Die Konflikte zwischen PKK und türkischen Nationalisten in der Türkei und in Deutschland

Nationalisten in der Offensive

Die Auseinandersetzung zwischen Nationalisten und der kurdischen PKK in der Türkei findet auch in Deutschland Resonanz. In den vergangenen Wochen eskalierten die Konflikte zwischen türkischen Rechten und kurdischen Gruppen in mehreren deutschen Städten. Auch dort, wo das kurdisch-türkische Zusammenleben bisher gut funktioniert hat, wird die Spannung nun spürbar.

Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen zu Auseinandersetzungen zwischen linken Kurden und nationalistischen Türken. In Hannover und Bern wurden zwei Männer schwer verletzt. Nach ruhigen Jahren haben sich türkische Nationalisten entschieden, auf Provokationen zu setzen. Ziel der Attacken ist es, die kurdische Linke in ein schlechtes Licht zu rücken und so deren Stimmenanteil bei den türkischen Parlamentswahlen am 1. November zu vermindern.
Am 7. Juni wurde in der Türkei gewählt. Den Wahlen wurde besondere Bedeutung zugemessen. Die islamische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Präsident Recep Tayyip Erdo­ğan hatte das erklärte Ziel, die Zweidrittelmehrheit zu erlangen. Diese wäre für eine Verfassungsänderung erforderlich, um das politische System der Türkei in ein Präsidialsystem umzuwandeln und Erdoğan mit mehr Macht auszustatten. Daraus wurde nichts, die AKP erhielt lediglich 40 Prozent der Stimmen. Dafür schnitt die prokurdische linke Demokratischen Partei der Völker (HDP) mit 13 Prozent erstaunlich gut ab, und das obwohl sie erstmals zu den nationalen Parlamentswahlen antrat. Vorher waren kurdische Kandidaten als Einzelbewerber in aussichtsreichen Bezirken angetreten. Nicht zuletzt wegen des guten Abschneidens der kurdischen HDP verfehlte die AKP nicht nur ihr Ziel, sondern verlor auch die absolute Mehrheit. Koalitionsverhandlungen nach der Wahl scheiterten. Weder die sozialdemokratische CHP noch die nationalistische MHP wollten mit Erdoğans Partei koalieren. Für den 1. November sind Neuwahlen angesetzt.
Nach einem Bombenanschlag in der kurdischen Stadt Suruç, bei dem ein Anhänger des »Islamischen Staates« mindestens 32 größtenteils junge Menschen ermordete, verkündete die Türkei, sich nun auch am Kampf gegen den Terror in Syrien zu beteiligen. Hauptziel der türkischen Operationen waren allerdings nicht die Stellungen der Islamisten, sondern Camps der kurdischen Guerilla PKK. Nach diesen Angriffen spitzten sich auch in der Türkei die Konflikte zu. Die PKK und ihr nahestehende Gruppen entführten und erschossen türkische Soldaten und Polizisten und erklärten Teile der kurdischen Gebiete für von der Guerilla kontrolliert. Die Türkei antwortete mit voller Härte. Die kurdische Stadt Cizre beispielsweise wurde von der Armee belagert, eine totale Ausgangssperre verhängt. 21 Zivilisten wurden getötet. Versuche von Abgeordneten der HDP, den Konflikts zu beruhigen und die Stadt zu besuchen, wurden von der Regierung unterbunden.
Gleichzeitig mit den polizeilichen und militärischen Operationen gegen die PKK begannen pogromartige Ausschreitungen gegen Kurden und Einrichtungen der HDP. Über 130 Büros der kurdischen Partei wurden angegriffen und teilweise in Brand gesetzt. Die türkische Polizei sah oft tatenlos zu. Die Angriffe werden von medialer Hetze gegen die Vorsitzenden der HDP begleitet. So titelte die AKP-nahe Tageszeitung Yeni Şafak mit einem Bild von Selahattin Demirtaş und der Überschrift »Mörder«. Das Ziel des Mobs aus türkischen Nationalisten und islamistischen Anhängern der AKP ist klar. Der HDP soll der Wahlantritt so schwer wie möglich gemacht und die kurdischen Gruppen sollen zu Racheaktionen aufgestachelt werden. Doch bisher lässt sich die HDP nicht provozieren, ruft weiter zu neuen Verhandlungen zwischen der Türkei und der PKK auf und warnt vor den Gefahren eines Bürgerkriegs.

Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz finden die Konflikte in der Türkei eine Resonanz. An den vergangenen beiden Wochenenden kam es zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen Faschisten und kurdischen Linken in dutzenden Städten. Die schlimmsten Konflikte zwischen beiden Gruppen gab es am 12. September. Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfe verletzten in Hannover und Bern Kurden schwer. Sogar falsche Todesmeldungen machten die Runde.
In Bern nutzte ein »Grauer Wolf« sein Auto als Waffe und raste in eine kurdische Demonstration, er verletzte dabei mehr als 20 Menschen. Da es in der Schweiz für jeden möglich ist, Autokennzeichen im Internet abzufragen, wurde schnell die Adresse des Angreifers bekannt. Es wurde zur Rache aufgerufen, Vergeltungsaktionen blieben allerdings bislang aus. Angehörige des Fahrers schildern die Situation anders als diekurdischen Gruppen. Nach ihren Angaben sei das Auto mit Eisenstangen attackiert worden, der Fahrer habe demzufolge in Not und Angst um sein Leben gehandelt.
Die Situation in Hannover war eindeutiger. Hier hatte ein 50jähriger türkischer Nationalist einen 26jährigen Kurden mit einem Messer attackiert und schwer verletzt. Der Angreifer stellte sich am Sonntag nach der Tat der Polizei. Diese ermittelt zwar wegen versuchter Tötung, ließ den Angreifer aber wieder frei. In Hannover waren im Anschluss an eine »Friedensdemonstration« türkischer Nationalisten immer wieder Gruppen von türkischen Faschisten und Kurden aneinander geraten. Augenzeugen schilderten die Situation als völlig unübersichtlich und bezeichneten es als Wunder, dass nicht mehr passiert sei. Die Polizei sei an dem Nachmittag völlig überfordert gewesen und habe es nicht geschafft, die Gruppen zu trennen.

Am Sonntag nach der Attacke demonstrierten über 2 000 Menschen in Hannover ihre Solidarität mit dem Angegriffenen. Hier war die Polizei mit einem Großaufgebot präsent, und bis auf eine kleine Provokation durch türkische Nationalisten gab es keine Probleme.
An der Demonstration in Hannover beteiligten sich erstaunlich viele deutsche Linke, vor allem Antifaschisten. In Hannover hat die Zusammenarbeit zwischen türkischen und deutschen Linken Tradition, seit Halim Dener, ein kurdischer Jugendlicher, 1994 beim Plakatieren von PKK-Symbolen von einem Polizisten erschossen wurde. Auch eine Woche nach der Demonstration brachten linke Ultras des unterklassigen Clubs SV Linden 1907 ihre Solidarität mit dem beinahe getöteten Kurden zum Ausdruck. »Schulter an Schulter gegen Faschismus« stand auf einem Banner, das sie im Stadion präsentierten.
Hannover und Bern sind nur die auffälligsten Beispiele für Konflikte zwischen nationalistischen Türken und linken Kurden in den vergangenen zwei Wochen. Auch in anderen Städten gelang es Grauen Wölfen, aus Demonstrationen auszubrechen und Kurden zu attackieren. Hamburg, Berlin, Stuttgart und Essen sind nur einige Beispiele für Angriffsversuche.
Außerdem verschieben sich die Auseinandersetzungen in den vergangenen Wochen weg von den Demonstrationen und hin zu Angriffen auf Vereinsräume. In Bielefeld attackierten PKK-Anhänger eine Moschee, die den Grauen Wölfen unterstehen soll, und beschädigten geparkte Autos. In Köln musste die Polizei am vergangenen Sonntag mit einem Großaufgebot ausrücken, als türkische Nationalisten versuchten, einen kurdischen Verein anzugreifen.
Konflikte zwischen Grauen Wölfen und kurdischen Linken gab es in der Vergangenheit immer wieder. Meistens, wie auch jetzt, wenn die Spannungen in der Türkei zunehmen. Noch im vergangenen Sommer schilderten kurdische Aktivisten, dass die Konflikte hier eher abgenommen hätten. Anhänger beider Gruppen lebten oft in denselben Stadtteilen und hätten sich miteinander arrangiert. Man gehe zwar nicht unbedingt beim »Grauen Wolf« einkaufen, im Alltag habe man aber keine Probleme miteinander. Das hat sich mit der Eskalation in der Türkei geändert.

Die deutsche radikale Linke verhält sich im derzeitigen Konflikt bisher zum großen Teil passiv. In Städten mit antiimperialistischer Tradition wie Stuttgart agieren Kurden und deutsche Linke zwar gemeinsam gegen Aufmärsche rechter Türken. Solche Städte sind aber derzeit Einzelfälle. Die große Rojava-Solidarität des vergangenen Sommers ist abgeflaut und die radikale Linke betrachtet das Geschehen, ohne sich zu positionieren. Das müsste nicht so sein.
Die neueren Schriften des inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan sind für deutsche Linke durchaus interessant. Öcalan entwirft dort eine ökoanarchistische Zukunftsvision, in der der Staat keine Rolle spielt. Auch das Bild von Öcalan als »Führer« bekommt durchaus Risse, wenn man kurdische Aktivisten über Öcalan reden hört. Für die deutsche Linke lohnt sich eine Beschäftigung mit Öcalan, der PKK, allgemein der kurdischen Linken. Nicht ignoriert werden sollten aber auch Graue Wölfe, Islamisten und andere rechte türkische Gruppen.