Mariangélica Rojas Gutiérrez im Gespräch über das Friedensabkommen in Kolumbien

»Eine Alternative zum Kriegsdienst«

Die kolumbianische Regierung und die Guerilla Farc verhandeln weiterhin über ein Friedensabkommen. Doch die Ursachen des Konflikts lassen sich dadurch nicht beseitigen. Die Jungle World sprach darüber mit Mariangélica Rojas Gutiérrez. Die 22jährige Soziologiestudentin aus Bogotá ist Mitglied der Organisation Tejuntas Bacatá, die für die Rechte von jungen Menschen eintritt. Sie wirkt außerdem an der Mesa Social para la Paz (Sozialer Tisch für den Frieden) mit, einem Bündnis sozialer und kirchlicher Organisationen und NGOs, das für eine Transformation der Gesellschaft in Kolumbien eintritt. Derzeit ist Rojas Gutiérrez auf einer Rundreise in Europa.

Parallel zu den Verhandlungen mit den Farc hat es in Kolumbien eine Reihe von Verhaftungen und Verurteilungen der Sprecher und Anführer sozialer und politischer Organisationen gegeben. Ist Ihre Organisation auch Opfer der Kriminalisierung durch den Staat geworden?
Ja, im Juli gab es eine Verhaftungswelle gegen den »Congreso de los Pueblos« (»Volkskongress«), ein Bündnis sozialer Bewegungen, dem ich angehöre. Es wurden 13 junge Repräsentanten der Organisation festgenommen; sie werden beschuldigt, Bombenanschläge geplant zu haben. Zwei Monate wurden sie ins Gefängnis gesperrt; weil die Beweise aber nicht ausreichten, wurden alle wieder auf freien Fuß gesetzt. Das lag allerdings auch daran, dass wir viel Unterstützung aus der Zivilgesellschaft erhalten haben. Gleichwohl gibt es eine Kriminalisierungsstrategie der Regierung, die von einigen Medien unterstützt wird: Die 13 Personen werden offen als Terroristen bezeichnet, obwohl es nichts juristisch Verwertbares gegen sie gibt. Das ist auch ein Grund, weshalb es für uns als aktive Jugendorganisation des »Congreso de los Pueblos« wichtig ist, im Ausland Öffentlichkeit für die Situation zu schaffen. Das ist ein wichtiges Ziel dieser Reise. Schließlich wird viel über den Friedensprozess in Kolumbien geredet, ohne zu wissen, dass es Repression gegen die Opposition und soziale Bewegungen gibt.
Haben letztere neue Konzepte, um dem formellen Akt der Unterzeichnung eines Friedensabkommens eine reale Befriedung des Landes folgen zu lassen?
Ja, denn wir reden ja nicht nur über einen kriegerischen Konflikt, sondern über einen Konflikt, der vor allem soziale Ursachen hat. Es ist nicht damit getan, dass sich die Guerilla entwaffnen lässt. Das wäre ein Trugschluss, denn schließlich hat sich an der Landverteilung, der sozialen Ungleichheit und der fehlenden politischen Partizipation vieler Menschen nichts geändert. Deshalb argumentieren wir von der Mesa Social para la Paz, dass ein Wandel des Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells nötig ist. Die Regierung will nur die Guerilla entwaffnen – das ist zu wenig und wird nicht funktionieren.
Warum nicht, haben Sie negative Beispiele vor Augen?
Man muss nur nach Guatemala und El Salvador blicken, wo die Gewalt nach dem Ende des Bürgerkriegs eher zu- als abgenommen hat – trotz eines Friedensabkommens. Es wurde aber nie umgesetzt. So ist der Konflikt zu einer Konstante in den Ländern geworden. Das sollte uns auch in Kolumbien zu denken geben, aber auch ein Blick in die eigene Geschichte lohnt sich. So zeigt das Beispiel der Unión Patriótica (aus dem politischen Arm der Farc 1985 entstandene Partei, Anm. d. Red.), dass demobilisierte Guerilleros, die ein politisches Mandat anstrebten oder es bereits innehatten, systematisch gejagt und ermordet wurden. Daraus sollten wir lernen.
Gibt es den politischen Willen, das Land zu befrieden? Schließlich gibt es nach wie vor Tausende aktive paramilitärische Kämpfer in Kolumbien – einer Studie der Menschenrechtsorganisation Codhes zufolge sind sie in acht Gruppen organisiert.
Nein, die Regierung will nicht das Land befrieden, sondern ihre Politik des Ressourcenabbaus auf die gesamte Landesfläche ausweiten. Um mehr Bergbau, mehr Energiegewinnung mit Großprojekten und mehr Infrastrukturprojekte zu realisieren, hat man sich für die Verhandlungen mit den Farc entschieden, nicht um das Land zu befrieden und der Bevölkerung ein sicheres und würdevolles Leben zu ermöglichen. Es fehlt der politische Wille, die Verteilung der Anbauflächen und das ökonomische Modell zu ändern, den Paramilitarismus zu bekämpfen und die Militärdoktrin in Frage zu stellen. Deshalb wird in Havanna auch nicht über diese essentiellen Punkte verhandelt. Die Regierung hätte sich sonst gar nicht erst an den Tisch gesetzt.
Sind es Friedensverhandlungen mit klaren Konditionen?
