Die Sythesizer-Werkstatt Befaco

Das große Steckerfieber

Die Synthesizer-Werkstatt Befaco bildet das Epizentrum einer Szene, die ihre elektronischen Instrumente eigenhändig fertigt. Mittlerweile bietet die kleine, in Barcelona ansässige Firma europaweit Workshops an.

Nein, von dieser Adresse habe er noch nie gehört. Der Taxifahrer holt Verstärkung, gemeinsam wird über dem Stadtplan gerätselt. Wenn nicht einmal die Großstadtkutscher wissen, wo der seltsame Künstlerunterschlupf liegt, ist man wohl auf der richtigen Fährte. Schließlich werden die Taxifahrer doch fündig, auf geht’s nach Poblenou, einem Ortsteil Barcelonas, der schon bessere Zeiten gesehen hat. Baulücken und Industriekomplexe ziehen vorbei, das Auto hält vor einer Mauer und der Taxifahrer deutet auf die Einfahrt eines Grundstücks. Hätte hier ein »Betreten verboten«-Schild gehangen, es wäre längst übersprüht worden. So gelangt man zum Hangar, einem der kreativen Zentren dieser Stadt.
»Hangar ist ein offenes Haus, alle hier tätigen Künstler arbeiten nach den Grundsätzen von Open Source, Open Hardware und Open Software«, sagt Manu, dessen Synthesizer-Schmiede ebenfalls im Hangar ihre Arbeitsräume hat. Etwas angeschlagen sei er vom Wochenende, sagt Manu und blinzelt durch sein dickes Brillengestell. Ein großes Treffen sei es gewesen, mit internationalen Gästen, anderen Herstellern und Künstlern. Jeden Donnerstag öffnet das Hangar seine Türen der Öffentlichkeit – jeder kann kommen, um sich technische Unterstützung zu holen und mit den hier tätigen Künstlern in Kontakt zu treten. Vielleicht erklärt sich so auch die Unübersichtlichkeit der auf hangar.org vorgestellten Projekte, Seminare und Workshops. Alle scheinen mit allen zusammenzuarbeiten, die Querverbindungen zwischen den künstlerischen, technischen und wissenschaftlichen Projekten bilden ein dichtes Netz. »Ohne das Hangar hätte es auch Befaco vielleicht nie gegeben«, überlegt Manu.
Angefangen hatte alles Mitte der neunziger Jahre. Die Stadt richtete zahlreiche Ausstellungsorte ein, Arbeitsräume für Künstler hingegen wurden knapp. Die Associatio d’Artistes Visuals de Catalunya, eine Vereinigung audiovisueller Künstler, stieß bei ihrer Suche nach Arbeitsräumen 1996 schließlich auf eine alte Textilfabrik und bezog sie. Man begann direkt mit der Renovierung, am 20. Juni 1997 wurde das Hangar eröffnet und erlangte, dank der Unterstützung namhafter Künstler, 2002 legalen Status. Seit Anbeginn arbeitet das Haus mit Universitäten und Forschungseinrichtungen ebenso zusammen wie mit Kunstkollektiven; Multimediaprojekte und interaktive Installationen werden hier realisiert, Fortbildungen und Seminare angeboten, um Künstlern die Fertigkeiten für ihre Arbeit zu vermitteln.
»Wer einen Videoschnittplatz für seine kommerzielle Musikvideoproduktion benötigt, muss Miete zahlen. Räumlichkeiten für ein DIY-Plakatfestival werden kostenlos zur Verfügung gestellt«, erklärt Manu und schaut auf eine abgesägte PET-Flasche, in der grüne Flüssigkeit durch einen Schlauch zum Blubbern gebracht wird – offenbar Kunst. »Das steht hier seit einer Woche. Durch Zuführung von Sauerstoff wird dadrin Seegras produziert.« Manu arbeitet erst seit einigen Jahren bei Befaco und ist eher hineingerutscht in das Team, weil er häufig vor Ort war. Zwei seiner Kollegen, Diego und Jano, arbeiten seit 2007 im Hangar. Sie waren damals gekommen, um hier mit einfachen Mitteln im Bereich elektronischer Klangerzeugung zu experimentieren. Anfangs beschränkten sie sich auf simple Schaltungen, löteten kleine Boxen zusammen, »Krachmaschinen«, wie Manu sie nennt, worauf er eine Reihe Piep- und Zischlaute von sich gibt und lacht. Einen Namen hatte die Unternehmung damals noch nicht, das war nicht wichtig. Es ging darum, zu experimentieren und die Arbeitsmittel individuell auf die Kunstproduktion abzustimmen. Weil sie das Know-how teilen wollten, initiierten Diego und Jano erste Workshops, die schon bald monatlich stattfinden sollten. Manu war beim ersten Workshop dabei, für die Teilnahme zahlte man damals etwa 30 Euro, verbrachte einen Tag in den Werkstätten des Hangar und konnte am Abend eine dieser kleinen Krachboxen mit nach Hause nehmen. »Das waren simpel strukturierte Geräte. Es ging auch darum, sich ein Grundverständnis der Technik anzueignen und es weiterzugeben«, erklärt Manu.
