»Wachstumskritische« Querfronten in Deutschland

Degrowth und schrumpfende Logik

Wachstumskritik gehört zum Rüstzeug vieler sozialer Bewegungen in Deutschland. Den einen dient sie als Argumentationsfigur, um Zins und Zinseszins zu dämonisieren oder um Ängste vor Einwanderung zu schüren. Andere nutzen sie als radikalökologische Revolutionsromantik. Wachstumskritik hilft, völkische Querfronten zu bilden.

In seiner Weihnachtsansprache für die »Junge Alternative« formulierte der Fraktionsvorsitzende der Thüringer Alternative für Deutschland (AfD) Björn Höcke 2014: »Ich meine, dass wir Mitte des 21. Jahrhunderts an die Grenzen der Tragfähigkeit unseres Planeten angelangt sein werden. Wir müssen überlegen, wie eine Postwachstumsökonomie aussieht. Wir müssen eine Art von Wirtschaft entwickeln, die Ökologie und Ökonomie miteinander versöhnt, und das geht nur, wenn wir diese Art von Kapitalismus überwinden.«
Es sind Sätze, wie sie auch durchschnittliche Grünen-Mitglieder unterschreiben könnten. Die AG »Jenseits des Wachstums« von Attac Deutschland formuliert es ganz ähnlich: »Die gesellschaftlichen Naturverhältnisse müssen durch die Schaffung und Förderung sozial und ökonomisch gerechter und ökologisch nachhaltiger Produktions und Lebensweisen verändert werden.«
Ihnen gemeinsam ist ein diffuses Unbehagen an den negativen Folgen der kapitalistischen Warenproduktion. Über die Ursachen des Übels herrscht allerdings Uneinigkeit.

Im Herbst 2008 veröffentlichte die Junge Freiheit, zentrales Organ der »Neuen Rechten«, einen Leserbrief zu einem Artikel von Hans-Olaf Henkel. Der ehemalige Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) war zu dieser Zeit ein klassischer Marktradikaler und sprach sich gegen einen »Dritten Weg« aus. Der Leserbrief »Dritte Wege diskutieren« widerspricht und attestiert: »Die gegenwärtige Krise ist definitiv keine des herrschenden Wirtschaftssystems, also der Marktwirtschaft, sondern eine des korrespondierenden Geldsystems, des zinsbasierten Kapitalismus.« Die Probleme des »zinsbasierten Kapitalismus« seien »enorme Buchgeldschöpfungen, gigantische Kapitalakkumulationen und globale Konzentrationsprozesse«, welche »zwangsläufig zu zyklischen Krisen einer hochgradig vernetzten, monokulturalisierten Weltwirtschaft« führen würden. Außerdem heißt es dort: »Wenn es der Menschheit nicht bald gelingt, ein Geldsystem zu erschaffen, das nicht darauf angewiesen ist, ein ewiges Wachstum in einer endlichen Welt zu generieren, wird die letzte Hoffnung auf eine Selbstregulation von Mensch und Natur aufgegeben werden müssen.« Autor des Leserbriefs ist Björn Höcke, der mittlerweile einer der populärsten Köpfe des rechten Randes der AfD ist und über den die Amadeu-Antonio-Stiftung sagt, er liege »auf einer Linie mit der Rassentheorie des Nationalsozialismus«.

