Die Identitäre Bewegung in Österreich ist rechtsextrem 

Identisch bis in die innerste Zelle

Die »Identitären« in Österreich bezeichnen sich zwar als »Neue Rechte«. Doch ihre Verbindungen zu rechtsextremen Kreisen sind offensichtlich. Eine Replik auf den Beitrag von Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl (Jungle World 49/2015).

Der oststeirische Ort Spielfeld an der österreichisch-slowenischen Grenze scheint der österreichischen Rechten zum Symbol des von ihnen behaupteten »Asylchaos« geworden zu sein. Fast im Wochentakt fanden dort in jüngster Zeit rassistische Aufmärsche mit bis zu 600 Teilnehmenden statt. Am 15. November rief erstmals die »Identitäre Bewegung« zu einer Demonstration in Spielfeld auf, um in Kooperation mit Neonazis und »besorgten Bürgern« Flüchtenden ihr Banner mit der Parole »No way« entgegenzuhalten. Das Bündnis »Kein Spielfeld für Nazis«, zu dem auch die Autonome Antifa Wien gehört, organisierte Gegenproteste. Protestierenden gelang es, Polizeiketten zu überwinden und die Aufmarschroute an zwei Punkten zu blockieren. Trotz dieser Blockaden, die Neonazis in einigen Fällen gewaltsam durchbrachen, konnte der Aufmarsch zwar stattfinden, dennoch wurde er empfindlich gestört. Zudem wurden im Anschluss 80 Autos angereister Rechtsextremer beschädigt.

Die »Identitären« sind in Österreich der erfolgreichste Versuch, eine außerparlamentarische rechtsextreme Bewegung zu etablieren. Ob hinter den Identitären wirklich eine »Neue Rechte« steckt, die »zwischen etablierten, bürgerlichen, Schichten und dem offenen Rechtsextremismus« vermittelt, wie es Julian Bruns, Kathrin Glösel und Natascha Strobl nahelegen, ist fraglich. Der französische Bloc Identitaire, die erste sich so bezeichnende Organisation, ging aus der antisemitischen, antizionistischen und neonazistischen Unité Radicale hervor, die im Jahr 2002 nach einem gescheiterten Attentat eines ihrer Mitglieder auf den damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac verboten worden war. Der Bloc Identitaire bildete de facto die Nachfolgeorganisation, versuchte aber in den folgenden Jahren, Verbindungen zur Vorläufervereinigung zu lösen. Nicht nur, um nicht selbst unter dem Vorwurf der Fortführung einer illegalen Organisation verboten zu werden, sondern auch im Bemühen um ideologische und symbolische Erneuerung. So sollte der eigene Einfluss vergrößert werden.
Auch in Österreich sind die Verbindungen der Identitären zum organisierten rechtsextremen und neonazistischen Spektrum offensichtlich. Sie rekrutieren sich überwiegend aus dem Burschenschaftermilieu und Neonazikreisen. So tummelten sich einige Mitglieder der Identitären vor nicht allzu langer Zeit noch im Umfeld des Neonazis Gottfried Küssel, der gerade wegen ­nationalsozialistischer Wiederbetätigung im Gefängnis sitzt. Martin Sellner, der derzeitige »Leiter der Identitären Bewegung Wien«, hielt sich 2008 auf der Gedenkveranstaltung für den Jagdflieger und Nazihelden Walter Nowotny am Wiener Zentralfriedhof wenige Schritte hinter Küssel. 2010 reiste er mit anderen »Ostmärkern« zum Naziaufmarsch nach Dresden.
Nach dem Vorgehen der Behörden gegen die österreichische Neonazibewegung im Zusammenhang mit der Internetseite alpen-donau.info müssen die inhaltlichen Neuerungen der Identi­tären vor allem als Strategie angesehen werden. An die Stelle des verpönten Wortes »Rasse« tritt bei ihnen beispielsweise der Begriff der Kultur – gemeint ist aber der gleiche rassistische Herrschaftsanspruch. Ihre Forderung nach »Identität« ist zugleich die Forderung nach dem Ausschluss und der Vernichtung des »Fremden« und Nicht­identischen. Was von ihnen selbst als »Ethnopluralismus« bezeichnet wird, ist nichts anderes als Rassismus und der Versuch, einen gesellschaftlich akzeptablen und sogar werbewirksamen Begriff für eine völkisch-nationale Ideologie zu finden, der öffentlich nicht sofort in Verbindung mit dem Nationalsozialismus und dessen Verbrechen gebracht wird.
Die Verbindung zum Nationalsozialismus besteht auch bei der sogenannten Konservativen Revolution. Deren Protagonisten werden von den Identitären häufig und gerne zitiert. Die politischen Vorstellungen dieser Bewegung sind nicht unabhängig vom Nationalsozialismus oder gar als ihm entgegengesetzt aufzufassen, sondern als wichtige Vorarbeit für dessen Aufstieg. Ein Blick auf die politischen Ansichten in dieser konservativen deutschen Bewegung macht mehr als deutlich, dass sich der Nationalsozialismus nicht ohne die Konservative Revolution und auch die Identitäre Bewegung nicht ohne den Nationalsozialismus begreifen lässt.

