Eine Abspaltung Kataloniens würde nicht nur den Verbleib in der EU gefährden

Österreich oder Albanien

Katalanische Separatisten erhoffen sich durch eine Abspaltung Kataloniens von Spanien ökonomischen Nutzen für die Region. Doch nicht nur die EU-Mitgliedschaft wäre gefährdet.

Wenn man den Separatisten glauben will, sieht die wirtschaftliche Zukunft eines unabhängigen Kataloniens rosig aus. Experten des Wirtschaftsministeriums in Barcelona haben errechnet, dass die 7,5 Millionen Einwohner zählende Region als eigener Staat eine Wirtschaftsleistung wie die Niederlande oder Österreich erreichen würde. Immerhin erwirtschaftet Katalonien rund ein Fünftel des spanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und gehört nach dem Baskenland, Madrid und Navarra zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen des Landes. Viele wichtige spanische Unternehmen wie Gas Natural, Caixabank und Banco Sabadell sind in Katalonien beheimatet. Die Wirtschaft ist höherentwickelt als in vielen anderen Regionen Spaniens, breit diversifiziert und stark exportorientiert.
Doch der Erfolg hat auch seinen Preis. Um die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Regionen auszugleichen, führt Katalonien jährlich bis zu 16 Milliarden Euro an den spanischen Staat ab. Ein Beitrag, der, gemessen an der Bevölkerungszahl, weit über das hinausgeht, was zum Beispiel Bayern im Rahmen des deutschen Länderfinanzausgleichs leistet. Die hohen Abgaben an die Zentralregierung in Madrid gehören auch zu den wichtigsten Argumenten der Separatisten. Es war kein Zufall, dass die Unabhängigkeitsbewegung nach Beginn der Wirtschaftskrise 2008 deutlich an Dynamik gewonnen hat. Nicht nur der spanische Zentralstaat geriet wegen der rapide ansteigenden Verschuldung in ernsthafte Schwierigkeiten, auch die katalanische Regionalregierung kämpft seitdem mit finanziellen Problemen. Umso mehr ärgerten sich viele Katalaninnen und Katalanen über die Leistungen an die Zentralregierung. »Wir waren bereit, mehr zu zahlen, um ärmere Regionen in Spanien zu unterstützen, aber es ging zu weit«, schrieb Kataloniens Regionalpräsident Artur Mas in einem Gastbeitrag in der New York Times. Pro Kopf würden die Katalanen deutlich weniger an öffentlichen Zuwendungen aus Madrid erhalten als die meisten spanischen Regionen, obwohl Katalonien viel mehr zu den Einnahmen beitrage als der Durchschnitt.

»Spanien bestiehlt uns«, lautet entsprechend eine zentrale Botschaft der Separatisten. »Katalonien stellt 16 Prozent der Bevölkerung Spaniens, produziert 20 Prozent des Reichtums, bezahlt 24 Prozent der Steuern und erhält nur zehn Prozent der staatlichen Ausgaben«, so Lluis Pérez von der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Der innerspanische Finanzausgleich sei der Hauptgrund für die hohe Verschuldung Kataloniens, die derzeit rund 60 Milliarden Euro beträgt. Daher gehört die volle Steuerhoheit zu den wichtigsten Forderungen der Regionalregierung in Barcelona. Die Steuern, die von katalanischen Bürgern gezahlt werden, sollen, wie es bereits im Baskenland geschieht, wieder zurück in die Region fließen oder am Besten gleich dort bleiben. Die Unabhängigkeit soll es möglich machen.
Doch nicht alle Katalaninnen und Katalanen sind überzeugt, dass Separatismus automatisch zu mehr Wohlstand führt, so zum Beispiel José Luis Bonet, der Präsident von Freixenet, der meistverkauften Cava-Marke aus Katalonien. Von Unabhängigkeit will er nichts wissen. »Wenn es so weit käme, wäre das ein wahrhaftes Desaster für Katalonien und für Spanien«, sagt er. Bonet repräsentiert nicht nur eine der bekanntesten katalanischen Marken, deren Produkte zu rund 80 Prozent ins Ausland exportiert werden, sondern ist auch Präsident der Spanischen Handelskammer. Gemeinsam mit dem Präsidenten des spanischen Unternehmerverbands CEOE, Juan Rosell, ebenfalls Katalane, hat er einen Brief geschrieben, der von der Zeitung La Vanguardia aus Barcelona veröffentlicht wurde. Sie gehörten zu den vielen, »die sich als Katalanen, Spanier und Europäer« fühlen, schreiben die beiden, »und wir wollen auf keine dieser drei Eigenschaften verzichten«.
Wie Bonet und Freixenetwenden sich vor allem große Unternehmen, die eng mit dem spanischen Markt verflochten und exportorientiert sind, gegen Unabhängigkeitsbestrebungen, während sich kleine und mittlere Firmen eher Vorteile davon versprechen. So hat die Caixabank, eines der größten spanischen Finanzinstitute, bereits damit gedroht, ihren Sitz nach Madrid zu verlegen.
Auf die Angst vor den wirtschaftlichen Folgen baut auch die Zentralregierung in Madrid, wenn sie gegen die Separatisten wettert. Insbesondere verweist sie gerne darauf, dass ein unabhängiges Katalonien die EU-Mitgliedschaft verlieren könnte. Die wirtschaftsstarke Industrie- und Touristik­region am Mittelmeer müsste sich dann erneut um eine Aufnahme bewerben. Die Nachbarstaaten würden Zölle für katalanische Waren erheben, die Grenze dürfte nur mit Reisepass überschritten werden. All dies würde dazu führen, dass die katalanische Wirtschaftsleistung um ein Drittel einbräche. Der frühere sozialistische Ministerpräsident Felipe González warnte sogar, Katalonien könne das »Albanien des 21. Jahrhunderts« werden.

