Der zweiter Bundestagsuntersuchungsausschuss zum NSU-Komplex ist eingesetzt

Erschwerte Aufklärung

Der NSU-Komplex beschäftigt zum zweiten Mal einen Untersuchungsausschuss des Bundestages. Am 24. November stimmten alle im Parlament vertretenen Fraktionen für die erneute Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Dieser soll sich von Dezember an mit den Morden des »Nationalsozialistischen Untergrunds« und der Arbeit von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten im NSU-Komplex beschäftigen.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird ein zweiter parlamentarischer Untersuchungsausschuss zum selben Thema eingesetzt. Zwischen dem Abschluss der Arbeit des ersten Bundestagsuntersuchungsausschusses und dem jetzigen Beginn der Arbeit des zweiten liegen zweieinhalb Jahre – in denen Akten gewälzt und unter anderem vor dem Oberlandesgericht neue Beweiskomplexe erhoben wurden. Material, das dem ersten Ausschuss in der Fülle nicht vorlag, hat weitere ungelöste Fragen aufgeworfen, denen nun der zweite Ausschusses nachgeht.

Die Erwartungen unabhängiger Beobachterinnen und Beobachter sind gemischt; nicht zuletzt wegen der Erfahrungen mit abgeschlossenen und teilweise noch laufenden Untersuchungsausschüssen im Bundestag und insgesamt sechs Länderparlamenten. Angela Merkels Versprechen, »alles (zu tun), um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen«, sind keine konsequenten Taten gefolgt. Auch die Ankündigung, dass »alle zuständigen Behörden in Bund und Ländern mit Hochdruck« zur Aufklärung beitragen würden, hat sich als leeres Versprechen herausgestellt. Zu häufig sehen Mitglieder von Untersuchungsausschüssen in Bund und Ländern ihre Arbeit dadurch erschwert, dass Ermittlungsakten nicht oder in weiten Teilen geschwärzt zu ihnen gelangen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden wollen sich auch nach intensiven Fragerunden in den Ausschüssen an nichts erinnern. »Das ist mir nicht erinnerlich« und »Da war ich nicht zuständig« schildern Beobachter als häufige Antworten aus den ermittelnden Behörden.
Dabei soll von Untersuchungsausschüssen behördliches Handeln transparent gemacht werden – und im Falle des NSU auch unterlassenes Handeln. Auch der neue Untersuchungsauftrag enthält Fragen zu Handeln und Wissen von Ermittlungsbehörden und Geheimdiensten vor der Selbstenttarnung des NSU im November 2011. Ziel ist es außerdem, wichtige Fragen zu den Hintergründen der Mord- und Anschlagsserie des NSU zu beantworten.

Beobachterinnen und Beobachter sehen fast einhellig zwei Themenkomplexe im Fokus des neuen Untersuchungsausschusses: die Rolle der Geheimdienste und den so deutlich in den Ermittlungen zu den rechtsterroristischen Morden hervorstechende institutionellen Rassismus. Beides stand auch schon im Mittelpunkt der Arbeit des ersten Bundestagsuntersuchungsausschusses zum NSU. Zufriedenstellende Erkenntnisse und dauerhafte Veränderungen lassen jedoch noch immer auf sich warten. Die Nebenklage der Angehörigen der NSU-Opfer fordert deshalb in einem offenen Brief anlässlich der Einsetzung des neuen Untersuchungsausschusses, »die Frage nach dem Wissens-, Kenntnisstand und den daraus resultierenden Handlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz, seiner V-Mann-Führer, seiner Leitungsebene und seiner V-Leute zu den Aktivitäten des mutmaßlichen NSU-Kerntrios und dessen Unterstützer_innen-Netzwerk« in den Mittelpunkt der Arbeit des zweiten Bundestagsuntersuchungsausschusses zu stellen. Sie ermuntern die Mitglieder des Ausschusses, sich »konsequent und kompromisslos gegen jede Hinhalte- und Verschleierungstaktik (zu) wehren und ihre parlamentarischen Kontrollrechte (zu) verteidigen und durch(zu)setzen«. Das heißt auch, der Ausrede »Wir haben nichts gewusst« ganz klar den Riegel vorzuschieben. Der neue Untersuchungsauftrag gibt hierfür die Grundlage. Gestellt werden Fragen nach dem Wissen der Behörden zum NSU vor dessen Selbstenttarnung wie auch nach dem sogenannten V-Mann-System.
Rassismus dagegen taucht auch im neuen Untersuchungsauftrag nur in Hinblick auf Neonazis auf. Die Initiative NSU-Watch beobachtet den Prozess und die Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern. Sie kritisierten bereits im Rückblick auf die Arbeit des ersten Bundestagsuntersuchungsausschusses, dass die historische Chance vertan wurde, Rassismus in seiner gesellschaftlich institutionalisierten Form zu untersuchen. Derzeit sieht es nicht so aus, als würde das diesmal anders. Der Ausschuss wird im von allen Fraktionen unterzeichneten Untersuchungsauftrag aufgefordert, »nötigenfalls weitere Empfehlungen für (…) eine effektive Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus« auszusprechen.

Das ist zwar mehr, als vorherige Untersuchungsaufträge beinhalteten, der Auftrag nennt Rassismus jedoch auch hier in einem Zuge mit Rechtsextremismus und nicht in seiner institutionalisierten Form – im Behördenhandeln. Eine tatsächliche Aufklärung im NSU-Komplex ist dagegen nur möglich, indem der institutionelle Rassismus an zentraler Stelle thematisiert wird. Hierin sind sich Beobachter der Untersuchungsausschüsse einig mit den Angehörigen der Opfer und Teilen der Nebenklage. Ansonsten bleibt die parlamentarische Aufklärung bestenfalls an der Oberfläche. Im schlimmsten Fall dient sie der Reinwaschung der Behörden, ohne tatsächliche Missstände aufzudecken und ernsthafte Konsequenzen einzufordern.
Doch bei aller Kritik an der Arbeit der Untersuchungsausschüsse ist die Einsetzung jedes einzelnen zu begrüßen – und als Chance für eine Aufklärung des NSU-Komplexes zu nutzen. Beate Zschäpe hat mit ihrer Einlassung vor dem Oberlandesgericht München einmal mehr demonstriert, dass sie als Hauptangeklagte im sogenannten NSU-Verfahren nicht an der Wahrheitsfindung mitwirken will. Umso wichtiger ist es also, dass neben der juristischen auch eine parlamentarische Untersuchung des NSU-Komplexes stattfindet. Arbeit und Ergebnisse des neuen Untersuchungsausschusses werden eine maßgebliche Rolle dafür spielen, wie auch künftig auf den NSU-Komplex geblickt wird – welche und vor allem wessen Narrative sich in der Geschichtsschreibung zur größten rechtsterroristischen Mordserie der Bundesrepublik durchsetzen werden. Ist es das lange vorherrschende Narrativ des NSU als in sich abgeschlossener Gruppe von drei Neonazis, von denen zwei heute tot sind? Oder das einer Beate Zschäpe, die von einer in sich abgeschlossenen Zelle von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt spricht und sich selbst als die Nichtwissende inszeniert?
Neben den Analysen unabhängiger Experten war es nicht zuletzt der Abschlussbericht des ersten parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Thüringen, der mit der Mär einer in sich geschlossenen Zelle dreier Neonazis im Untergrund aufräumte und auf das breite Netzwerk von Helfern und Helfershelfern hinwies. Dies hat den öffentlichen Diskurs über den NSU maßgeblich beeinflusst – und eröffnet Chancen für den Blick auf die Hintergründe des rechtsterroristischen Netzwerks.