2008 nahmen Diego und Jano eine Kurskorrektur vor, es war die Geburtsstunde von Befaco. Sie recherchierten und probierten, um ihren ersten Modular-Synthesizer zu entwerfen. Es war eine monströse Maschine, eigens gefertigt für eine Kunstinstallation. »Ein solcher Synthesizer besteht, vereinfachend gesagt, aus kleinen Modulen, die miteinander durch Kabel verbunden werden, um Klänge zu erzeugen«, sagt Manu und gibt wieder Geräusche von sich, dieses Mal in einer deutlich größeren Bandbreite: »Fieep. Cronck. Packsch«. Die Grundlagen der Technik stammen aus den sechziger Jahren, die Erfindung des Synthesizers bedeutete eine Revolution, deren Spuren bis heute im Alltag vorzufinden sind: Handy-Klingeltöne fußen genauso auf den Prinzipien der Klangsynthese wie das allseits beliebte Klingeln des Digitalweckers am Morgen. Der Modular-Synthesizer zerlegt die Schritte der Klangerzeugung, wie sie auch in gängigen Tastensynthesizern vorverkabelt sind, gewissermaßen in ihre Bestandteile. Wie ein Ton anschwillt, ob er gar perkussiv ist, in welcher Höhe er erklingt – und vor allem, welche Soundfolgen und Modulationen des Timbres sich ergeben, diese Variablen beispielsweise werden durch die einzelnen Module und ihre Steckverbindungen gestaltbar. Einige behaupten, Modular-Synthesizer könnten ganze Orchester ersetzen.
Lange Zeit galten Modular-Synthesizer als Nischenprodukte. Sie waren teuer, wegen ihrer Größe nicht transportabel und fristeten deshalb zumeist ein Dasein in besser ausgestatteten Tonstudios, wo Soundtüftler und Experimentalmusiker an ihnen herumschraubten. Bis ein neues Format entwickelt wurde, genannt Eurorack, das die Möglichkeiten des Modular-Synthesizer auf kleinerem Raum zusammenfasste. Die Geräte wurden handlicher, Musiker konnten sie fortan auf der Bühne verwenden und ihr individuell zusammengestelltes System mit auf Tour nehmen.
»Vor drei Jahren etwa ist ein regelrechtes Fieber ausgebrochen«, sagt Manu. Heute seien mehr Leute denn je an Modular-Synthesizern interessiert, es sei geradezu trendy geworden, wie er sagt. Während es vor fünf Jahren keine 20 Hersteller im Eurorack-Format gab, sind es mittlerweile 120. Zumeist handelt es sich um wenig professionell geführte Firmen, in denen lediglich zwei bis drei Leute arbeiten, für die das Geschäft nicht im Vordergrund steht.
15 bis 20 Teilnehmer seien zu den ersten Befaco-Workshops gekommen, erzählt Manu und wertet das als Erfolg. Schnell knüpfte man Kontakte, organisierte bald auch Workshops in Madrid, dann in London und Berlin. Festpreise für die Anmietung von Räumlichkeiten seien unüblich, meistens handele es sich um Kooperationen. Verschiedene Locations stellen Räumlichkeiten zur Verfügung, unterstützen das Befaco-Team beispielsweise bei der Werbung und werden im Gegenzug am Gewinn beteiligt. Die Teilnahme an einem zweitägigen Workshop kostet mitsamt dem Material etwa 80 bis 120 Euro – je nach Modul.
