In Frankreich gewint der Front National an Unterstützung

Auf dem Weg nach rechts

Die Unterstützung für den Front National nimmt in Frankreich zu. Konservative stimmen in die rechte Agitation ein.

Jeder Dritte – auf diesen einfachen Nenner lässt sich ein Umfrageergebnis bringen, das die französische Wochenendzeitung Le journal du dimanche (JDD) am Sonntag publizierte. Ein knappes Drittel der befragten Franzosen und Französinnen kann sich vorstellen, bei Präsidentschaftswahlen für die rechtsextreme Politikerin Marine Le Pen zu stimmen. Dabei antworteten 58 Prozent der Befragten mit »Nein« auf die Frage, ob die Vorsitzende des Front National (FN) »demokratischen Werten« anhänge. Und 70 Prozent verneinten die Frage, ob Le Pen »Lösungen für das Land« anzubieten habe.
Rassismus oder Abwehrverhalten gegenüber Menschen, die unter anderem aus kriegszerstörten Ländern und vor extremer Gewalt wie in ­Syrien flohen, scheint kein Hindernis für eine Stimmabgabe zugunsten der 47jährigen zu sein. Umfrageergebnisse haben zwar immer nur eine begrenzte Aussagekraft, denn es kommt oft sehr darauf an, wer die Frage wie formuliert hat. Dennoch ist es bemerkenswert, wenn in einer am 14. September publizierten Umfrage 51 Prozent der Befragten angeben, bei der Migrationspolitik mit dem FN und seiner »unnachgiebigen Position« einverstanden zu sein. Diese Frage ließ kaum Raum für Unklarheiten, egal wie sie im Einzelnen formuliert und gestellt wurde. Denn daran, dass der FN in der öffentlichen Meinung trotz mancher Wandlungen in erster Linie als Anti-Ausländer-Partei wahrgenommen wird, besteht kein Zweifel.
Dabei ist die Anzahl der Asylsuchenden in Frankreich verglichen mit der in den deutschsprachigen Ländern relativ gering. Das laufende Jahr gilt in Frankreich als Redkordjahr bei den Asylbewerberzahlen, aber erwartet werden nur 65 000 Anträge auf Anerkennung als Flüchtling im Sinne der Genfer Konvention. Im Zuge der Umverteilung von Geflüchteten im Rahmen der EU, die in der dritten Septemberwoche beim Brüsseler Gipfel akzeptiert wurde, nimmt Frankreich den Mittelmeerländern sowie Deutschland 24 000 zusätzliche Flüchtlinge ab. Das war es auch schon.

