Der Streit in CDU und CSU über Merkels Politik

Der Rechtsruck der Republik

Getrieben von der »Alternative für Deutschland« gibt der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer den Oppositionsführer innerhalb der Regierung. Doch auch in der CDU finden viele die eigene Parteivorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, zu links.

Erneut haben Äußerungen von Frauke Petry für heftige Kritik gesorgt. In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse hatte die Bundesprecherin der »Alternative für Deutschland« (AfD) Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorgeworfen, es gebe hinsichtlich der »Flüchtlingskrise« in Deutschland eine »Herrschaft des Unrechts«. »Wenn wir politisch die Wiederherstellung von Recht und Ordnung nicht erreichen, dann müssen wir das eben juristisch angehen«, sagte Petry.
Aufmerksame Leserinnen und Leser der »Pinocchio-Presse« (so Petrys Wortschöpfung für die »Lügenpresse«) haben den Fehler längst bemerkt: Die Zitate stammen nicht von Frauke Petry, sondern vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Zwar musste Seehofer wegen des Zugunglücks im oberbayerischen Bad Aibling und der deswegen erfolgten Absage des Politischen Aschermittwochs in Passau auf seine dort geplante Kampfrede verzichten. Doch seine Position als deutscher Oppositionsführer konnte er mit seinen Angriffen auf die Kanzlerin nochmals verdeutlichen.
Seehofers scheinbar paradoxe Rolle als Scharfmacher gegen die Politik einer Regierung, der seine eigene Partei angehört, verdeutlicht nicht nur den tiefen Konflikt in der Union. Angesichts seiner Attacken könnte man fast meinen, dass AfD habe längst die innenpolitische Richtlinienkompetenz übernommen. Seehofer will die neue Konkurrenz von rechts durch die Überbietung der populistischen Rhetorik überflüssig machen. Rechtspopulismus war in Deutschland weniger eine politische Bewegung als eine rhetorische Technik. Und diese beherrscht Seehofer souverän. Sein Ausspruch: »Wir wollen nicht zum Sozialamt für die ganze Welt werden«, wurde von der AfD über die sogenannte Pro-Bewegung bis hin zur NPD vielfach kopiert. Seehofer spielt bis heute den selbstbewussten Volkstribun, der im Konfliktfall auch die Schwesterpartei brüskiert – wie jüngst mit seinem Besuch bei Russlands Präsident Wladimir Putin. Stets kümmerten sich bajuwarische Ministerpräsidenten in ihren politischen Inszenierungen wenig darum, wer in Bonn oder Berlin unter ihnen Kanzler war und ist. Mit dieser Haltung düpierte Seehofer Merkel auf dem CSU-Parteitag im November ohne Rücksicht auf die Etikette.
Derzeit jedoch lässt sich der unionsinterne Streit nicht auf die üblichen Differenzen zwischen CDU und CSU reduzieren. Prominente Kritiker der Kanzlerin wie der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten stammen aus den Reihen der CDU. Die Flüchtlingspolitik hat einen Nerv in der Union getroffen. Und das von der bayerischen Staatsregierung bei dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio in Auftrag gegebene Rechtsgutachten mit dem Titel »Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem« bietet nur einen Vorgeschmack auf weitere Formen der Konfliktführung. Die Union ringt mit ihrem Profil. Denn nach der von Angela Merkel forcierten programmatischen Modernisierung bleibt der Union zur politischen Unterscheidung nur noch das Image als Partei der Ordnung. Den gesellschaftspolitischen Liberalismus teilt die Union mit allen anderen Parteien außer der AfD.
Für staatstragende Parteien wie CDU und CSU haben Themen wie Grenzsicherung oder Staatsbürgerschaft eine besondere Bedeutung. Der Aufenthalt zahlreicher illegaler Flüchtlinge in Deutschland ist deshalb eine Provokation gerade für das konservative Rechtsverständnis. Dabei hat die Union seit der Vereinigung eine beachtliche Entwicklung vollzogen. Noch 1987 stritt die Partei leidenschaftlich über die Aufnahme von lediglich 14 chilenischen Flüchtlingen, die dem Pinochet-Regime entfliehen wollten. Die Militärdiktatur galt nicht nur der Führung der CSU als Ordnungsgarant in Lateinamerika. Dass die Union sich nach den späteren Kampagnen gegen die »doppelte Staatsbürgerschaft« unter Roland Koch oder den Leitkulturdebatten von Friedrich Merz (beide CDU) überhaupt für die »Willkommenskultur« öffnen konnte, kommt einer innerparteilichen Kulturrevolution gleich.
