Gemeinsam allein

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»Ich höre, wie sein Herz schlägt. Das Summen der Maschinen scheint sich in diesem Augenblick zu verstärken, Sean beharrt: Sein Herz schlägt, nicht wahr?« Die Antwortet des Arztes kommt von einem anderen Planeten, sie hat rein gar nichts gemein mit dem zwischen gespannter Verzweiflung, letzter Hoffnung und alkoholisierter Aggression pendelnden Gefühlszustand des Vaters. Der Arzt sagt: »Ja, sein Herz schlägt dank der Maschinen.« Operieren ging nicht, Simons Blutung war zu stark. Der Vater kann das verstehen, fassen kann er es nicht. Sein 19jähriger Sohn, klinisch tot, hirntot, nach einem Autounfall.
Die französische Autorin Maylis de Kerangal hat in ihrem Roman »Die Lebenden reparieren« kein bisschen Kitsch ausgebreitet, was bei ihrem Stoff immerhin möglich gewesen wäre. Möglich, aber nicht nötig, wenn man so virtuos wie sie erzählen kann. Mit schmerzhafter Präzision beschreibt sie die 24 Stunden, in denen Simons Eltern vor einer wahrhaft mons­trösen Entscheidung stehen: Sollen sie ihren Sohn ausweiden lassen? Und mit seinem gesunden Herz einer Schwerstkranken helfen?
Alles in diesem perspektivenreichen Buch ist zutiefst plausibel. Jeder Konflikt, die scheinbar kalte Technokratie der Transplantationschirurgie, die Sorgen der Ärzte, der unerträgliche Hoffnungsschimmer für die potentielle Herzkandidatin, die Gefühle der Eltern. Alles hängt zusammen und voneinander ab – und doch ist jeder mit sich ­allein. Die Spannung ist zermürbend und wächst immer weiter.

Maylis de Kerangal: Die Lebenden reparieren. Suhrkamp-­Verlag, Berlin 2015, 255 Seiten, 19,95 Euro