Genau, deshalb gibt es eine Bewegung von unten, die das einklagt: Debatten über die Zukunft des Landes nach dem Ende des Konflikts mit den Farc. Dafür tritt die Mesa Social para la Paz ein, eine neue Organisation, die sich gerade konstituiert hat und im Februar an die Öffentlichkeit treten will, um konkrete Vorschläge für die Befriedung des Landes vorzulegen. Ziel ist es, Druck von unten aufzubauen, um die Regierung zu einem Wandel zu bewegen. Wir brauchen den nationalen Dialog, um dem Friedensschluss weitere konkrete Schritte zum Frieden folgen zu lassen.
Welches Konzept verfolgt die Mesa Social?
Sie hat ihre Vorgeschichte in der »Sozialen Bewegung zum Frieden«, die 2012, zum Auftakt der Verhandlungen, gegründet wurde. Es ging damals darum, den Prozess in Havanna zu unterstützen und für einen Waffenstillstand einzutreten. Der wurde bis heute nicht umgesetzt, sondern nur einseitig von den Farc erklärt, so dass es weiter Opfer gibt, während verhandelt wird. Das ist ein Widerspruch, den wir immer kritisiert haben. Grundsätzlich treten wir für mehr Auseinandersetzung, mehr gesellschaftlichen Dialog ein – das ist das zentrale Anliegen beider Bewegungen. Frieden ohne einen klar definierten Rahmen und gesellschaftlichen Wandel ist nicht möglich.
Kolumbien hat eine fortschrittliche Verfassung, aber sie wird oft nicht eingehalten. Droht dem Friedensabkommen mit den Farc, das viele detaillierte Vorgaben enthalten wird, ähnliches?
Das kann passieren, denn die Regierung hält sich oft nicht an Abkommen und das Beispiel Guatemala zeigt, wie ein Friedensabkommen scheitern kann. Wir glauben, dass gesellschaftlicher Druck und Kontrolle nötig sind, und die zu erzeugen ist eine weitere Aufgabe der Mesa Social.
Das letzte Abkommen zwischen der Regierung und den Farc Ende September, in dem sie sich über den Umgang mit den Kriegsverbrechen einigten, wurde international sehr positiv aufgenommen. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein, denn die Unterschrift löst nicht alle Probleme Kolumbiens und die Farc sind nicht die Ursache der Probleme, die Kolumbien prägen. Auf internationaler Ebene wird gern ignoriert, dass der Paramilitarismus nach wie vor präsent ist, dass er nicht mit der Demobilisierung 2006 verschwand, sondern unter anderem Namen und Etikett nach wie vor auf Menschenrechtler Jagd macht.
Ökonomisch ist Kolumbien in den vergangenen zwei Jahren in eine Krise geraten. Der Bergbau, den Präsident Juan Manuel Santos zum Motor der Wirtschaft auserkoren hat, erwirtschaftet nicht mehr so hohe Umsätze wie noch 2011 und 2012. Wird es schwierig, die finanziellen Mittel für den Frieden zusammenzubekommen?
Präsident Santos war kürzlich zu Besuch in den USA, um Mittel für den Friedensprozess zu sammeln. Nicht nur die geplante Schaffung einer Übergangsjustiz, die die Kriegsverbrechen der bewaffneten Akteure aufklären soll, ist kostspielig. Das gleiche gilt für die Umsetzung der Vereinbarungen im Kontext der Landfrage. Der Haushaltsentwurf für 2016 enthält noch keine Posten für diese Ausgaben.
Die Perspektiven der kolumbianischen Jugend sind seit Jahren ausgesprochen schlecht, weil es zu wenig Arbeitsplätze gibt. Daher ist es für die bewaffneten Akteure und kriminellen Banden sehr einfach, Nachwuchs zu bekommen. Hat sich daran etwas geändert?
Nein, aber das ist ein strukturelles Problem, das bereits mit dem Zugang zur Bildung beginnt. Die meisten Jugendlichen in Kolumbien haben keinen Zugang zu höherer Bildung. Das liegt entweder daran, dass ihre Schulbildung nicht ausreicht, um die Zugangstest der öffentlichen Universitäten zu bestehen, oder daran, dass sie kein Geld haben, um eine private Universität zu besuchen. Ohne eine gute Ausbildung ist es aber kaum möglich, einen guten Job zu ergattern. Eine andere Möglichkeit ist der Eintritt in den Krieg: Landesweit wirbt die Armee Berufssoldaten an, die Alternative dazu bilden die illegalen bewaffneten Gruppen. Das ist ein Teufelskreis. Wir plädieren dafür, das öffentliche Bildungssystem zu reformieren, um die Jugendlichen besser zu qualifizieren.
Der Widerstand gegen den obligatorischen Militärdienst hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Ist das ein Thema für Tejuntas?
Ja, natürlich. Die Zahl der Jugendlichen, die den Militärdienst verweigern wollen, steigt stetig. Viele junge Männer wollen sich nicht dazu zwingen lassen, auf ihresgleichen zu schießen, und protestieren auch dagegen, dass viele Kinder aus reichem Hause sich vom Militärdienst freikaufen können. Dazu muss man wissen, dass es ohne die libreta militar (Wehrdienstnachweis, Anm. d. Red.) unmöglich ist, die Universität zu besuchen oder einen regulären Job zu bekommen. Dagegen protestieren viele, denn in der Realität sind es die Armen, die in den Krieg ziehen müssen. Deshalb haben wir ein Gesetzesprojekt mit auf den Weg gebracht, das eine Alternative zum Kriegsdienst auf den Weg bringen soll: den Sozialdienst für den Frieden.