»Während des Workshops halten wir uns in der Regel zurück«, sagt Manu. Es dürfe kein Frontalunterricht stattfinden. Also wird jedem der gewünschte Bausatz und das nötige Werkzeug zur Verfügung gestellt und dann muss man zunächst allein klarkommen. »Eigentlich ist es ein bisschen wie Lego«, sagt Manu, was man angesichts der vielen kleinen unterschiedlichen Teile nicht ganz glauben kann. »Naja, mit Lötkolben und so«, fügt er hinzu. Technische oder handwerkliche Fertigkeiten würden nicht vorausgesetzt, man lerne alles im Rahmen des Workshops. Und wenn das Modul am Ende nicht funktioniere und beim ersten Anschließen zu qualmen beginne, greife einer der vier Befaco-Mitarbeiter ein. »So ist garantiert, dass hier niemand frustriert rausgeht. Alle verlassen den Workshop mit einem funktionierenden Modul.«
Auch wenn die Website sicherlich ein Update gebrauchen und die Öffentlichkeitsarbeit intensiver verfolgt werden könnte, die Workshops laufen gut. »Mein Bruder ist Geschäftsmann und schlägt regelmäßig die Hände über dem Kopf zusammen, wenn ich ihm erzähle, wie wir arbeiten.« Trotzdem können mittlerweile alle vier Mitarbeiter von Befaco leben. Gerade so, versteht sich. Wenn man auf teure Restaurantbesuche verzichtet und sich mit Sechs­tagewochen und nicht selten zwölf Stunden täglicher Arbeitszeit anfreunden kann. Die sind vonnöten, um sowohl die Workshops zu organisieren als auch Material zu beschaffen und eigene Module zu entwickeln. Denn Befaco ist längst auch für das Design von Modulen zuständig, die das Team ebenfalls in der Werkstatt zusammenbaut und an Wiederverkäufer ausliefert. »Angesichts der politischen und sozialen Umstände in diesem Land können wir uns glücklich schätzen, dass wir mit so etwas Geld verdienen. Es kann einem so schnell passieren, dass man unter sklavereiähnlichen Bedingungen schuften muss«, sagt Manu. Die Frage, inwieweit die DIY-Ethik bei Befaco wie in so vielen anderen Szenen zur widerständigen Praxis verklärt wird, stellt sich vor diesem Hintergrund gar nicht erst. Es scheint nicht zuletzt darum zu gehen, sich einen Teil der Zumutungen des modernen Arbveitslebens vom Leib zu halten.
Aber die Teilnehmer der Workshops, sind das nicht mehrheitlich verdruckste Nerds, die damals im Physikunterricht geschlafen und nun das Bedürfnis haben, etwas nachzuholen? Und geht es in der DIY-Modular-Synthesizer-Szene nicht zu wie bei der Fernsehserie »Tool Time«, mit ähnlicher Rollenverteilung? Es sei von Land zu Land unterschiedlich, sagt Manu. Während in Spanien fast ausschließlich Männer an den Workshops teilnähmen, kämen in Deutschland und Großbritannien von Mal zu Mal mehr Frauen. »In Berlin hatten wir etwa einen 50/50- Schnitt«, sagt er. Ein nicht unerheblicher Anteil der Teilnehmer sei tatsächlich vor allem an der Technologie interessiert. Und Sammler, die gebe es auch, sagt Manu und erzählt von jemandem, der seine Slotcar-Sammlung der sechziger Jahre verkauft hat, um sich einen Haufen Module zuzulegen. »Einige könnten wohl genausogut eine Modelleisenbahn im Keller haben«, sagt Manu, »denen geht es dann weniger um die Musik. Sie kaufen sich ein Modul, probieren es aus und sind im nächsten Moment schon wieder auf den einschlägigen Websites unterwegs, um für Nachschub zu sorgen.« Größtenteils aber seien die Teilnehmer Musiker, teilweise schon seit Jahrzehnten, die alle Entwicklungen der elektronischer Klangproduktion, alle Trends und Geräte miterlebt haben und von den scheinbar unendlichen Möglichkeiten modularer Synthesizer fasziniert seien. Oder Künstler, die die Vorzüge des Instruments für ihre Installationen benutzen. »Wobei auch diskutiert wird, ob es sich bei Modular-Synthesizern um Musikinstrumente handelt oder ob man nicht abstrakter von künstlerischen Werkzeugen sprechen sollte«, sagt Manu. »So mancher Musikwissenschaftler findet es grässlich, was in der Modular-Synthesizer-Szene produziert wird. Aber wen bitte kümmert das?«
Tatsächlich scheinen sich Expertentum und Dilettantismus in der Szene näherzukommen als in anderen Bereichen der Musikwelt. Denn wer will schon beurteilen, welche Sounds, welche Art der Klangsynthese richtig oder falsch, gut oder schlecht ist? Schließlich kann man sich nicht einmal auf althergebrachte Traditionen oder Lehrwerke berufen. Der Strom fließt munter durch die Geräte und im Zweifel erzeugen die Spannungen Töne ohne menschliches Zutun. Aus dem Nebenraum wummst etwas, das an eine Kick-Drum erinnert, bald schon setzt der Bass ein. Ein Saiteninstrument ist es sicher nicht.

Der nächste Befaco-Workshop findet vom 31. Oktober bis 1. November in der C-Base in Berlin statt.