Selbst diese vergleichsweise geringen Zuwanderungszahlen im Rahmen von Flucht und Asyl werden in Teilen der Öffentlichkeit und der Medien wie eine Katastrophe diskutiert. Und dies nicht nur von der extremen Rechten. Mehrere konservative Stadtoberhäupter aus den Reihen der Partei Les Républicains (LR) – der früheren UMP –, etwa im bretonischen Roanne, sagten Ende August und im September, dass sie aus Syrien und dem Irak »ausschließlich geflohene Christen« aufnehmen wollten. Denn diese schnitten, wie der Bürgermeister von Charvieu-Chavagneux im Raum Grenoble sagte, immerhin »ihrem Arbeitgeber nicht den Hals durch«. Das war eine Anspielung auf das Attentat vom 26. Juni im selben Département, bei dem ein in Frankreich geborener Salafist seinem Arbeitgeber den Kopf abgeschnitten und an einem Gitter auf dem Fabrikgelände befestigt hatte (Jungle World 28/15).
Nach Religionszugehörigkeit zu diskriminieren, ist zwar schlicht illegal, doch die genannten Beispiele machten unter einigen Bürgermeistern Schule, die ähnlich lautende Erklärungen abgaben. Auch sonst driften einige Konservative in eine Rhetorik ab, den sich vor 25 Jahren selbst der FN in der Öffentlichkeit verkniffen hätte. Am 27. September äußerte die bisherige Spitzenkandidatin der Konservativen im Raum Nancy für die Regionalwahlen im Dezember, Nadine Morano, in einer Fernsehsendung, Frankreich sei »ein Land der weißen Rasse«. Der Parteivorsitzende Nicolas Sarkozy zögerte drei Tage lang, ­bevor er reagierte und ihr schließlich die Spitzenkandidatur entzog. Aus ihrer Partei Les Républicains verlautet jedoch, es habe einen erheblichen Druck von der Basis auf die Führungsspitze gegeben, die Position Moranos zu bekräftigen statt zu kritisieren. Am Sonntag zitierte die JDD einen Regionalpolitiker aus dem Burgund: »Ich organisierte eine Versammlung mit 120 Mitgliedern. Es gab acht oder neun Redebeiträge. Alle für Nadine Morano.«
Die Präsenz einer starken extremen Rechten ­erleichtert es natürlich nicht, in der öffentlichen Debatte gegen Tendenzen zu Abschottung und den Wunsch nach Grenzschließung anzugehen. Am 12. September versammelte der sozialdemokratische Innenminister Bernard Cazeneuve in Paris rund 700 Bürgermeister aus ganz Frankreich, deren Städte und Gemeinden sich – unter den insgesamt 36 000 Kommunen im Land – freiwillig bereit erklärten, zusätzliche Flüchtlinge im Rahmen der EU-weiten Umverteilung aufzunehmen. Mit von der Partie sein wollte auch der rechtsextreme Bürgermeister von Beaucaire, ­Julien Sanchez, eines von derzeit zwölf Stadtoberhäuptern mit FN-Parteibuch. Er war jedoch gekommen, um Unruhe zu stiften, und ließ sich über eine »politische Komplizenschaft mit den Invasoren« aus, bis ihm das Mikrophon abgedreht wurde. Das Video des Auftritts fand weite Verbreitung.
Ungewöhnlich ist bei alledem höchstens, dass die extreme Rechte in Frankreich nun pikanterweise Deutschland – das in ihren Reihen sonst oftmals als erklärtes oder unerklärtes historisches Vorbild diente – als Zielscheibe für ihre verbalen Attacken entdeckt hat. Angela Merkel sei schuld daran, dass der europäische Kontinent »mit Migranten überflutet wird«, lautet der vielfach erhobene Vorwurf.
Am Abend des 24. September demonstrierten Anhänger mehrerer rechtsextremer Strömungen, unter ihnen auch militante Faschisten, deswegen vor der deutschen Botschaft in Paris gegen die Rolle der deutschen Regierung bei der angeblichen Förderung einer »Invasion«. Lediglich rund 500 Menschen kamen zu der Demonstration, da der FN als vergleichsweise starke Mitgliederpartei sich nicht zu einem offenen Auftreten dort durchringen mochte. Doch das Medienecho war überproportional groß. Angemeldet hatte den Auflauf Karim Ouchikh, ein Mitglied des Front National und Medienberater von Marine Le Pen, dessen Vorfahren auf fran­zösischer Seite im Kolonialkrieg in Algerien gekämpft hatten. Die Anwesenden kamen über­wiegend aus den Reihen der pseudosäkularen, in Wirklichkeit fast ausschließlich gegen »den ­Islam« agitierenden und inzwischen rechts vom FN angesiedelten Sekte Riposte Laïque, aus der »identitären« Bewegung und verwandten Fraktionen. Aber auch Robert Ménard, der parteilose, ­jedoch vom FN unterstützte Bürgermeister von Béziers, machte mit. Aus Deutschland war die Rednerin Melanie Dittmer aus Bonn eingeflogen worden.
Als Präsident François Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel am 7. Oktober ihren ­gemeinsamen Auftritt im Europaparlament hatten, der das koordinierte Vorgehen der EU in der Flüchtlingspolitik symbolisch untermauern sollte, sah Marine Le Pen ihre Stunde gekommen. Indem sie das französische Staatsoberhaupt als »Merkels Vizekanzler« bezeichnete, erregte sie über Frankreich hinaus politische Aufmerksamkeit. Er habe die »Souveränität« seines Landes verraten, lautete ihr zentraler Vorwurf. In etablierten Kreisen wurde dieser Angriff auf den Präsidenten in einer internationalen Umgebung zwar als peinlich gewertet. In Teilen der Öffentlichkeit droht er dennoch beachtet zu werden. Marine Le Pen selbst triumphiert, sie sei nunmehr »die Opponentin Nummer eins in Eu­ropa«.