Die Konservative Revolution lässt sich als autoritäre Rebellion gegen die kapitalistische Moderne begreifen. Sie war eine Reaktion auf eine als krisenhaft empfundene gesellschaftliche Modernisierung. Die »Entzauberung der Welt« durch die Säkularisierung und Rationalisierung löste tra­ditionelle Lebensweisen auf. Die Abschaffung der Ständegesellschaft und das Zurückdrängen religiöser Weltbilder entließ den Menschen aus strengen sozialen Bindungen in eine kapitalistisch verfasste Gesellschaft, in der das Glücksversprechen der Moderne nie eingelöst werden konnte. Die Anhängerinnen und Anhänger der Konservativen Revolution propagierten als Lösung die kämpferische Wiederbelebung deutscher Tugend, Ordnung und Moral. Das Individuum sollte sich opferbereit dem nationalen Kollektiv unterordnen.
Die Tatsache, dass die Konservativen Revoluti­onäre nicht ausnahmslos und in allen Belangen hinter dem Nationalsozialismus standen, wird von manchen Rechtsextremen genutzt, um eine klare politische Trennung zwischen ihren großen Vorbildern und den Nationalsozialisten zu behaupten. Die Absicht dahinter ist offensichtlich: Die Konservative Revolution soll von jeglicher Beteiligung an der ideologischen, kulturellen und politischen Etablierung des Nationalsozialismus freigesprochen werden. Derart von Auschwitz befreit meinen die Identitären, sich unverdächtig auf die Konservative Revolution und den Faschismus beziehen zu können. Doch schon Thomas Mann bezeichnete in einer Tagebuchnotiz den Nationalsozialismus als »politische Wirklichkeit jener konservativen Revolution«. Und über den Lieblingstheoretiker der Identitären schlechthin bemerkte Theodor W. Adorno: »Heideggers Einordnung in den Hitlerschen Führerstaat war kein Akt des Opportunismus.« Sie sei vielmehr eine Folge von Heideggers Philosophie, die »bis in ihre innersten Zellen faschistisch« sei.

»Die Angehörigen der ›Neuen Rechten‹ wollen Diskurse beeinflussen und Narrative prägen«, schreiben Srobl, Bruns und Glösel in ihrem Text. Doch alleine schon die Übernahme der ideologischen Selbstbezeichnung rechtsextremer Akademiker als »Neue Rechte« stellt in gewisser Weise bereits einen Erfolg für deren Durchdringungs- und Normalisierungsstrategien dar. Daneben ist zweifelhaft, ob die Etablierung eines neuen Begriffs zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus tatsächlich den Erkenntnisgewinn fördert. Vielmehr sollte der Rechtsextremismus als flexible Anordnung verschiedener Strömungen begriffen werden. Er kann von seinen Protagonisten an die jeweiligen hegemonialen Konstella­tionen und sozialen Kräfteverhältnisse angepasst und in Strategie wie Taktik den Anforderungen gemäß variiert werden. Der ideologische Kern bleibt, die äußere Form ist variantenreich.
Die vermeintliche Äquidistanz bei gewissen Themen – in der Frage der Nahost-Politik lautet der Slogan der Identitären »Weder Kippa noch Palituch« –, die Distanzierung vom historischen Nationalsozialismus – »der Nationalsozialismus war mir zu humanistisch«, so Martin Sellner – und die immerzu negative Bestimmung des ei­genen Standpunktes sollten als Strategie begriffen werden. Die Identitären wollen als rechts­extreme Sammlungsbewegung nicht nur möglichst viele Strömungen in sich vereinen. Sie müssen dabei auch darauf achten, das Gesetz über das Verbot nationalsozialistischer Betätigung nicht offensichtlich zu verletzen.