Die Schweiz stimmt über das bedingungslose Grundeinkommen ab

Die Früchte der Maschinen

Das bedingungslose Grundeinkommen erfreut sich bis in die radikale Linke hinein einiger Beliebtheit. In der Schweiz sollen die Wahlberechtigten dieses Jahr über eine entsprechende Initiative in einem Volksentscheid abstimmen.

In der Schweiz soll im Herbst 2016 über die ­Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) abgestimmt werden. Angesichts der politischen Entwicklung des Landes mag das erstaunen, aber im Modell der sogenannten direkten Demokratie kann jeder eine Abstimmung erzwingen, der innerhalb von 18 Monaten 100 000 Unterschriften von Stimmberechtigten zu sammeln vermag. Die Initiative für das BGE konnte 126 408 gültige Unterschriften vorlegen, die Aussicht auf einen Erfolg bei der Abstimmung ist jedoch gering. In der Schweiz wurde bislang über 198 solcher Volksinitiativen abgestimmt, nur 22 wurden angenommen. Von den letzten neun erfolgreichen Initiativen wurden acht gewonnen, weil es den rechten Initiatoren gelungen war, die entsprechenden Ressentiments zu mobilisieren. Linke Anliegen hingegen hatten es in jüngerer Vergangenheit schwer. Die Einführung eines Mindestlohns, einer moderaten Erbschaftssteuer und die gesetzliche Festlegung von sechs Wochen Ferien – diese Vorhaben wurden vom braven helvetischen Stimmvolk verworfen.

Das BGE hat einen schweren Stand, zumal der Nationalrat, die große Kammer des Parlaments, nach einer Debatte im September vergangenen Jahres mit 146 zu 14 Stimmen empfohlen hat, bei der Abstimmung das BGE abzulehnen. Dafür votiert hatten lediglich der linke Flügel der Sozialdemokraten (SP) und eine Minderheit der Grünen. In der Diskussion sparten die Politiker nicht mit apokalyptischen Szenarien. Der Sprecher der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP), Sebastian Frehner, sprach von der »gefährlichsten« und »schädlichsten« Initiative aller Zeiten: »Die Annahme wäre das Ende der heutigen Schweiz.« Der Nationalrat Daniel Stolz der Schweizer Liberalen (FDP) meinte, die Vorlage sei eine »entsicherte Handgranate, die das ganze System in Stücke zu reißen droht«. Der handzahme linkssozialdemokratische Appell an Solidarität und Respekt ging im aufgeregten Getöse unter. Nach der bisherigen Debatte kann man das Abstimmungsresultat fast so sicher vorhersagen wie die Kampagnen im Vorfeld: Alarmismus und Sorgen um den nationalen Standort schlagen den Abklatsch einer Utopie, die mit der kapitalistischer Gesellschaft nicht brechen will. Dennoch lohnt es sich, den Inhalt und die Argumentation von Verfechtern und Gegnern etwas genauer anzusehen.

Dem Initiativtext zufolge soll in der Bundesverfassung verankert werden, dass der Staat ein bedingungsloses Einkommen einführt, das »der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben« ermöglicht. Zudem besagt der betreffende Artikel: »Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens.« Alles andere wird offen gelassen. Als Richthöhe schlägt das parteipolitisch neutrale Initiativkomitee unverbindlich 2 500 Franken (2 310 Euro) für Erwachsene und 625 Franken für Kinder vor. Das klingt zunächst nach viel Geld, aber eine Umsetzung in dieser Höhe dürfte sich angesichts der Kräfteverhältnisse als illusorisch erweisen. Man muss sich zudem vor Augen führen, dass das mittlere Einkommen in Zürich für Männer 8 385 Franken pro Monat beträgt und man heute im Falle der Arbeitslosigkeit als Alleinstehender 70 Prozent Lohnfortzahlung für um die 400 Tage erhält. Die Lebenshaltungskosten sind entsprechend hoch. Mit 2 500 Franken in Zürich ein halbwegs erträgliches Auskommen zu finden, ist praktisch unmöglich. Das Grundeinkommen soll aber einen Großteil der heutigen Sozialleistungen ersetzen; Invaliden­rente, Arbeitslosengeld und staatliche Altersversicherung würden dem Komitee zufolge weg­fallen. Ein Kritikpunkt der Linken im Nationalrat war dann auch, dass das Verhältnis des neuen Einkommens zu bestehenden Sozialleistungen nicht geklärt sei. Auch die Finanzierung sei weitgehend unklar. Die Kosten werden auf rund 208 Milliarden Schweizer Franken geschätzt; immerhin rund 33 Prozent des Schweizer Brutto­inlandproduktes. Rund 70 Milliarden Franken würden durch Abbau bestehender Transferleistungen aufgebracht, der größte Teil der verbleibenden 138 Milliarden sei in den »bestehenden Einkommen enthalten«, bloß der Restbetrag müsse »durch Steuern oder durch eine Verlagerung im heutigen Staatshaushalt aufgebracht« werden, beschwichtigt das Initiativkomitee die Kritiker. Näher betrachtet ist es diese Finanzierungsfrage, die aus linker Sicht die Initiative gleich doppelt fragwürdig macht.

