Islamverbände konkurrieren in Nordrhein-Westfalen um Einfluss auf den Religionsunterricht

Allah wartet auf die Einschulung

Die nordrhein-westfälische Landesregierung erwägt die Anerkennung von vier großen Islamverbänden als Religionsgemeinschaften. Diesen geht es hauptsächlich um den Einfluss auf den islamischen Religionsunterricht.

Die islamischen Verbände in Deutschland hoffen auf die Verbesserung ihrer offiziellen Stellung, die rot-grüne Landesregierung von Nordrhein-Westfalen lässt derzeit von der Staatskanzlei prüfen, ob vier Verbänden der Status anerkannter Religionsgemeinschaften verliehen werden kann. Ein erstes Gutachten ergab, dass ihre Satzungen den Vorgaben entsprechen. Im kommenden Frühjahr soll ein zweites Gutachten vorliegen, in dem es um die politische Ausrichtung der Verbände und um ihre mögliche Beeinflussung durch andere Staaten gehen wird.

Die Frage nach der Anerkennung als Religionsgemeinschaft ist unter anderem deshalb bedeutsam, weil nach Artikel 7 des Grundgesetzes »der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt« werden soll. Da es keine zentrale Organisation gibt, die für den Islam sprechen kann, ist der deutsche Staat darauf angewiesen, mit verschiedenen Verbänden zusammenzuarbeiten, die unterschiedliche Strömungen des Islam und muslimische Migranten aus verschiedenen Herkunftsländern vertreten. Im Fall Nordrhein-Westfalens geht es um die folgenden Verbände: die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), den Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, den Zentralrat der Muslime in Deutschland und den Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ).
An allen vier Verbänden gibt es Kritik. An der Ditib wird vor allem die enge Verbindung zum türkischen Staat moniert. Sie untersteht dem »Präsidium für religiöse Angelegenheiten der Türkei« und ist diesem gegenüber rechenschaftspflichtig. Auch die Religionsgelehrten der Ditib-Gemeinden, die sogenannten Hodschas, werden aus der Türkei in die Bundesrepublik entsandt. Die Abhängigkeit vom türkischen Staat ist aber nur eines von mehreren Problemen. Auch die in Ditib-Moscheen verbreiteten Botschaften werfen Fragen auf. So findet sich zum Beispiel auf der Internetseite der Ditib im hessischen Melsungen ein Text in türkischer Sprache, der die Sicht auf die Juden im Koran zusammenfassend darstellen soll. In dem aus 30 Zitaten bestehenden Dokument heißt es unter anderem: »Die Juden predigen Gutes, aber hören nicht auf, Böses zu tun.« An anderer Stelle steht: »Die Arbeit der Juden beruht darauf, die Wahrheit zu verdrehen.«
Mitglieder der Ditib leugneten in der Vergangenheit auch wiederholt den vom Osmanischen Reich begangenen Völkermord an den Armeniern. Wenn es um die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau geht oder gar um Rechte von Homosexuellen, sind schrille Töne zu hören. Eine Berliner Ditib-Gemeinde sagte im Sommer 2014 ein Treffen mit Lesben und Schwulen kurzfristig ab.
Eine andere Organisation, die als Religionsgemeinschaft anerkannt werden könnte, ist der ­Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, der seit 1986 besteht und dem 37 Vereine mit bis zu 60 000 Mitgliedern angehören. Der Islamrat wird von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüș (IGMG) dominiert. Diese ist eine islamistische Organisation, in deren Ideologie der Antisemitismus selbstverständlich eine Rolle spielt. Auch in der praktischen Politik findet er Niederschlag. So organisiert und bewirbt die IGMG immer wieder Demonstrationen gegen Israel. Milli Görüș verfügt über gute Verbindungen zu Reccep Tayyip Erdoğans AKP in der Türkei und stand früher verschiedenen türkischen Parteien unter der Führung Necmettin Erbakans nahe, die eine islamis­tische »gerechte Ordnung« für die Türkei anstrebten und immer wieder verboten wurden.

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland ist zwar der bekannteste der vier Verbände, hat aber verhältnismäßig wenige Mitglieder. Die wichtigste Mitgliedsorganisation ist die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD), die dem Verfassungsschutz als deutscher Ableger der Muslimbruderschaft gilt. Immer wieder gab es Kritik am Zentralrat, er distanziere sich nicht deutlich genug von Strömungen, die die Einführung der Sharia forderten. Insgesamt gibt sich der Zentralrat der Muslime allerdings staatstragend und bemüht sich um eine positive Außendarstellung.
Der vierte Verband, der als Religionsgemeinschaft anerkannt werden möchte, ist der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ). In Hamburg und Bremen ist er bereits anerkannt. Er bemüht sich seit Ende der siebziger Jahre darum, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen halten zu dürfen. Der VIKZ betreibt auch Schülerwohnheime für muslimische Jugendliche. In diesen sollen den Schülern unter anderem »islamische Werte« nahegebracht werden. Was es mit diesen auf sich hat, zeigte sich anhand eines Polizeiberichts, aus dem der Kölner Stadtanzeiger 2008 Auszüge veröffentlichte. Die Behörden attestierten dem VIKZ »antiwestliche, antidemokratische und antijüdische Einstellungen«. Der Verband bildet seine Imame in Deutschland aus. Besondere politische Tätigkeiten abseits der Verbandsarbeit gehen von ihm nicht aus. Das unterscheidet ihn von den anderen Verbänden.
Die Vereinigungen sind insgesamt sehr unterschiedlich in ihren Zielen, ihrer öffentlichen Betätigung und ihrer Zusammensetzung. Auch Widersprüche tun sich auf. So legt Milli Göruș sehr großen Wert darauf, dass Kinder und Jugendliche in der Schule erfolgreich sind, nach Möglichkeit das Gymnasium besuchen und ein Studium aufnehmen. Dieses Bildungsideal und das Streben nach beruflichem Erfolg in der deutschen Gesellschaft könnten manche Menschen, die im Milieu der Organisation aufgewachsen sind, dazu bringen, sich aus dem islamistischen Mief zu verabschieden.

Fraglich ist immer noch, wie viele Muslime die genannten Verbände tatsächlich vertreten. Skeptische Stimmen weisen darauf hin, dass vergleichsweise wenige Menschen in Deutschland, die sich als Muslime verstehen, in einer Moscheegemeinde oder einem der großen muslimischen Verbände organisiert sind. Mithin könnten diese nicht für die vielen nichtorganisierten Muslime sprechen. Die Deutsche Islamkonferenz, in der der Staat nach eigenem Bekunden mit den Muslimen in Deutschland ins Gespräch kommen wollte, versuchte dem Rechnung zu tragen, indem mus­limische Persönlichkeiten zur Teilnahme eingeladen wurden, die keinem Verband angehören.
Andererseits weisen Befürworter des Dialogs mit den muslimischen Verbänden immer wieder darauf hin, dass es gerade darum gehe, sich bei aller Kritik dennoch mit den vorhandenen Verbänden auf ein gemeinsames Vorgehen zu einigen. Gerade in der Lehrerbildung könne man nicht ohne die Verbände arbeiten, da dies die Akzeptanz des islamischen Religionsunterrichts bei Eltern gefährden könne. Unerwähnt bleibt meist die Frage, warum es in staatlichen Schulen überhaupt einen Religionsunterricht, gleich welcher Konfession, geben soll. Ein Plädoyer für den Laizismus ist aber auch in der Diskussion um den islamischen Religionsunterricht von keinem Beteiligten zu erwarten.