Merz und Koch sind längst Teil der Parteigeschichte, der rechte Rand der Partei bleibt unter Merkel auf den ersten Blick überschaubar. Der »Konservative Aufbruch«, eine selbsternannte »CSU-Basisbewegung«, bleibt auf wenige Provinzfürsten und Lokalpolitiker beschränkt. Mediale Beachtung findet er meist nur in der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit. Der »Berliner Kreis«, 2012 als konservatives Forum in der Union an die Öffentlichkeit getreten, spielt als Strömung kaum eine Rolle. Selbst exponierte Mitglieder wie Wolfgang Bosbach finden in den Talkshows mehr Gehör als im Kanzleramt, Erika Steinbach sorgt lediglich mit ihren über Twitter verbreiteten Provokationen für kalkulierte Aufregung. Alte Parteigranden des hessischen Stahlhelmflügels der Union wie Alexander Gauland haben die Wirkungsmacht des »Berliner Kreises« nüchtern eingeschätzt und sich früh der AfD angeschlossen.
Auch das »Studienzentrum Weikersheim«, einst die führende Denkfabrik der Unionsrechten, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Dort tummelt sich weiter das Personal, das für eine Allianz mit der extremen Rechten plädiert. Das Präsidium wird von dem Philosophen Harald Seubert geführt, der in der neurechten Zeitschrift Sezession veröffentlicht. Vizepräsident ist der Staatsrechtler Karl-Albrecht Schachtschneider, der zusammen mit Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer und dem rechten Publizisten Götz Kubitschek im Namen der »Bürgerinitiative ›Ein Prozent für Deutschland‹« eine Verfassungsbeschwerde »gegen die Politik der Masseneinwanderung« angekündigt hat. Kooperationen dieser Art hätten in den neunziger Jahren noch für einen Skandal gesorgt. Heutzutage dagegen wirkt der einst als Scharfmacher kritisierte Innenpolitiker Bosbach wie ein gemäßigter Konservativer.
Gerade den deutschen Konservativen hat Angela Merkel die Vertrauensfrage gestellt. Ihr Plädoyer für eine »europäische Lösung« in der »Flüchtlingskrise« stößt auf einen heftigen Widerstand. Zwar hat die Unionsrechte unter Merkel an Einfluss verloren – doch der Aufschrei wird schriller. Im Januar polemisierte beispielsweise der Staatsrechtler Josef Isensee auf dem Treffen der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth im Tonfall der Jungen Freiheit gegen die »Meinungszensur der Gutmenschen« und das »Denunziantenwesen der Political Correctness«. Die christsozialen Abgeordneten werden gewusst haben, wem genau Isensee »Migrationskitsch« vorwirft.
Ironischerweise etabliert sich nach der Ausrufung des postideologischen Zeitalters und der Verabschiedung von der Links-rechts-Unterscheidung eine neue Rechte mit bizarren Querfronten. Gleichzeitig surrt ein deutschnationales Raunen durch die Feuilletons. Der Hauptfeind der neuen Untergangspropheten steht im eigenen Land und heißt – Angela Merkel. Wurde früher von konservativen Intellektuellen wie Karl Heinz Bohrer über die angsterfüllten und provinziellen »Mainzelmännchen« der Bonner Republik gespottet, wird heute die »Selbstzerstörung« der Nation beschworen. Merkel reagiert auf diese Stimmung in der ihr eigenen Art. Die FAZ zitiert nicht ohne Ironie den von vielen erwarteten Satz der Kanzlerin zur Krise, der einen Sonderplatz in der Geschichte der politischen Rhetorik einnehmen wird: »Wir erwarten, dass, wenn wieder Frieden in Syrien ist und wenn der IS im Irak besiegt ist, dass ihr auch wieder, mit dem Wissen, was ihr jetzt bei uns bekommen habt, in eure Heimat zurückgeht.« Ihre Losung »Wir schaffen das« wirkt dagegen wie ein griffiger Werbeslogan.
Dass die Austeritätspolitikerin »Madame Non« Merkel führenden Politikern und Professoren gegenwärtig als antideutsche Linke gilt, illus­triert den Rechtsruck der Republik. Eine radikalisierte AfD prägt die politische Debatte. Und in der Union wird um eine Neupositionierung gekämpft. Horst Seehofer gilt in diesem aufgeheizten Kampf der Konservativen als staatstragender Rebell gegen eine Kanzlerin, die von manchen in der Union kaum noch als die eigene betrachtet wird.