Mit dem Stierkampf geht es bergab – in Katalonien ist er bereits verboten

24 Shades of Black

Von Ivo Bozic

Seit vier Jahren ist der Stierkampf in Katalonien verboten. Dies ist mehr ein Erfolg des katalanischen Nationalismus als des Tierschutzes.

Die Matadore sind weitergezogen. Sie kämpfen jetzt in Madrid oder Sevilla mit den schwarzen Stieren. In Barcelona fand der letzte Stierkampf 2011 statt, in der Arena am Plaza de Toros Monumental. Seitdem ist in ganz Katalonien der Stierkampf verboten. Aber Antonin ist noch da. Der 81jährige betreibt seit 45 Jahren den kleinen Souvenirshop in der Arena, seit vier Jahren hat er nur noch wenige Kunden. Es sind jene, die den Weg ins kleine Stierkampfmuseum finden und einmal eine echte Arena sehen wollen, auch wenn sie bloß noch Kulisse ist. Früher war hier natürlich mehr los. Antonin hat jede Menge Geschichten zu erzählen, schließlich war er immer ganz nah dran. Seine Mutter war Krankenschwester in der kleinen Erste-Hilfe-Station gegenüber dem Stadion. Dort wurde die Erstversorgung für die verwundeten Toreros geleistet. »Freitags wurden immer die Blutkonserven aufgefüllt fürs Wochenende«, sagt Antonin. Seine Mutter hat zahlreiche bekannte Matadore versorgt. Und Antonins Tochter hat Bruce Spring­steen und Tina Turner die Hand geschüttelt. Whitney Houston war mal in seinem Laden. In der Arena sind eigentlich schon alle Weltstars aufgetreten, die Beatles, die Stones, Bob Marley.

Was aus dem schönen Gebäude im maurischen Stil, das 20 000 Sitzplätze fasst, werden soll, ist unklar. Der Privateigentümer möchte noch etwas Geld dafür sehen, klar. Das Emirat Katar soll eine gewaltige Summe geboten haben, um aus dem Rundbau die drittgrößte Moschee der Welt zu machen. Doch Antonin glaubt nicht, dass es dazu kommt. Auch Barcelonas Bürgermeisterin hat entsprechende Berichte dementiert.
Die beiden anderen ehemaligen Stierkampfarenen Barcelonas haben bereits eine neue Verwendung gefunden. Eines ist ein Einkaufszentrum geworden, die alten Mauern wurden dabei komplett erhalten. Das Stadion Monumental würden viele Stierkampffans in Katalonien gerne so, wie es ist, erhalten sehen. Sie haben immer noch die Hoffnung, dass es ein Comeback gibt für die Corridas, wie die Kämpfe in Spanien heißen. Aber es sieht nicht wirklich danach aus. Insgesamt geht es mit dem Stierkampf in Spanien bergab. 2007 fanden 3 651 Corridas statt, 2014 waren es nur noch 1 868. Dass es in Katalonien gar zum Verbot kam, ist aber nicht nur ein Erfolg von Tierschützern, die sich um das Wohl der Stiere sorgen. »In Wirklichkeit geht es um Politik«, klagt Antonin. »Die Tierschützer haben sich mit den linken Nationalisten verbündet.« Letzteren gehe es aber nicht um die Tiere, sondern um ihre separatistischen Bestrebungen. Den Stierkampf brandmarken sie als eine zentralspanische, kastilianische, also unkatalanische Kultur. Das sei das Motiv für ihre letztlich erfolgreiche Verbotskampagne gewesen. Antonin, der Wert darauf legt, selbst Galizier und in diesem Konflikt sozusagen neutral zu sein, findet das abwegig: »Unsere Arena ist größer als die weltberühmte in Sevilla, und sie war 100 Jahre lang fast immer ausverkauft.« Drei große Arenen gab es in Barcelona. »Zu sagen, der Stierkampf sei keine katalanische Sache, ist also völliger Unfug«, meint er. Dass die konservative Zentralregierung den Stierkampf gleich nach ihrem Amtsantritt als »nationales Kulturgut«, also als ein gesamtspanisches deklarierte, dürfte die katalanischen Nationalisten noch bestärkt haben in ihrem Bündnis mit den Tierschützern.

