Gegen Rafa sind die anderen Luschen

Berlin Beatet Bestes. Spezialfolge: Barcelona.

Arno und ich fahren mit der Bahn an den Stadtrand, nach Sarriá, im Nordwesten Barcelonas. Dort laufen wir eine Weile an einer Ausfallstraße entlang und kommen schließlich in ein kleines Altstadtviertel, dessen Bürgersteige schon hochgeklappt sind. Rafa wartet bereits vor einem Gebäude, das wie an eine vierstöckige Häuserzeile geklebt scheint, begrüßt uns freundlich und führt uns in den großen Eingangsraum. Das einstöckige, großzügige und sehr aufgeräumte Stadthaus wirkt wie eine Villa. Als Rafa uns noch die Gästezimmer und seine Fahrradwerkstatt zeigt, denken wir: Was ist denn hier für ein Reichtum ausgebrochen? Wir wollten eigentlich den Punk Rafa besuchen, Künstlername DOC, den Pushead Spaniens, den profiliertesten DIY-Punk-Illustrator Europas.
Was ist hier los? Bevor wir diese Frage klären können, gibt es erstmal Linsensuppe auf der Dachterrasse, während Rafa uns Burning vorspielt, Spaniens Kult-Rocker der achtziger Jahre. Zufällig hat er die Gruppe am Nachmittag in der Stadt bei einem Straßenauftritt gesehen. Er erklärt uns die spanische Kinky-Bewegung der siebziger Jahre, die nach dem Ende der Franco-Diktatur entstand. Vielleicht sind die Kinkys am ehesten vergleichbar mit den jugendlichen Gammlern im Deutschland der sechziger Jahre, aus denen später politisierte Haschrebellen und Stadtguerilleros wurden. Kinky ist jedenfalls in Spanien bis heute ein Begriff für krass, cool und illegal.
Und kinky ist auch Rafas Bude. Nachdem er mehrere Jahre in einem besetzten Haus in der Nachbarschaft gewohnt hatte, wurden seine Freunde und er auf das verfallende Haus aufmerksam, das damals noch von Obdachlosen genutzt wurde. Der Besitzer, mit dem sie sich mündlich darauf einigten, das Haus instandzusetzen, ging pleite, das Haus wurde gepfändet, und das Grundstück ging in städtischen Besitz über. Die Stadtverwaltung interessiert sich nicht für die Immobilie, duldet aber Rafa und seine Mitbewohner. Das Haus scheint nicht zu existieren, ebensowenig wie fließendes Wasser. Im Bad stapeln sich die Wasserkanister. Dann werden wir in den hauseigenen Siebdruckraum geführt, in dem die vielen Comic-Cover, Poster und T-Shirts von DOC Industries entstehen. Überraschenderweise macht der 39jährige Rafa alles selbst, er stellt sogar die Siebe her. Auch seine makellosen Originale sind beeindruckend. Den filigranen Strichzeichnungen auf Aquarellkarton fügt er typographische Elemente stilsicher von Hand hinzu. Hierfür verwendet er die Typomaschine, eine Sammlung alter Stempelwerkzeuge und Satzbuchstaben, die er in seinem kleinen Geheimkoffer aufbewahrt. Alles, was Rafa macht, ist first take. Computergrafikdesigner, die vorher virtuell Tausende Versionen ausprobieren, bevor es irgendein Produkt gibt, sind dagegen totale Luschen. Rafas radikal authentische Arbeitsweise und sein subkultureller Stil können formal und ästhetisch eigentlich nur in passenden Punk-Räumen richtig wirken. Denn obwohl Rafa seine Drucke zu Hause fein säuberlich eingerahmt präsentiert, macht er doch vor allem Punk-Kunst für Punks. Stunden später verlassen wir sehr inspiriert Sarriá. Punk – we survive!
Mein Name ist Andreas Michalke. Ich zeichne den Comic »Bigbeatland« und sammle Platten aus allen Perioden der Pop- und Rockmusik. Auf meinem Blog Berlin Beatet Bestes (http://mischalke04.wordpress.com) stelle ich Platten vor, die ich billig auf Flohmärkten gekauft habe.