Paula Barrios über den ersten Vergewaltigungsprozess gegen Militärangehörige in Guatemala

»Aus Opfern wurden Frauen, die ihre Rechte einklagen«

Die Anwältin und Menschenrechtlerin Paula Barrios hat 2008 in Guatemala die Nichtregierungsorganisation »Mujeres Transformando el Mundo« (Frauen verändern die Welt) gegründet. Sie berät mit ihrem Team vor allem indigene Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, und begleitet sie juristisch. Die Feministin ist 48 Jahre alt und setzt sich juristisch für Frauenrechte ein.

Am Freitag ist der Prozess Sepur Zarco mit der Urteilsverkündung von Richterin Yassmín Barrios zu Ende gegangen. Oberst Esteelmer Francisco Reyes Girón wurde zu 30 Jahren Haft wegen Sklaverei und zu 90 Jahren Haft wegen Mordes in drei Fällen verurteilt. Der Wehrbeauftragte Heriberto Valdez Asij wurde zu insgesamt 240 Jahren Haft verurteilt, weil er für das gewaltsame Verschwindenlassen von sieben Männern verantwortlich war und obendrein für die Versklavung von 15 Frauen. Welche Tragweite hatte dieser erste Vergewaltigungsprozess gegen Militärangehörige in der Bürgerkriegszeit für Guatemala?
Er ist ein Meilenstein in der guatemaltekischen Justiz. Die Frauen wurden stigmatisiert und bedroht und haben auch heute noch Angst, in ihre Gemeinden zurückzukehren, weil es dort auch Anhänger dieser Militärs gibt. Überaus wichtig ist auch, dass sie nun wissen, dass es nicht ihre Schuld war. Als Gruppe haben sie es geschafft, Gerechtigkeit einzufordern.
War es schwierig, die Frauen zur Aussage zu ermutigen? Sie haben 2010 erstmals die Aussagen der Frauen aufgenommen und begonnen, den Kontext zu recherchieren.
Nein, aber insgesamt war alles recht kompliziert – wir haben sechs Jahre gebraucht, um den Prozess vorzubereiten. Die Basis lieferten die Aussagen der Frauen, die wir 2010 in einem größeren Rahmen von mehr als 100 Frauen aufnahmen, die im Bürgerkrieg Opfer von sexueller Gewalt geworden waren. Danach haben wir uns auf die 15 Frauen von Sepur Zarco konzentriert, weil dieser Fall den Zeugenaussagen zufolge eindeutig ist. Dazu war es nötig, erst einmal Vertrauen aufzubauen – denn wir sprechen nicht ihre Sprache, sie sind Analphabetinnen, bitterarm und kommen aus einer anderen Kultur.
Wir haben ihnen erklärt, wie ein Prozess funktioniert, ihnen die Aufgaben von Richtern, Verteidigung, Staatsanwaltschaft und ihren Anwälten erklärt, sie auf die Teilnahme vorbereiten müssen. Wir haben sie langsam mit dem Prozess und den Abläufen vertraut gemacht. So wurden aus den Opfern Frauen, die ihre Rechte einklagen. Das ist ein fundamentaler Wandel und sehr wichtig für die Frauen und auch ein Erfolg für die Anwälte und das Team dahinter.
Wie lief der Prozess ab?
In den ersten 14 Tagen hatten wir die Chance, unsere Beweise, unsere Gutachter und unsere Zeugen zu präsentieren, und wir denken, dass unsere Prozessstrategie aufgegangen ist. Wir verfolgen eine Gender-Perspektive, die auch auf den kulturellen Hintergrund der Opfer eingeht. Das Gutachten der Sozialanthropologin Rita Laura Segato basierte zum Beispiel auf feministischer Theorie und der Kultur der Maya. Das ist etwas vollkommen Neues in einem derartigen Prozess und wir haben auch die Argumentationslinie verfolgt, dass es sich um typische Kriegsverbrechen mit klar zu benennenden Verantwortlichen handelt.
Sie betreten mit dieser Prozessstrategie also juristisches Neuland?
Genau, und Experten wie der Soziologe Héctor Rosada haben bestätigt, dass sexuelle Gewalt Teil der Militärdoktrin war, die von der guatemaltekischen Armee im Bürgerkrieg verfolgt wurde. Die zivile und vor allem die indigene Bevölkerung wurde als Bedrohung wahrgenommen und dem Feind zugerechnet, also der Guerilla. Die sexuelle Gewalt war Teil der Aufstandsbekämpfungsstrategie, ein weiteres zentrales Element in diesem Fall war der Konflikt um das Land.
Die Männer dieser Frauen hatten Landtitel für das von ihnen genutzte Land eingefordert. War das ihr einziges Vergehen?
Ja, das war ihr Vergehen und danach wurden sie mit militärischer Gewalt zum Schweigen gebracht. Sie wurden brutal massakriert und verscharrt, ihre Frauen unter militärische Kontrolle gebracht.
In dem Prozess wurden erstmals Kisten der Forensiker mit Relikten aus Gräbern geöffnet. Warum?
Ja, das ist etwas Neues, denn normalerweise sind es die Fachleute, die über die Details berichten. Geplant war, das Institut für forensische Anthropologie in Guatemala-Stadt zu besuchen, aber das hat das Gericht abgelehnt und so sind einzelne Kartons mit den Habseligkeiten von Toten geöffnet worden. Allerdings wurde nur Kleidung gezeigt, keine Knochen, das ist ein Unterschied. Ich denke, dass dieses Vorgehen den Guatemalteken zumindest einen Einblick in die Arbeit der Forensiker verschafft hat.
Reichte das Gutachten nicht aus?
