Die Debatte um Sexismus und Ideologiekritik

Wir sind die Besseren

Antisemitischer Feminismus, ideologiekritischer Sexismus. Die Debatte über Ereignisse wie die Kölner Silvesternacht dient im innerlinken Diskurs oft zur Bestätigung der eigenen Positionen und geht selten über das Gut-böse-Schema hinaus.

Es scheint der feuchte Traum so mancher Teilnehmer der Debatte um die Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof: Vergewaltigungen in Zukunft nur in deutschen Beziehungen und Grapschen auch bitte nur mit Ariernachweis. Diesem rassistischen Gefasel will sich eine breite Gruppe von Feministinnen entgegenstellen, die den Aufruf #ausnahmslos verfasst hat. Zwar kämpfen sie »ausnahmslos« gegen Rassismus und Sexismus, jedoch werden beim Thema Antisemitismus ohne weiteres Ausnahmen gemacht.
Initiiert von Feministinnen, die insbesondere mit Twitter-Kampagnen unter den Hashtags #Aufschrei und #SchauHin auf alltäglichen Sexismus und Rassismus aufmerksam machen wollten, stellt sich die Kampagne »gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Immer. Überall. #ausnahmslos«. Dass eine Aussage wie »Nichts ist gruseliger als Zionismus«, die von einer der Erstunterzeichnerin, Linda Sarsour, stammt, nicht Bündnismeinung ist, darf man aus einem kurzen, allgemeinen Disclaimer herausinterpretieren. In einer Aufzählung verschiedener Diskriminierungsformen findet sich, direkt neben einer von antimuslimischen, auch eine Distanzierung von antisemitischen Positionen.

Es ist ein bekanntes Muster in den Kreisen rund um die Unterstützerinnen des Aufrufs: Unter dem Banner der Intersektionalität zieht man gegen den weißen, heterosexuellen Mann. Während man sich in einem Meer aus Betroffenheit selbst reflektiert, vergisst man aber oft ganz schnell, dass nicht alles auf die Formel »check your privilege« reduzierbar ist. Antisemitismus wird in queerfeministischen Kreisen nur erwähnt, wenn es gerade reinpasst – und solange Antisemitismuskritik mit dem eigenen, angeblich antirassistischen Denken zusammenpasst. Unter den Verfasserinnen von #ausnahmslos ist etwa die Bloggerin und Online-Redakteurin des Missy Magazine Hengameh Yaghoobifarah, die sich früher »auch als antideutsch« bezeichnete, weil sie »100 Prozent anti-Shoah« sei und Demonstrationen gegen Homophobie in Neukölln als rassistisch verurteilt. Wie antirassistisch es ist, Muslime vor Kritik zu schützen, weil man meint, dass Vernunft und logische Argumente eurozentristisch seien, beziehungsweise dass die Kultur in arabischen Ländern einfach nicht verstehe, wer Antisemitismus verurteilt, kann dann vielleicht unter dem nächsten Hashtag geklärt werden.
Folglich wird »der Nahost-Konflikt« jedoch zu einem Konflikt zwischen Unterdrückern und Unterdrückten, Weißen und Nichtweißen, und man hat eine feministische Szene, die begeistert zu einer Laurie Penny (ebenfalls Erstunterzeichnerin bei #ausnahmslos) aufsieht, die Israel boykottiert und von »gehäuteten Bankern« fantasiert.

