Das World Economic Forum und die »vierte industrielle Revolution«

Digitale Dividende

Wenn beim Treffen des World Economic Forum über eine angebliche vierte industrielle Revolution debattiert wird, ist Misstrauen geboten.

Wie in jedem Jahr veröffentlichte die NGO Oxfam kurz vor dem Beginn des Treffens des World Economic Forum (WEF) in Davos einen Bericht über die globale Ungleichheit. 62 Milliardäre, so die diesjährige Botschaft, besitzen ein ebenso großes Vermögen wie die mehr als 3,5 Milliarden Menschen, die die ärmste Hälfte der Weltbevölkerung bilden. Die Berechnung mag fragwürdig und die Datengrundlage ungenau sein, wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung kritisierte, aber in Frage steht nur die korrekte Zahl der Milliardäre.
Dass die Einkommensungleichheit wächst und auch auch innerhalb der Bourgeoisie eine Vermögenskonzentration bei einer Oligarchie stattfindet, ist weitgehend unbestritten. Insbesondere die IT-Industrie, in der neue Monopole entstehen, treibt diese Entwicklung voran. Für mehr Gleichheit sorgt sie ohne begleitende politische Maßnahmen nicht, stellte die Weltbank jüngst in ihrem Bericht »Digital Dividends« fest, überdies sind noch 60 Prozent der Weltbevölkerung von der digitalen Wirtschaft ausgeschlossen.
Und schon kommt die »vierte industrielle Revolution«, das zentrale Thema des Treffens in Davos. Wenn Klaus Schwab, Präsident des WEF, schreibt, sie sei »anders als alles, was die Menschheit bisher erlebt hat«, klingt das wie eine Drohung. Es folgt das Geständnis: »Wir wissen noch nicht, wie sie sich entfalten wird.« Wer eine Revolution propagiert, sollte eigentlich wissen, worauf er hinaus will. Die kapitalistische Entwicklung wird hier als eine Art Naturereignis gesehen, dessen Folgen man beeinflussen kann, denen man sich aber vor allem anpassen muss.
Gibt es keinen überraschenden Aufschwung der globalen Klassenkämpfe, wird den Lohnabhängigen nichts anderes übrig bleiben als Anpassung ohne die Garantie, dass sie ihnen ein Beschäftigungsverhältnis verschafft. Fraglich bleibt hingegen, ob die »cyber-physical systems«, die die vierte industrielle Revolution ausmachen sollen (unter anderem Robotik und sogenannte künstliche Intelligenz, das »Internet der Dinge« sowie Nano- und Biotechnologie), tatsächlich die Erwartungen der Investoren erfüllen und einen neuen Akkumulationszyklus einleiten.
Bei einem beträchtlichen Teil der Menschheit sind viele Ergebnisse der drei bisherigen industriellen Revolutionen noch nicht angekommen, aber auch in den entwickelten Staaten stagnieren oder fallen die Einkommen der Mehrheit. Überdies ist fraglich, wie viele Menschen sprechende Kühlschränke und selbstfahrende Autos erwerben wollen. Ohnehin bedürfen die »cyber-physical systems« einer Infrastruktur, ohne die etwa eine »smart city« nicht funktionieren kann.
Hier kommt der Staat ins Spiel, dem Schwab »›agile‹ Regierungsführung« nahelegt: »Regulatoren müssen sich kontinuierlich einer neuen, sich schnell wandelnden Umwelt anpassen«, einer Umwelt, die globale Konzerne schaffen, ohne so recht zu wissen, was sie da tun. Nicht zufällig fabulieren von der »vierten industriellen Revolution« vornehmlich Unternehmensvertreter und Politiker, die sich schnell wandelnden Unternehmerforderungen agil anpassen. Der Staat soll kostenlos die gewünschte Infrastruktur bereitstellen und für günstige Verwertungsbedingungen sorgen. Ob das ausreicht, ist unklar, nicht lange raten muss man hingegen, wer im Erfolgsfall die digitale Dividende einstreicht.