Eigentlich schon, aber das Justizministerium hatte es angeordnet. Es ist eine schwierige Frage, ob man die Überreste von Toten und deren Habseligkeiten in der Öffentlichkeit zeigt, aber auf der anderen Seite sind wir so viel Gewalt gewöhnt, so viele Fotos von Morden et cetera, dass die Ausstellung dieser Relikte kaum jemanden wirklich erschüttert. Oft werden auch Film- und Fotoaufnahmen angezweifelt und die Verteidigung sprach in diesem Prozess von einem normalen Friedhof. Wir haben ein Interesse, diese Darstellung zu widerlegen.
War der Angeklagte Heriberto Valdez Asij ein typischer comisionado militar? Welche Rolle hat ein solcher Wehrbeauftragter?
Ein comisionado militar ist in nahezu allen Fällen ein Vertrauter der Großgrundbesitzer der Region und ein Bindeglied zur Armee. Er war eine Führungsfigur mit Einfluss und Weisungsbefugnissen, die sowohl Spanisch als auch die vor Ort dominierende indigene Sprache beherrschte. Die Postition entstand Ende der fünfziger Jahre. Heriberto Valdez Asij war am Massaker von Panzós 1978 beteiligt – ein typisches Beispiel. Er war schon 1978 ein Vertrauensmann des Bürgermeisters von Panzós, hatte ökonomische Interessen in der Region und war bis zu seiner Festnahme für die lokale Polizei tätig. Er war weiß, sein Spitzname war »El Canche«, der Blonde, er war sehr groß für die Region, somit prädestiniert als Patrón, und sprach zudem die Maya-Sprache.
Gab es mehr Fälle von sexueller Versklavung während des Bürgerkriegs in Guatemala oder war Sepur Zarco ein Einzelfall?
Nein, Sepur Zarco war kein Einzelfall, weder hinsichtlich des Terrors gegen die Zivilbevölkerung noch hinsichtlich der sexuellen Gewalt. Wir haben ähnliche Berichte aus dem Kommandostützpunkt in Rabinal, aus der Region Ixil und es gibt weitere Berichte aus der Region von Sepur Zarco – nur 80 Kilometer entfernt in San Lucas. Ob es eine Systematik gab, können wir nicht mit letzter Klarheit sagen, aber derartige Fälle sind in großer Häufigkeit vorgekommen. Sepur Zarco war ein Kriegsverbrechen.
Wie wird in Guatemala mit sexueller Gewalt umgegangen?
Es gibt eine Kultur des Schweigens und der Straflosigkeit in Guatemala, unter der wir leiden. Die sexuelle Gewalt gegen Frauen ist bis heute ein Phänomen in Guatemala, das eine direkte Folge der Kriegsverbrechen ist, denn jedes Jahr werden 600 bis 700 Frauen in Guatemala ermordet. Zudem werden jedes Jahr 15 000 Mädchen zwischen zwölf und 16 Jahren schwanger, viele von ihnen nach einer Vergewaltigung. Guatemala ist ein patriarchales Land, der Machismo ist omnipräsent und oft wird den Frauen die Verantwortung für ihre Vergewaltigung zugeschoben. Deswegen ist der Prozess so wichtig gewesen, es geht darum, ein Zeichen zu setzen. Die gesellschaftliche Diskussion über Gewalt gegen Frauen hat einen mächtigen Schub erhalten. Sexuelle Gewalt ist zum Thema geworden und dazu hat ein Oberst Reyes beigetragen, weil er sich hier vor Gericht noch über die Frauen lustig gemacht hat.
Ist dieser Prozess aus der Perspektive der Frauen der eigentliche Jahrhundertprozess?
Ja, definitiv, denn mit diesem Prozess ist ein Präzedenzfall geschaffen worden – er öffnet die Tür für weitere Vergewaltigungsprozesse und wir als Team von Anwälten haben weitere Fälle in Vorbereitung. Allein im Wahrheitsbericht der Kirche sind mehr als 1 000 Fälle von Vergewaltigung aufgeführt und damals ist nicht systematisch recherchiert worden – wir stehen ganz am Anfang.
Ist das Urteil fair?
Eine faire Strafe wird es nicht geben, denn es sind Männer in den Fall involviert, die nicht vor Gericht stehen. Überaus wichtig ist, dass hier erstmals die Zeugenaussage als einziger Beweis angeführt wurde – darauf basierte auch das Urteil und das ist ein enormer Schritt für Guatemala, denn der wichtigste Beweis in Guatemala in einem Vergewaltigungsfall ist die ärztliche Untersuchung. Wir haben diesen juristischen Standard geändert – einen neuen Standard gesetzt und einen Präzedenzfall geschaffen, dass es auch anders geht.
Nach dem Urteil wird es noch eine Verhandlung über die Wiedergutmachung geben. Was erwarten Sie?
Das Gesetz schreibt mehrere Elemente vor: die finanzielle Wiedergutmachung, die eventuelle Rückerstattung von Eigentum, die Rehabilitierung der Opfer, Garantien, dass sich so etwas nie wiederholen darf. Gerade der letzte Punkt ist für die Frauen sehr wichtig, denn sie wollen nicht, dass ihren Kindern und Enkeln Ähnliches widerfährt, und dabei geht es dann auch um die Bekämpfung der Ursachen. Wichtig ist den Frauen aber auch, dass sie das Land zurückerhalten, das sie früher mit ihren Männern bestellt haben. Das ist ein wichtiger Punkt. Sie wollen ein Leben in Würde und dabei ist Landbesitz eine wichtige Komponente, genauso wie die historische Wahrheit. Ein weiterer Punkt ist, dass die Justiz schneller und effektiver arbeiten muss, um die Fälle weiterer Frauen verhandeln zu können. Dafür benötigen wir den politischen Willen, den Rückhalt der Institutionen.