Genforschung an Embryonen in Großbritannien

Schritt für Schritt

Die britische Forscherin Kathy Niakan will durch Genforschung an Embryonen herausfinden, warum es Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit gibt. In Großbritannien eckt sie damit kaum an.

Nun also wieder einmal Großbritannien. Südkorea, USA, China, Großbritannien – in Intervallen melden sich Forscher aus diesen Staaten, in denen sie keinen restriktiven Gesetzen unterliegen, um einen erneuten Durchbruch im Bereich der Gentechnik zu verkünden. Regelmäßig verstummen die schrillen Töne bald und das Thema gerät wieder in Vergessenheit. So war die Reaktion der Medien wieder einmal enorm, als bekannt wurde, dass die britische Stammzellforscherin Kathy Niakan die Genehmigung der Behörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority) erhalten hatte, an Embryonen genetische Manipulationen vorzunehmen.
Niakan, die am Francis Crick Institute in London arbeitet, möchte durch die genetische Veränderung unter anderem herausfinden, warum es zu Fehlgeburten kommt und warum einige Frauen unfruchtbar bleiben. Einige Forscher vermuten, dass bestimmte Schlüsselgene in den ersten Tagen nach der Befruchtung fehlreguliert sein könnten. Dieser Vermutung möchte das Team um Niakan nachgehen, um eventuell defekte Gen­sequenzen herauszuschneiden.

Die Zulassung durch das für das Institut zuständige Ethikkomitee steht zwar noch aus, wird aber nur noch als Formalie angesehen. Somit dürften die Forschungen in wenigen Monaten beginnen. Die HFEA hat kein Tabu gebrochen. In Großbritannien sind Forschungen an Embryonen, die in vitro erzeugt wurden, bis zu 14 Tage nach der Befruchtung möglich. Im vorliegenden Fall ist die Forschung sogar an strengere Auflagen gekoppelt. Die von kinderlosen Paaren für Forschungszwecke gespendeten überzähligen Embryonen von Fertilisationen im Reagenzglas dürfen nicht älter als sieben Tage sein und nicht in eine empfängnisbereite Frau eingepflanzt werden.
Die Reaktionen auf das Forschungsvorhaben waren in Großbritannien überwiegend positiv. In Deutschland sieht dies anders aus. »Die mediale Aufregung hierzulande hat mich schon etwas überrascht. Forschung an Embryonen findet in Großbritannien seit Jahrzehnten statt, insofern ist dieser Fall gar nicht so spektakulär«, meint Uta Wagenmann, beim Gen-ethischen Netzwerk im Bereich Medizin tätig. Doch Gegner und Befürworter in Deutschland brachten sich sofort in Stellung. Hintergrund dürfte sein, dass das rund 20 Jahre alte Embryonenschutzgesetz in Deutschland mit Sicherheit in absehbarer Zeit auf den Prüfstand kommt.
»Das Gesetz entspricht nicht mehr heutigem Forschungsstand. Es ist ein reines Strafgesetz, das heißt, es darf nicht über seinen Wortlaut hinaus zu Lasten eines Täters ausgelegt werden, selbst wenn das seinem Sinn und Zweck entspräche. Und es ist zum Teil nicht sehr überzeugend ausgestaltet. So lässt es zum Beispiel zu, dass überzählige Embryonen getötet werden, es erlaubt aber nicht, sie für hochrangige Forschung zu verwenden«, argumentiert Jochen Taupitz, Direktor des Instituts für Medizinrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim. Er plädiert für eine Liberalisierung des Gesetzes, die Frist von 14 Tagen will er aber erhalten. »Ich bin sehr für unterschiedliche Rechtsordnungen. Man kann doch jetzt in Ruhe die Entwicklungen in Großbritannien abwarten und dann bei Bedarf reagieren«, sagt Taupitz.

Kritiker sehen das Problem grundsätzlicher. »Die Verlautbarungen der Genforschung am Menschen folgen doch immer dem gleichen Ritual. Den vollmundigen Versprechungen folgen aber nur äußerst selten konkrete Therapien oder gar Heilungschancen«, so Uta Wagenmann. Sie kritisiert das Forschungsvorhaben Niakans: »Die gesamte Forschungslandschaft ist marktorientiert, Verwertungsoptionen werden immer schon mitgedacht. Ich kann mir gut vorstellen, dass in Großbritannien zum Beispiel auch auf Erkenntnisse gehofft wird, mit denen die bislang ziemlich lausige baby take home-Rate bei künstlichen Befruchtungen erhöht werden kann.«
Die Reproduktionsmedizin ist in den vergangenen Jahrzehnten ein eigener Wirtschaftszweig geworden. In fast jeder größeren Stadt gibt es spezielle Einrichtungen. Doch trotz aller Erfolge scheitert die Medizin immer noch bei vielen Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch. »Sicherlich gibt es ›gute‹ Forscher, aber auch sie sind marktgetrieben. In den bestehenden Strukturen werden nicht nur die Themen und Fragen medizinischer Forschung, sondern auch ethische Positionen von ökonomischen Interessen bestimmt und sind insofern ziemlich fragwürdig«, so Wagenmann.
Wahrscheinlich ist die ganze Aufregung über Niakans Vorhaben übertrieben, denn nach der spektakulären Ankündigung dürfte schnell wieder Ruhe einkehren. Die von Genforschern postulierten Ziele werden in der Regel nicht erreicht. Es wurde so oft so viel versprochen, dass an eine schnelle Heilung schwerer Krankheiten so recht kaum jemand mehr glaubt. Dennoch ändert sich das gesellschaftliche Werteverständnis. So ist es in Großbritannien beispielsweise erlaubt, Mensch-Tier-Mischwesen für die Forschung zu erzeugen. Austragen lassen darf man diese Wesen noch nicht, aber in den vergangenen Jahren ist doch so etwas wie ein Gewöhnungseffekt eingetreten, der Schritt für Schritt zuvor Tabuisiertes möglich erscheinen lässt. So befürchtet etwa David King, Direktor der NGO Human Genetics Alert, Niakans Forschung sei der erste Schritt »zu genetisch modifierten Babys«. Um »verheerende genetische Krankheiten im Mutterleib zu korrigieren« befürwortet der britische Molekularbiologe Johnjoe McFadden eine solche Genmodifizierung. Kritiker wie King gibt es Großbritannien nur wenige. Demgegenüber wirkt die deutsche Debatte mitunter hysterisch, jedoch sympathisch kontrovers.