Hinzu kommt, dass die Region finanzielle Zuwendungen erhält, auf die sie dann vermutlich verzichten müsste. So hat der spanische Bankenrettungsfonds FROB katalanische Banken während der Finanzkrise mit vielen Milliarden Euro an Kapitalhilfen unterstützt. Der Fonds wiederum erhielt dafür Kredite über den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Wenn Katalonien aus der Euro-Zone ausscheidet, wären solche Transferleistungen wohl nicht mehr möglich.
Die Separatisten halten diese Szenarien für abwegig. »Eine Unabhängigkeit unter EU-Aufsicht wäre ein gangbarer Weg«, sagt der katalanische Ökonom Oriol Amat von der Universität Pompeu Fabra. »Kein Staat hat ein Interesse daran, dass Katalonien außerhalb der EU bleibt«, zumal es als Nettozahler zum EU-Budget beitrage. In den EU-Verträgen ist eine Separation aber nicht vorgesehen. Ein Verbleib Kataloniens in der EU und in der Euro-Zone wäre vermutlich nur mit Einverständnis der spanischen Zentralregierung möglich  das diese aber kaum gewähren wird.
Dabei lenkt die Debatte um die Unabhängigkeit von gravierenden wirtschaftlichen Problemen ab. Katalonien gehört zu den Regionen in Europa, deren Wertschöpfung vor allem aus dem Dienstleistungssektor, etwa dem Tourismus, resultiert. Forschungs- und Wissenschaftsinvestitionen hat es kaum vorzuweisen, während Immobilien- und Eigentumsspekulationen boomen. Katalonien gehört zugleich zu den Regionen in Europa mit den niedrigsten Sozialausgaben, obwohl es über ein im europäischen Vergleich überdurchschnittliches Bruttosozialprodukt verfügt. Ebenso wie in den anderen spanischen Regionen wurden öffentlichen Aufgaben, unter anderem im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen, abgebaut oder privatisiert.

Die Austeritätspolitik, die von der Regionalregierung in Barcelona in den vergangenen Jahren betrieben wurde, unterscheidet sich trotz aller nationalistischen Rhetorik nicht allzu sehr von der der Zentralregierung. Dies führt in Katalonien zu wachsenden sozialen Gegensätzen, wobei Vermögende mit Kapital- und Immobilienbesitz besonders profitieren. Andererseits hat sich die Anzahl der Haushalte in Katalonien, deren Mitglieder alle ohne Arbeit sind, in den Jahren von 2008 bis 2013 fast vervierfacht. Und selbst wer arbeitet, kann davon oft kaum leben. Rund ein Fünftel der Erwerbstätigen gelten als arm, da sie weniger als 800 Euro im Monat verdienen. Wie im restlichen Spanien ist der Anteil an prekär Beschäftigten hoch, viele müssen einen zweiten oder gar dritten schlechtbezahlten Job annehmen.
Die Separatisten nutzen die soziale Krise, um für die Unabhängigkeit zu werben. Sie behaupten, dass ohne die Abgaben an die Zentralregierung eine soziale Umverteilung möglich sei – und verschweigen dabei, dass gerade die neoliberale Politik der Regionalregierung maßgeblich zu der Misere beigetragen hat. »Die sozialen Auswirkungen der Krise wurden geschickt genutzt, um die Verärgerung klassenübergreifend zu nutzen«, schreibt Josep Borrell, ehemaliger katalanischer Präsident des EU-Parlaments. Mit dem Ruf nach Unabhängigkeit lassen sich die sozialen Probleme leicht überdecken. Doch auch in einem unabhängigen Katalonien sähe die Zukunft für die meisten Katalaninnen und Katalanen alles andere als rosig aus.