Die Feststellung, dass das BGE in den bestehenden Einkommen enthalten sei, haben zwei Basler Unternehmer und Mitinitiatoren mit ökonomisch fragwürdiger Argumentation in einer Broschüre ausgeführt, in der sie auch Milton Friedman zu Ehren kommen lassen und dem Klassenkampf eine Abfuhr erteilen. Zusammengefasst kann man die Resultate beim Initiativkomitee nachlesen: »Für die meisten Personen ist das Grundeinkommen kein zusätzliches Geld, sondern ersetzt heutige Einkommen.« Das heißt, dass künftig ein Teil der Reproduktionskosten der Lohnarbeiter vom Staat übernommen wird. Letztlich laufe das auf ein »gigantisches Subventionsprojekt für die Wirtschaft« hinaus, befürchtet der grüne Nationalrat Balthasar Glättli. Zudem wird damit die ganze Lohnstruktur, die in der Schweiz in vielen Branchen von gewerkschaftlich ausgehandelten Gesamtarbeitsverträgen bestimmt wird, aufgebrochen. Die beiden Basler Initiatoren rühmen sich dessen und verweisen darauf, dass individuell bessere Verträge geschlossen werden könnten. Wie hoch das Reproduktionsniveau der Proletarisierten am Ende ausfällt, hängt aber vom Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ab. Und da sieht es in der Schweiz recht düster aus, gerade auch wenn man die Bedenken ernst nimmt, dass das BGE einer weiteren Vereinzelung Vorschub leisten könnte. Entsprechend ist nicht nur zu befürchten, dass mit dem Projekt das Kapital subventioniert wird, sondern auch, dass für den Großteil der Lohnabhängigen keine Verbesserungen zu erwarten sind – im Gegenteil.
Die Frage der fehlenden Milliarden wäre ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt zu diskutieren. In Zeiten, in denen Krise und nationalstaatliche Konkurrenz die Besteuerung von Kapital gelinde gesagt schwierig machen, bleibt offen, wo das Initiativkomitee das Geld eintreiben will. Dieses lässt lediglich verlauten, das müsse »politisch ausgehandelt werden«. Nationalökonomisch ist das wenig durch­dacht. Es ist zwar sympathisch, dass man das BGE auf Grundlage der Bedürfnisse formuliert. Die Initiatoren wollen »alle Menschen an den Früchten der Maschinenarbeit angemessen beteiligen«. Das ist mit den Prinzipien einer kapitalistischen Ökonomie aber nicht zu vereinbaren. Die Vertreter des BGE verkennen, dass der stoffliche Reichtum in einer bestimmten gesellschaftlichen Form produziert wird: als Kapital, das Gesetzen unterliegt. Eine »angemessene« bedingungslose Beteiligung aller Menschen am gesellschaftlichen Reichtum wäre aber nur jenseits von Kapital und Lohnarbeit vorstellbar.
Im Abstimmungsmonat wird die BGE-Initiative wohl wenigstens die Debatte über Arbeit und Einkommen befeuern. Allerdings bloß verzerrt: Weil sie nicht mit der kapitalistischen Gesellschaft brechen kann und will, bleibt sie argumentativ innerhalb deren Logik und in diesem Rahmen auch notwendig wenig überzeugend.