In Barcelona tobt die Gentrifizierungsdebatte

Stadtentwicklung im Abseits

Wer als Tourist nach Barcelona kommt, kann es zuweilen schwer haben. Ein Individualreisender ist man in der Stadt jedenfalls garantiert nicht. Ein Viertel aller Spanienurlauber steigt in der katalanischen Hauptstadt ab. Die Menge an Touristen führt bei einigen Barcelonern zu ­Unmut.

»Wenn Katalonien unabhängig wird, dann kann der FC Barcelona nicht mehr in La Liga spielen«, verkündete der Präsident der spanischen Fußballliga, Javier Tebas, vor den katalanischen Regionalwahlen am 27. September. Damit bezog er sich auf ein Szenario, in dem Katalonien seine Unabhängigkeit von der spanischen Erbmonarchie erklärt. Die Ansage richtete sich nicht nur an die Anhänger des populären Fußballclubs, sondern auch an die Menschen, die im katalanischen Tourismus tätig sind. Denn der FC Barcelona ist nicht zuletzt auch ein populäres Aushängeschild für die katalanische Tourismusindustrie. Ohne die »Clásicos« gegen Real Madrid müsste diese auf ein kommerzielles Highlight verzichten.
Im Jahr 2014 empfing Katalonien 16,8 Millionen internationale Gäste, das waren 25,9 Prozent aller Touristen in Spanien. Barcelona steht weltweit an sechster Stelle im Ranking der Städte mit den höchsten Einnahmen aus dem Tourismus. Besonders in den Sommermonaten füllt sich die Altstadt mit Menschenmassen. Die traditionellen Musikläden, Textilgeschäfte und alteingesessenen Cafés sind den Fastfoodrestaurants und Souvenirgeschäften gewichen, wo man Trikots des FC Barcelona, Fächer, Stierfigürchen, und – warum auch immer – mexikanische Sombreros kaufen kann.
Im Viertel El Raval leben viele Menschen, die aus arabischen und lateinamerikanischen Ländern eingewandert sind, zwischen Gentrifizierung und Marginalisierung. Über zahlreichen Balkonen hängen Transparente auf denen »Volem un barri digne« steht, was, aus dem Katalanischen übersetzt, »Wir wollen ein würdiges Viertel« bedeutet. Die Transparente sind Teil einer Kampagne, die 2009 von Anwohnern begonnen wurde und auf die befürchtete Degradierung des Sozialraums durch Unsicherheit, Prostitution und den Massentourismus hinweisen möchte. Auch in Barceloneta, einem Arbeiterstadtteil mit einer Fläche von etwa 130 Hektar, hängen Transparente an den Balkonen, auf denen »Cap pis turistic« (»Keine Wohnungen für Touristen«) zu lesen ist. Die Anwohner verurteilen die massenhafte Vermietung von Wohnungen an Touristen.

Soziale Bewegungen und Organisationen wie »Transeünts« machen darauf aufmerksam, dass für breite Teile der Bevölkerung die Entwicklung des Tourismus mehr Probleme als Vorteile mit sich bringt. Demnach sehen sich viele Menschen gezwungen, ihre Wohnorte zu verlassen, da die Lebenshaltungskosten und die Mieten steigen. Die 400 000 in der katalanischen Tourismusindus­trie entstandenen Arbeitsplätze sind in der Regel befristet und schlecht bezahlt. Projekte wie das »Museum der Verdrängten« analysieren Gentrifizierungsprozesse in der Region aus einer akademischen Perspektive. Sie beleuchten die Geschichten von Menschen, die ihre Wohnungen und Arbeitsplätze verlassen mussten.
Einige Hundert Meter neben der Metro-Station »Arco de Triunfo«, befindet sich der »Espacio Mescladís«, eine kleine Bar voller Pflanzen und Möbel in verschiedenen Farben. Betrieben wird sie von einer gemeinnützigen Stiftung namens »Multikulturelles Bürgertum«, die sich die Inklusion von sozial Marginalisierten zum Ziel gesetzt hat. An den Wänden hängen zahlreiche Fotos von Bewohnern des Viertels Sant Pere i Santa Caterina. Sie sind Ergebnis eines Projekts mit dem Titel »Wer wir sind«, das zwischen 2004 und 2014 Menschen aus der Nachbarschaft in Pappkartons ablichtete. »Das Viertel war und ist noch ein sehr herzlicher Ort«, steht unter einem der Fotos, auf dem ein Vater mit seinem Sohn zu sehen ist, »doch Stück für Stück verliert es sich, wegen der unbezahlbaren Mieten. Es ist sehr touristisch.« Daneben finden sich auch anderslautende Schlussfolgerungen: »Ich fühle mich noch immer wohl hier. Einige der Veränderungen sind gut. Es gibt mehr junge Leute. Mit den alten Leuten war es nicht immer einfach. Es war ihr Ort und sie ließen nicht viel hinein. Heute gehört er etwas mehr allen.«

