My Generation – Die Geschichte der Mods. Teil 4: Prügel und Paisley

Ärger auf der Strandpromenade

Von Uli Krug

Der Siegeszug der Mods schien unaufhaltsam, Bands wie The Who oder The Kinks begruben den alten Rock ’n’ Roll endgültig. Bald darauf begann die Londoner Bohème, sich vom »modernism« abzukehren.

Im Frühjahr und Sommer 1964 standen die Mods im Zentrum einer landesweiten Hysterie, die Schlagzeilen der britischen Presse überschlugen sich mit negativen Zuschreibungen aller Art. Mods wurden als »Schädlinge« oder gar als »gefährlicher Virus« bezeichnet: Die Birmingham Post erklärte sie im Mai 1964 gar zu »Staatsfeinden«, deren Ziel es sei, »den Charakter der Nation zu zersetzen«. Was war geschehen? In kleinen süd­englischen Küstenstädten wie Margate, Hastings oder Brighton traf plötzlich das aufeinander, was sich in London bislang eher aus dem Weg gegangen war: Die sich schon in den zurückliegenden zwei, drei Jahren zuspitzende Feindseligkeit zwischen den beiden großen Subkulturen der frühen Sechziger, Mods und Rockern, explodierte auf dem engen und einigermaßen öden Raum der Strandpromenaden. Die traditionellen Strandausflüge, zu denen die Londoner mit Beginn der wärmeren Jahreszeit in die Badeorte der Südküste aufbrachen, bekamen plötzlich spektakulären Charakter. Es kam zu heftigen Massenschlägereien zwischen Mods und Rockern, bei denen vor allem Strandmobiliar als Waffe eingesetzt wurde, berittene Polizei griff ein, zahlreiche Verhaftungen waren die Folge. Die englische Öffentlichkeit verfiel angesichts der »Schlacht von Brighton« (so lautete eine Schlagzeile der süd­englischen Lokalzeitung Evening Argus aus dem Mai 1964) in eine Stimmung, die der Soziologe Stanley Cohen rückblickend als moral panic charakterisierte.
Denn in den Augen des gesellschaftlichen Mainstreams verkörperten die Mods das Unbehagen an den Umbrüchen der Sechziger, an den ungewohnten Anblicken, Tönen und Sitten, mit denen man sich konfrontiert sah und im Vergleich zu deren Ausmaßen sich das bisschen Rock ’n’ Roll in den Fünfzigern, also das, worauf die Rocker nach wie vor schworen, vergleichsweise harmlos und vertraut ausnahm. Und es war ja auch wirklich viel geschehen: Binnen eines halben Jahrzehnts war traditioneller Jazz zu einer lächerlichen Musik für Spießer geworden, Jungs sahen plötzlich wie Mädchen aus, eine ganze Generation, so schien es, wollte sich nicht mehr an die hergebrachten Spielregeln, Rollenbilder und Lebensentwürfe halten. Auch die Rocker fühlten sich dadurch provoziert: Ihre vor Motoröl triefende Schrauber-Subkultur, deren rebellischstes Symbol ausgerechnet die Bürgerkriegsflagge der amerikanischen Sklavenhalterstaaten war, sah sich der drohenden Randständigkeit preisgegeben. Die Mods waren in ihren Augen homosexualisiert (von Rockern wurden sie gerne als pretty things bezeichnet; die gleichnamige Mod-Band machte sich die Beleidigung zu eigen und verkehrte sie ins Gegenteil), effeminiert und obendrein kamen sie auch noch mit schwarzer Musik daher. Der Zusammenstoß zwischen beiden Subkulturen war so quasi mental vorprogrammiert; in ihm gaben die ehemals bösen Buben der Fünfziger, die Rocker, plötzlich die Verteidiger des Status quo – und standen damit auf verlorenem Posten, nicht zuletzt, weil der modernism eben auch für junge Frauen und schwarze Immigranten ebenso offen wie attraktiv war.
Eine Attraktivität, die durch die mediale Dämonisierung der Mods eher noch wuchs; teen­age dandies beiderlei Geschlechts und aller Hautfarben dominierten Mitte der Sechziger das abendliche Straßenbild, die Plattenläden und Musikclubs: eine genuin britische Welt, deren Sprache und Lebensumstände anders waren als jene, die sich im nach wie vor heißgeliebten amerikanischen Rhythm ’n’ Blues oder Motown-Soul ausdrückten.
