Max und Sylwia im Gespräch über das Ende des Kapitalismus 

»Von Ideologien befreien«

In Berlin-Neukölln entstand im Juni dieses Jahres das Museum des Kapitalismus. Die dahinterstehende Gruppe lädt auf ihrer Homepage ein zu einer »Reise zum Verstehen und zum Vorstellen, zum Gestalten, Diskutieren und Träumen«. Ka­pitalismus soll im Museum auch haptisch erfahrbar gemacht werden. Die Jungle World sprach mit zwei der Betreiber über Krisen, Gewerkschaften und die Rolle der Technik.

Wenn man sich die Ausstellung hier ansieht, könnte man denken, ihr habt was gegen Kapitalismus. Sylwia: In der Gruppe gibt es dazu verschiedene Meinungen. Wir sind sehr heterogen, aber keine radikale linke Bewegung. Max: Niemand würde behaupten, dass Kapitalismus funktioniert. Es gibt eine Menge Verbesserungsmöglichkeiten. Wir wollen natürlich schon Veränderungen, aber eben keine Revolution, sondern Reformen. Wenn Menschen verstehen, was im Kapitalismus passiert, können sie ihr eigenes Handeln besser reflektieren und vielleicht auch verändern. Das ist die Idee hinter dem Museum. Wie kamt ihr darauf, dem Kapitalismus ein Museum zu bauen? Ist das der richtige Ort ­dafür? Sylwia: Der Kapitalismus gehört definitiv ins Museum. Als wir die Idee hatten, gab es so etwas noch nicht. Es gibt zwar Ausstellungen zu verschiedenen Wirtschaftsthemen, aber nichts Allgemeines oder Kritisches. An einer Stelle eurer Ausstellung geht es auch um die Krisenhaftigkeit. Wie betrachtet ihr die aktuelle Krise? Ist der alte Schlawiner Kapitalismus nun bald am Ende? Max: Die Anzeichen für ein Scheitern des Kapitalismus sind deutlich. Die aktuellen Migrationsbewegungen nach Europa, aber auch die Unzufriedenheit der Menschen in Europa sind Anzeichen dafür. Sylwia: Der Neoliberalismus hat sicher noch nicht seinen Höhepunkt erreicht. Betrachtet man zum Beispiel die urbanen Entwicklungen, wo Ikea in einigen Metropolen ganze Stadtteile errichtet, dann ist das eine neue Qualität. Max: Eigentlich ist die Welt sogar noch kapitalistischer geworden. Bereiche, die früher nicht ökonomisiert waren, sind es heute. Man kann praktisch alles verkaufen, solange man es gut vermarktet. Wenn wir uns beispielsweise neuere Projekte wie Airbnb ansehen – da wird selbst Gastfreundschaft käuflich. Das ist vielmehr eine Steigerung von Effizienz, und darauf ist Kapitalismus ja schließlich ausgerichtet. Die Selbstoptimierung des Privaten geht dann auf Kosten des Sozialen. Sylwia: Dieser Optimierungszwang nimmt ja tendentiell auch weiter zu und führt zu einer Vereinzelung, nicht zur Kollektivierung. Dadurch werden die Voraussetzungen für Arbeitskämpfe im Übrigen auch immer schlechter. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung denn auf mögliche Arbeitskämpfe? Sylwia: Besonders schwierig sind Arbeitskämpfe in atypischen Arbeitsverhältnissen. Die wenigsten Menschen arbeiten ja in Deutschland noch in Fabriken. Es wird schwieriger, seine Interessen durchzusetzen, je isolierter die Menschen arbeiten. Die Arbeitsverhältnisse werden im allgemeinen flexibler, die Belegschaften wechseln oft. Deswegen ist es schon wichtig, dass es Gewerkschaften gibt. Gewerkschaften sind ja in Deutschland eine wichtige Stütze des Kapitalismus. Max: Gewerkschaften sind dafür da, Unternehmen bei ihren Entscheidungen zu beeinflussen und dabei die Arbeitnehmer zu vertreten. Gewerkschaften sind weder für noch gegen Kapitalismus, sie sollen nur die Arbeitswelt arbeitnehmerfreundlicher gestalten. Wirklich kämpferisch sind die deutschen ­Gewerkschaften ja wirklich nicht. In anderen Ländern werden Fabriken besetzt oder der Chef im Hinterzimmer eingesperrt. Sylwia: Ich weiß auch nicht, ob das wünschenswert wäre. Aber auch Arbeitskämpfe wie die von der GDL sind legitim und müssen sein. Auch Technologie leistet eine Beitrag zur Entwicklung des Kapitalismus und zur Schaffung von Alternativen. Max: Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht eine stärkere Vernetzung und Globalisierung. Dabei konzentriert sich aber auch Macht und die nutzt diese neuen Technologien. Eine ganze Mittelschicht bricht weg, weil sie durch Maschinen ersetzt wird. Ist das nicht eine sehr wünschenswerte Entwicklung? Sylwia: Es wäre schön, wenn damit Arbeitszeitverkürzung verbunden wäre. Das ist leider nicht der Fall. Technologisierung fördert eher das Entstehen neuer Monopole. Max: Was Information angeht, hat das Internet natürlich auch viele Vorteile. Der Zugang zu Bildung ist damit für eine bestimmte Gruppe von Menschen einfacher geworden. Sind Selbstverwaltung und Kollektivierung Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken? Sylwia: Das wäre schon wünschenswert. Aber am Beispiel Griechenlands hat man ja gesehen, dass solch eine Entwicklung auch nicht gewollt ist. Im Gegenteil, sie wird unterbunden. In der Regel entstehen solche Projekte ja auch nur an Stellen, wo der Staat versagt oder sich nicht mehr engagiert. Max: Auch das ist eher ein Symptom von zunehmender Kapitalisierung. Die Verbreitung von selbstverwalteten Projekten ist ja relativ gering. Die wenigen, die es gibt, stechen dann heraus, als Inseln im System. Sie sind so sichtbar, weil sie eben nicht selbstverständlich sind. Was ist denn die Alternative zum Kapitalismus? Sylwia: Hier im Museum wollen wir erstmal eine Debatte anstoßen. Die Leute, die herkommen, haben selbst viele Ideen. Es geht in erster ­Linie um eine lebenswertere Welt und eine Wirtschaft, die auch ökologisch und sozial weniger Schaden anrichtet. Es kann ja nicht die einzige Möglichkeit bleiben. Was ist mit dem Kommunismus? Sylwia: Der Kommunismus, so wir wie ihn aus einigen Staaten kennen, hat die Menschen ja auch nicht glücklich gemacht. Max: Man muss sich vor allem von Ideologien befreien und in der Lage sein, Fehler in Systemen zu erkennen. Der Kapitalismus hat sich ja trotz ­aller Kritik recht lange stabil gehalten. Es gibt in allen Systemen Elemente, die gut funktionieren.