Auf dem Blog der Sezession, der zum Institut für Staatspolitik (IfS) gehört, findet sich ebenfalls Wachstumskritisches. Das Institut ist eine wichtige Denkfabrik der »Neuen Rechten«, an deren Veranstaltungen auch hochrangige NPD-Funktionäre teilnehmen. Götz Kubitschek, der zurzeit vor allem als Hauptredner von Pegida-Demons­tra­tio­nen Aufsehen erregt, gehört zu den Gründern des Instituts und zeichnet auch für das Blog der Sezession verantwortlich. Im vergangenen Jahr erschien dort eine sechsteilige Reihe zum Thema Wachstumskritik von Felix Menzel, der wiederum eine Schlüsselfigur in der »Identitären Bewegung« ist und die rechte Jugendzeitschrift Blaue Narzisse herausgibt. Seine Reihe zur Wachstumskritik fokussiert auf Fragen des Bevölkerungswachstums. Die Argumentation liest sich so: Die Deutschen würden zu wenig Kinder kriegen, in Afrika gäbe es zu viele Geburten, in der Folge würde es eine Masseneinwanderung nach Europa geben. Einen seiner Beiträge schließt Menzel mit den Worten »Einwanderungs-, Wachstums- und Globalisierungskritik gehören zusammen. Wer hier auch nur einen Faktor ausblendet, wird die Tragweite des Problems nie erkennen.« Wenn Menzel und Höcke gegen den vermeintlichen Wachstumszwang wettern, meinen sie vor allem: »Überbevölkerung« führe zwangsläufig zur Vermischung der Afrikaner mit den Europäern. »Im 21. Jahrhundert trifft der lebensbejahende afrikanische Ausbreitungstyp auf den selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp«, erklärte Höcke seine steile These während einer Tagung des IfS im vergangenen November. Dadurch entstünde ein »Reproduktionsüberschuss«.
Argumentative Rückendeckung erhalten rechte Wachstumsgegner und Postwachstumsfreunde im deutschsprachigen Raum von der »Wissensmanufaktur«, nach Selbstdarstellung ein »Institut für Wirtschaftsforschung und Gesellschaftspolitik«, dass sowohl im neurechten Spektrum als auch in der linken verschwörungsideologischen Szene rezipiert wird. Was bei Höcke »Dritter Weg« heißt, nennen die Ideologen der »Wissensmanufaktur«, Andreas Popp und Rico Albrecht, »Plan B«. Gemeint ist in beiden Fällen: »Kapitalismus und Sozialismus sind zwei Seiten derselben Medaille«, wie Andreas Popp formuliert. Stattdessen gehe es um eine »Alternative«, die im Falle des »Plan B« erst dann in Kraft treten könne, wenn das bestehende System nach der »Phase des Faschismus« gescheitert sei. Der vermeintliche Wachstumszwang wird im »Plan B«, wie schon beim Leserbrief von Höcke, auf das Geldsystem zurückgeführt: »Die Ursache hinter der Umverteilung von fleißig nach reich, hinter den immer schneller wachsenden Schulden und Guthaben sowie hinter dem Wachstumswahn wird in der veröffentlichten Meinung jedoch niemals thematisiert: das verzinste Geldsystem.«
Dazu passt, dass Popp und Albrecht sich mit ihrem »Plan B« direkt auf den NS-Wirtschaftstheoretiker Gottfried Feder und sein »Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft« beziehen. Am Ostermontag 2014 bewarben Popp und Albrecht ihren »Plan B« auf der bislang größten »Montagsdemonstration für den Frieden« in Berlin. Als die Montagsdemonstrationen im Zenit standen, entbrannte in der Linkspartei ein Streit über den Umgang mit der Bewegung. Zu den Beteiligten gehörte ebenfalls die Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig, die sich für »eine solidarische Auseinandersetzung mit den Montagsmahnwachen« einsetzte – und zwar rund einen Monat nach den Reden von Popp auf dem Potsdamer Platz. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau zeigte sie im August 2014 anlässlich der »4. Internationalen Degrowth-Konferenz« in Leipzig große Sympathien für die »Degrowth«-Bewegung. Eine Bewegung mit einem linken, ökologischen Profil – jedoch mit einer defizitären Analyse von Gesellschaft und Ökonomie (vgl. »Unser Reichtum« in Jungle World 45/2014).

Wachstumskritik ist mittlerweile fester Bestandteil völkischer Bewegungen geworden. Sie soll Kapitalismuskritik und Gesellschaftsanalyse ersetzen. Bereits nach der Konferenz in Leipzig warnte der Politologe Ulrich Brand vor Beliebigkeit in der Bewegung. Der Postwachstumsbegriff müsse geschärft werden, »andernfalls wird der Begriff zur radikalen, aber politisch folgenlosen Geste einer jüngeren und nicht mehr so jungen ökolibertären Mittelschicht mit geringer Sensibilität für sozialstrukturelle Ungleichheit und Machtfragen«.