Das Wahlergebnis in der Türkei

Erpressung lohnt sich

In der Türkei hat die Regierungspartei AKP bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit erreicht.

Die Oppositionszeitung Cumhuriyet titelte am Tag nach der Wahl »Die Angst siegt« und fasst damit die überraschenden Ergebnisse recht gut zusammen. Denn die türkischen Parlamentswahlen vom Sonntag waren ein großer Erfolg für die Regierungspartei AKP, die mit 49 Prozent der Stimmen alle Erwartungen übertroffen hat. Sie verfügt nun über mehr als 312 Sitze im Parlament und hat eine komfortable Mehrheit für eine nur von ihr gestützte Regierung. Damit hat die AKP es geschafft, die Verluste bei den Wahlen vom 7. Juni, als sie nur rund 40 Prozent der Stimmen erhielt und die Regierungsmehrheit verlor, wieder gutzumachen. Allerdings erlangte sie nicht die für Verfassungsänderungen nötige Mehrheit, um die Türkei zu einem Präsidialsystem umzugestalten. Für das Ausbleiben einer solchen Mehrheit von 60 Prozent der Sitze ist insbesondere die linke prokurdische HDP verantwortlich, die zwar zwei Prozentpunkte verloren hat, aber knapp die Zehn-Prozent-Hürde schaffte. Ebenfalls verloren hat die nationalistsiche MHP, sie erhielt zwölf Prozent der Stimmen, vier Prozentpunkte weniger als bei den Wahlen im Juni. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, bleibt stabil bei 25 Prozent der Stimmen. Die Wahlergebnisse sind überraschend und schockierend. In allen Prognosen lag die AKP unter 45, oft zwischen 40 und 42 Prozent. Jetzt wird zu untersuchen sein, wie diese Diskrepanz zu erklären ist.
Einigen Oppositionellen scheint Wahlfälschung die Erklärung zu sein – angesichts der zahlreichen Meldungen über Zwischenfälle bei den Wahlen eine naheliegende Möglichkeit. Wahlmanipulationen waren landesweit zu beobachten. Insbesondere in den kurdischen Gebieten gab es recht offensichtliche Fälle. So haben Soldaten und Polizisten die Wahlberechtigten an der Stimmabgabe gehindert oder die Wahlfreiheit verletzt, indem sie Menschen zwangen, ihre Stimme »offen« abzugeben. Auch Wahlbeobachterinnen und -beobachter waren Ziel von unzulässigen Repressalien. Sie wurden vielfach nicht in die Wahllokale gelassen oder festgenommen. Ebenso erging es Wahlhelfern und Wahlzeugen von der linken HDP, die an der Arbeit gehindert oder aus Wahllokalen geworfen wurden. Angesichts dessen kann sicherlich nicht von freien und fairen Wahlen in der Türkei gesprochen werden, insbesondere nicht im Osten des Landes.
Dass Wahlmanipulation allein die überraschenden Ergebnisse erklären können, ist fraglich, mag für die Opposition aber einfacher zu verkraften sein als das Eingeständnis, dass die Wahlergebnisse den Wunsch der Mehrheit der türkischen Bevölkerung repräsentieren. Es scheint, dass die AKP mit ihrer Erpressung der türkischen Wahlberechtigten erfolgreich war. Vor die Alternative gestellt, die AKP mit einer Mehrheit zu versehen oder weiter in einer chaotischen und unsicheren Lage zu leben, haben wohl viele Menschen sich für Sicherheit auf Kosten der Demokratie entschieden – auch weil sie es der Opposition nicht zutrauen, die Lage besser in den Griff zu bekommen und friedlichere Verhältnisse zu schaffen. So gesehen sind der Kriegskurs der AKP-Regierung und die Strategie der Spannung, die seit den Wahlen vom 7. Juni verfolgt wurden, aufgegangen und wurden von den Wählerinnen und Wählern mit einer Parlamentsmehrheit belohnt.