Insgesamt ist jedoch der Unmut über die Stadtentwicklung in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Eine Folge dieser Stimmung ist der Wahlsieg der von Podemos unterstützten Liste »Barcelona en comù« (Barcelona gemeinsam) bei den Bürgermeisterwahlen im Mai diesen Jahres. Die neue Bürgermeisterin Ada Colau war zuvor Sprecherin der Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH), einer 2008 in den Anfängen der Krise entstandene Basisbewegung, die sich gegen Wohnungsräumungen und für ein »Wohnen in Würde« einsetzt. Unmittelbar nach ihrer Amtseinführung erklärte sie Onlineplattformen, auf denen Ferienwohnungen vermietet werden, den Krieg. Alleine Airbnb bietet in Barcelona 18 000 Wohnungen an, wobei nur etwas mehr als die Hälfte davon offiziell registriert sind, deren Inhaber also die Tourismussteuer bezahlen. Um dies ändern zu können, verlangt die Stadtverwaltung nun die Übergabe der Daten der Wohnungsbesitzer, was Airbnb bislang verweigert und lieber Bußgelder in Kauf nimmt. Colau erklärte außerdem, dass für mindestens ein Jahr keine neuen Lizenzen an Hotels und Hostels mehr vergeben werden und die Anzahl der Kreuzfahrtschiffe, die die Stadt anlaufen, begrenzt wird.
Colau versucht, mit solchen Maßnahmen eine Entwicklung auszubremsen, die bereits in den achtziger Jahren begann, als bekannt wurde, dass Barcelona die Olympischen Sommerspiele 1992 ausrichten würde. 1988 stieß ein öffentlich-privates Konsortium, das mit Mitteln der Stadtverwaltung, verschiedener Banken und des Telekommunikationsunternehmens Telefónica finanziert wurde, die Umstrukturierungen an. Mit dem Vorsatz, »das Stadtzentrum zurückzugewinnen«, wurden Kulturzentren, Museen und Galerien eröffnet. Die traditionellen Markthallen wurden renoviert, Brachflächen saniert und zur Bebauung freigegeben. Erst im Zuge dieser Entwicklung entstand der breite, kilometerlange Stadtstrand inklusive Promenade, in einem Gebiet, wo zuvor Industriehallen und Fischerhütten standen. Die Infrastruktur der Stadt wurde erheblich aufgewertet. Seitdem wird versucht, alles Nonkonforme mit polizeilichen Mitteln aus dem öffentlichen Raum zu verbannen. So können etwa Strafen von bis zu 1 500 Euro gegen Menschen ausgesprochen werden, die außerhalb der dafür vorgesehenen Etablissements Alkohol trinken, ohne Hemd das Haus verlassen, Ball spielen oder skaten.

Eine Folge dieser Entwicklung ist eine Tourismophobie, die nicht nur in Katalonien in manchen Milieus zum guten Ton gehört. Für die Tourismophoben ist der »guiri«, wie der Tourist abwertend bezeichnet wird, ein Rüpel, der kommt, um sich zu besaufen und irgendwann krebsrot am Strand zu erwachen. Die Tourismophobie drückt sich in Barcelona auch in Graffiti und Aufklebern aus: »Tourismus Terrorismus!«, »Der Tourismus tötet die Viertel!« oder »Touristen ab nach Hause!«. Der Hass auf Touristen ist in Spanien allerdings verbreitet. In verschiedenen Regionen gibt es bereits Kampagnen zur Sensibilisierung im Umgang mit Touristen. So klärt beispielsweise die Stadtverwaltung von La Palma auf den Kanaren die Bürger unter dem Motto »Wir sind alle Touristen!« über kulturelle Unterschiede auf und wie man sie den Touristen angemessen näherbringt.
Unter dem Motto »Katalonien ist dein Zuhause« startete der katalanische Tourismusverbandseine aktuellen Kampagne. Sie wendet sich an Besucher und Besucherinnen aus Spanien und insbesondere aus Deutschland. Als Werbeträger fungiert Xavi Hernández i Creus, ehemaliger Fußballspieler des FC Barcelona und der spanischen Nationalmannschaft. »Mit diesem Slogan möchten wir die Großzügigkeit, den Geist der Gastfreundschaft und den Respekt vor der Diversität Kataloniens ausdrücken«, heißt es auf der Homepage der Kampagne.