Während also ein Teil der queerfeministischen Szene weiterhin mit Antisemitismus kokettiert, geht solidarische Kritik auch insbesondere in ideologiekritischen Kreisen beinahe unter im immerwährenden Plätschern von Artikeln und Hinweisen auf das altbekannte islamische Frauenbild: Beispielhaft sind hier etwa die Behauptungen von »Islamexpertinnen« wie der ehemaligen Femen-Aktivistin Zana Ramadani, die im Interview mit der Welt die Frage, wie die »islamischen Werte« denn in die Männer reinkämen, wie folgt beantwortete: »Die Frauen haben die Werte, unter denen sie selbst oft gelitten haben, so verinnerlicht, dass sie sie sowohl an ihre Söhne als auch an ihre Töchter weitergeben.« Scheinbar unabhängig von der konkreten Debatte spielen ideologiekritische Islamkritiker ihre gewohnte Platte ab und bestätigen sich mal wieder in ihrer eigenen Identität, die sie in einer einseitigen, teilweise sexistischen Islamkritik ausleben. Wer Frauen, um ihrer selbst, jedoch gegen ihren Willen, das Kopftuch ausziehen möchte, aber auf kindisch-rebellische Art und Weise auf Begriffen wie »Hurensohn« besteht, hat vielleicht die Religionskritik formuliert, die man im hiesigen Queerfeminismus vermisst, blendet jedoch die real existierenden patriarchalen Verhältnisse aus.
Unterdessen wird Feminismus, der sich am Ende noch mit dem Sexismus der eigenen Szene beschäftigt, als »krampfhaft links« (Paulette Gensler, Jungle World 28/15) abgewertet, »emanzipatorisch« wird zum Schimpfwort.
Zu erkennen, dass der europäische Sexismus im »Was ist schlimmer?«-Wettbewerb gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) und das Frauenbild in islamisch geprägten Ländern verliert, ist keine Kunst. Bei diesem Schritt der Analyse stehenzubleiben, frei nach dem Motto »Bikini statt Burka« die realen Probleme zu ignorieren und stattdessen in eine häufig rassistisch anmutende, aber antisexistisch begründete Islamkritik zu verfallen, sollte gerade in theoriebetonten Kreisen eigentlich peinlich sein.
Während am binären Geschlechtersystem und an bürgerlichen Rollenbildern festgehalten wird, ganz so, als gehörte alles, was über Mann und Frau hinausgeht, mit in den abzulehnenden Topf des Critical-Whiteness- und Intersektionalitätsdiskurses, macht man sich auf gewohnt überhebliche Art über feministische Kritik an männerdominierten Räumen lustig. Die unveränderte Unterrepräsentation von Frauen in ideologiekritischen Kreisen wird nicht etwa in Frage gestellt, sondern anscheinend als etwas von Gott – also Adorno – gegebenes angenommen, und der spricht wohl nur zu Männern.
Tatsächlich ist diese Unterrepräsentation jedoch kein Wunder, wurde doch bereits vor 16 Jahren in der Bahamas Opfern von Vergewaltigungen erklärt, dass das, was sie als Grenzüberschreitung wahrgenommen haben, nur ein Spiegel ihrer eigenen Angst vor ungezügelter Lust sei. Wer sich in seiner Kritik an feministischen Schutzräumen darauf beschränkt, diese als Hort der »Überforderten und Enttäuschten« zu sehen, wie Justus Wertmüller und Uli Krug schrieben, schließt damit genau diese Menschen aus dem eigenen Umfeld aus.
Es scheint fast so, als glaubten manche, die regressiven Elemente des Feminismus mit stolz vor sich hergetragenem Antifeminismus kontern zu müssen, der zwar weniger ideologisch gefestigt ist, dafür aber umso vermeidbarer wäre. Tatsächlich gibt es mehr Potential zur Kooperation bei der Bekämpfung der antifeministischen und der antisemitischen Ideologie, als einigen wohl lieb wäre. Die historische Verflechtung der beiden Ideologien zeigt sich im Antisemitismus antifeministischer Personen und immer wieder finden sich im Antifeminismus strukturell antisemitische Denkmuster bis hin zur behaupteten »feministischen Weltverschwörung«. Spätestens wenn beim alljährlichen »Marsch für das Leben« von christlich-fundamentalistischen Abtreibungsgegnern Slogans auftauchen, die das Wort »Babycaust« enthalten, wird klar, dass hier eine Verbindung aus der Hölle besteht.

Ob in rechten Kreisen, im Islamismus, in der »Mitte der Gesellschaft« oder in der linken Szene, wo sich Antisemitismus findet, findet sich auch das Feindbild der sich emanzipierenden Frau.
Wo Frauen in festgelegten Rollen bleiben müssen, da ihnen sonst der Ausschluss droht, sind Juden von vorneherein ausgeschlossen, und was sich bereits bei jüdischen Salonkünstlerinnen wie Rahel Varnhagen und Henriette Herz Ende des 18. Jahrhunderts gezeigt hat, gilt bis heute: Im Kampf gegen die Moderne passen weder Feministinnen noch Jüdinnen und Juden in das geschlossene Weltbild.
Statt mit aller Kraft und um der eigenen Ressentiments willen Abgrenzung zu betreiben, wäre eigentlich gerade nach einem Ereignis wie dem in Köln eine gesamtgesellschaftliche Analyse und Kritik mehr als nötig. Ob in Dresden Israelis angegriffen werden, weil sie für Araber gehalten werden, oder in Frankreich mit den islamistischen Terroranschlägen vom 13. November wiederholt als jüdisch angesehene Einrichtungen angegriffen werden: Fernab von einfachen Gut-böse-Kategorisierungen müssen Rassismus, Sexismus und Antisemitismus in ihrer ganzen Wirkweise gesehen und kritisiert werden.