Gesetzes zu stehen. Alles in allem stellt sich die Frage, ob die Regierung die zur Gesetzgebung nötige Einsichtsfähigkeit hat oder nicht eine stark ausgeprägte Minderbegabung vorliegt.
In der Debatte um den angemessenen staatlichen Umgang mit der Prostitution finden Kritiker und Freunde des Neoliberalismus zusammen in der Befürwortung eines starken Staates, der strenge Regeln für die Wirtschaft aufstellt und Menschen vor Ausbeutung schützt. Das jedenfalls ist die Rhetorik. Sie funktioniert, weil suggeriert wird, dass die Ausbeuter der Prostituierten keine Unternehmer sind, die Profite machen müssen, sondern organisierte Menschenhändler, und dass Prostituierte keine Arbeiterinnen unter prekären Bedingungen sind, sondern in Zwangslagen befindliche, viel zu junge Mädchen. Beides mag einen Teil der Realität treffen, trübt aber als Grundannahme den Blick auf Sexarbeit als Arbeitsverhältnis, mit der Konsequenz, dass straf- und ordnungsrechtliche Maßnahmen geboten erscheinen, die für Prostituierte oft erhebliche negative Konsequenzen haben. Vertreterinnen von Prostituiertenorganisationen, die derartige staatliche Eingriffe kritisieren und auf eine Gleichbehandlung mit anderen Erwerbstätigen pochen, können innerhalb dieses Schemas als Verfechter eines rücksichtslosen Liberalismus dargestellt werden.

An der Debatte wird deutlich, wie stark Politik von medialen Bildern beeinflussbar ist. Diese haben in Bezug auf die Prostituierte eine lange Tradition: Sie war Betrügerin, Seuchenherd, arbeitsscheu, Schwachsinnige und Opfer. Neu hinzugekommen ist durch die wachsende Organisierung von Sexarbeiterinnen das Bild der selbständigen Sexarbeiterin. Diese und die migrantische »Zwangsprostituierte« stecken heute den Rahmen der Debatte ab und werden gegeneinander ausgespielt.
Nicht neu ist dabei, dass sich als feministisch verstehende Organisationen wie etwa der deutsche Zusammenschluss »Stop Sexkauf!« oder die »European Women’s Lobby« die Rhetorik von der unmündigen Prostituierten benutzen und eine Kriminalisierung befürworten. Dagegen ­argumentieren Sexarbeiterorganisationen, dass die Entkriminalisierung von Sexarbeit die Voraussetzung dafür ist, ausbeuterische Arbeitsbedingungen zu bekämpfen. Denn ein geschlossenes Bordell oder ein verbotener Straßenstrich ist kein besserer Arbeitsplatz, sondern gar keiner, und illegalisierte Nachfrage zahlt die Miete nicht.
Die politische Arbeit von Sexarbeiterinnen ist in Deutschland nicht völlig wirkungslos geblieben. Linksliberale Medien ebenso wie die sozialdemokratisch-grünen Parteien haben sich teilweise das Bild der selbständigen Sexarbeiterin zu eigen gemacht. Der Kampf zwischen konkurrierenden Bildern zeigt sich nun in den zähen Verhandlungen zwischen SPD und CDU/CSU um die gesetzliche Neuregelung der Prostitution (Jungle World 37/2014 und 07/2015).