In dieser Welt entwickelte sich nun auch eine ebenso genuin britische Rockmusik, die trotz nächster Verwandtschaft anders funktionierte als die britische Blues-Adaption: Die hatte etwas an sich Afroamerikanisches transformiert und als Rock in die USA reimportiert – allerdings nicht mehr für ein schwarzes, sondern für ein weißes Publikum; die Themen und Orte der Musik hatten sich dabei aber nicht geändert, sie waren in gewisser Weise universal gebräuchlich geworden, Themse und Mississippi wurden austauschbar. Im Gegensatz dazu reflektierte eine neue Welle von Bands, deren Namen für immer mit den Mods verknüpft bleiben sollten, genau die britische Lebenswelt: The Kinks sangen nicht mehr wie die Rolling Stones von der »Route 66«, sondern von der »Dead End Street« im heimischen Arbeiterviertel, The Small Faces erinnerten nicht mehr wie The Animals an das »House in New ­Orleans«, sondern an den »Itchycoo Park«, ein Slang-Synonym für die verwildernden Brachflächen der Londoner Vorstädte. Die Themen dieser Mod-Bands wurzelten tief im eigenen Alltag, und sie bearbeiteten sie mit dem landestypischen schwarzen Humor und der ebenso charakteristischen Neigung zu sarkastischer Selbstironisierung, die sich schon in den Namen niederschlug: The Kinks leiteten ihren Namen von »kinky« ab (»bekloppt«, »schrullig«), und bei The Who lag der Witz ohnehin auf der Hand. Gleich die ersten Singles dieser Bands schlugen nicht nur textlich, sondern auch musikalisch besonders klare Töne an: Das gestotterte »My g-g-g-generation«, mit dem The Who sich gleichermaßen aggressiv vom Alten lossagten, um sich über das Neue, sich selbst, lustig zu machen, während sie live ihre Instrumente im wahrsten Sinne des Wortes kaputtschlugen, passte perfekt zu den mit Rasierklingen zerschnittenen Verstärkern, mit denen The Kinks in »You Really Got Me« das bis dato mit Abstand schmutzigste Riff der noch jungen Rockgeschichte produzierten. »Maximum R ’n’ B« nannten The Who ihren Stil, so schnell wie der neue Soul und härter als alles bislang Gehörte; so hart, dass sich aus dieser Ressource knapp 15 Jahre später der Punk bedienen sollte. Passend zur britischen Thematik herrschte jetzt auch britische Symbolik vor: Neben dem Union Jack avancierte das Target der Royal Air Force in blau, weiß und rot zum Symbol der Mods. Der Legende nach soll Keith Moon, Drummer von The Who, der erste gewesen sein, der es auf der Bühne trug. Das Target eignete sich auch als hervorragendes Konkurrenzsymbol gegen die Rocker, weil es deren Südstaatenromantik die Farbkombination der Nordstaaten (die Union wird auch als »the red, white and blue« bezeichnet) entgegensetzte.
Im Gefolge dieser Bands begannen auch ­andere bekannte Gesichter der Londoner Mod-Szene, die bislang als Sänger von Blues-Bands lokal bekannt waren, ihre eigenen, britischen Vorstellungen vom Rock zu entwickeln, auch wenn die musikalischen Folgen erst am Ende des Jahrzehnts langsam sichtbar werden sollten: Rod Stewart profitierte von der sich anbahnenden Verbindung von Mod-Stil und Fußball, während David Bowie und auch Mark Bolan ihr zugespitztes Dandytum und ihre ­geschlechtliche Indifferenz mit theatralischer Rockmusik und souligem Groove zu dem kombinierten, was später einmal Glam heißen sollte.
Jahre bevor aber Glam noch einmal für die verruchte Seite Sohos und Londons stehen sollte, war dem scharfen Blick der beiden Mod-Masterminds, Pete Townshend und Ray Davies, aber nicht entgangen, dass der landesweite Siegeszug des modernism zugleich auch sein Ende eingeläutet hatte, dass auf den raschen Erfolg der rasche Zerfall folgen sollte. 1966 spotteten The Kinks bereits musikalisch über die »Carnabetian army« (nach den In-Shops rund um die Carnaby Street), deren Welt sich nur noch narzisstisch um sich selbst drehte. Tatsächlich begann mit diesem Jahr in Londons neuer Boheme ein Kultus der Exotik aufzublühen, dessen musikalischer Output umso psychedelischer wurde, je mehr die Szene um die Stars und Sternchen mit pompöser spätvikto­rianischer Dekadenz, Zivilisationsmüdigkeit und fernöstlicher Religion kokettierte. Orien­talische Paisley-Muster und wallende Gewandung begannen sharpness und den klassisch-modernen Stil aufzulösen.