Wobei »Tierschützer« eigentlich der falsche Begriff ist. Im Grunde handelt es sich bei der Kampagne gegen den Stierkampf um eine Tierrechtskampagne. Aus Tierschutzsicht gäbe es wesentlich drängendere Probleme. Zwar sind die letzten zehn Minuten im Leben eines Kampfstiers nicht besonders schön, aber dafür hat er davor vier bis sechs Jahre fast ohne jeden Kontakt zu Menschen in seiner Herde gelebt. Er soll möglichst wild sein, beim Kampf zum ersten Mal auf Menschen treffen. In den riesigen Weidelandschaften mit ihren Olivenbäumen, Stein- und Korkeichen, in denen die speziell gezüchteten Kampfstiere geboren werden und aufwachsen, leben sie das ganze Jahr über im Freien und ernähren sich von Gras und Eicheln. Sie führen ein Leben, von dem jedes Schlachtvieh und vermutlich auch die Hauskatze jedes Tierrechtlers nur träumen kann. Artgerechter und tierfreundlicher kann man wohl keine Rinder halten, mehr bio geht nicht, extensiver kann man Landwirtschaft kaum betreiben. Und dass die katalanischen Nationalisten allesamt Vegetarier wären, kann man nicht behaupten. Sie konsumieren bedenkenlos das Fleisch von viel schlechter gehaltenen Rindern, während sie nur gegen den Stierkampf regelrecht Sturm laufen.

Der Kampf selbst mag zwar grausam aussehen, aber die Hörner tragen die Stiere ja nicht zum Schmuck, sondern um Rangordnungskämpfe untereinander auszutragen. Auch dabei kann es blutig werden. Ein Züchter aus Andalusien berichtete einmal, dass jedes Jahr drei bis vier Stiere seiner Zucht auf diese Weise ums Leben kämen. Die wunderschönen Landschaften, in denen die Stiere aufwachsen, die Dehesas, sind zudem regelrechte Naturparadiese, in denen viele Wildtiere wie der Iberische Luchs, der Kaiseradler und unzählige Zugvögel einen Lebensraum finden und die ohne die Stierzucht vermutlich dem Untergang geweiht wären.
Das Verbot der Corridas hat außerdem nicht einem Kampfstier das Leben gerettet. Sie landeten wie Mastvieh im Schlachthof, denn an der kostspieligen und langjährigen Aufzucht hat natürlich kein Züchter Interesse, wenn der Stier am Ende nicht seine rund 20 000 Euro für die Corrida bringt.
Die Stierkampfgegner argumentieren denn auch eher mit der Würde der Tiere, die sie offenbar besonders dann in Gefahr sehen, wenn diese zu Unterhaltungszwecken in Zirkussen oder eben bei Stierkämpfen vorgeführt werden. Auch der Auftritt von Wildtieren in Zirkussen ist in Barcelona untersagt. Das katalanische Parlament hat Ende Juli ein Gesetz verabschiedet, wonach dies ab 2017 für ganz Katalonien gelten soll. Für ein Tier ist es völlig unerheblich, welche Emotionen und Beweggründe die Menschen umtreiben. Es geht also nur um die Würde, die der Mensch definiert und empfindet. Aus einer solchen ethischen Sicht lässt sich der Stierkampf tatsächlich vernünftig kritisieren. Die Zelebrierung des Tötens kann man als schädlich für die Moral des Menschen auffassen, als etwas, das auch sein Verhalten gegenüber anderen Tieren und Menschen destruktiv beeinflussen kann. Der Tod als Spektakel. Wobei es auch viele Fürsprecher des Stierkampfes gibt, die genau das Gegenteil behaupten und erklären, dass die Zelebrierung des Tötens im Gegenteil eine Art Respekt beinhaltet, den die unzähligen Mastviecher im Schlachthaus nie erfahren. Dem Tod wird das Alltägliche, Gewöhnliche genommen. So oder so geht es dabei um den Menschen, nicht um das Tier. In Katalonien noch viel mehr. Denn hier geht es nicht nur um Ethik, sondern vor allem um Politik. Die Linken sind gegen, die Rechten für Stierkämpfe. Und es geht jeweils um nationalistische Interessen.
24 Wörter gibt es im spanischen für die verschiedenen Schattierungen des Schwarz der Stiere, 50 Wörter für die Hörner. Für richtige Stierkampffans ist das Schauspiel mehr als nur ein Sport. Im Museum in der Arena Monumental sind Kostüme aus 100 Jahren ausgestellt, Fotos von berühmten Matadoren, aber auch die präparierten Köpfe besonders ruhmreicher Stiere.
Antonin weicht der Frage aus, wie lange er noch in seinem kleinen Laden stehen und Postkarten, Poster und Stoffhüte verkaufen will, schließlich sei er doch schon 81. »Meine Mutter ist 99 geworden«, sagt er lächelnd.