Die Landtagswahlen verändern das deutsche Parteiensystem

Deutschland passt sich an

Mit dem Erfolg der AfD nähert sich das deutsche Parteiensystem dem in anderen Ländern Westeuropas an. Die Verschiebung des politischen Diskurses nach rechts im Zuge der »Flüchtlingskrise« ist die neue europäische Normalität.

Was für ein Desaster. Die Wahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben das Parteiensystem in der Republik verändert. Die beunruhigende vermeintliche europäische Normalität hält Einzug in Deutschland. Während tagtäglich Flüchtlingsheime brennen, strömen die geistigen Brandstifter mit Rekordergebnissen in die Parlamente. Mit zweistelligen Wahlergebnissen ist die rechtspopulistische »Alternative für Deutschland« (AfD) in zwei Bundesländern zur drittstärksten und in einem sogar zur zweitstärksten Fraktion geworden. Ein ausstrahlungskräftiges linkes Gegengewicht ist nicht in Sicht. Die Bundesvorsitzende der Linkspartei Katja Kipping, bezeichnete die Wahlergebnisse als Resultat »eines Klimas des gesellschaftlichen Rechtsrucks und der Entsolidarisierung«. Da liegt sie richtig.
Die Petry-Gauland-Höcke-Truppe ist dabei, in der Bundesrepublik den Platz einzunehmen, den Parteien wie Dansk Folkeparti, FPÖ, Partij voor de Vrijheid, Sverigedemokraterna, Perussuomalaiset und Jobbik in den parlamentarischen Systemen ihrer Länder schon länger besetzt halten. Das verschiebt den deutschen Diskurs weiter nach rechts. Zumal alle Parteien an die AfD verloren haben: Von den Wählern, die diesmal die Rechtsausleger wählten, entschieden sich vor fünf Jahren in den drei Bundesländer zusammen noch 278 000 für die CDU, 147 000 für die SPD, 78 000 für die Grünen, 62 000 für die Linkspartei und 32 000 für die FDP. Bei den Grünen stammen die meisten aus Baden-Württemberg, bei der Linkspartei aus Sachsen-Anhalt. Dort, wo Grüne und Linkspartei mehr als Milieu- oder Szenepartei sind, haben sie in der Vergangenheit also auch eine Wählerklientel angezogen, die offen für rechte Positionen und nun im Zuge der hysterischen Auseinander­setzung um die deutsche Flüchtlingspolitik weitergezogen ist.
»Die Verlockungen des Populismus und Völkischen machen allen Parteien zu schaffen, auch der Linkspartei«, analysieren Benjamin Hoff, Horst Kahrs und Andreas Stahl in ihrer Wahlauswertung für die Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die von der Partei vertretene Position »offene Grenzen für Menschen in Not« hätten zwar auch früher schon etliche Anhänger nicht geteilt, aber das sei lange nicht wahlentscheidend gewesen. Das habe sich geändert, »seit eine politische Partei die Flüchtlingsfrage als Frage der sozialen Gerechtigkeit in Gestalt von Etabliertenvorrechten deutet«.
Wie sich die Parteienlandschaft verändert hat, lässt sich anhand eines Rechenmodells illustrieren, auch wenn es aufgrund der Nichtberücksichtigung personenbedingter Wahlentscheidungen, also des »Kretschmann-« und des »Dreyer-Effekts«, eine sichtbare Verzerrung enthält. Addiert man die abgegebenen gültigen Stimmen aller drei Landtagswahlen, ergibt sich folgendes Bild: Die CDU kommt auf 29, die SPD auf nur 18 und die Grünen kommen auf 21 Prozent. Die AfD landet bei 16 Prozent und die FDP bei sieben Prozent. Der Linkspartei verblieben gerademal noch fünf Prozent. Düstere Aussichten für die Bundestagswahl im kommenden Jahr. Vor den Wahlen gab es rot-grüne Mehrheiten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, in Sachsen-Anhalt wäre rechnerisch Rot-Rot-Grün möglich gewesen. Jetzt nicht mehr. »Weil eine solidarische Antwort auf die soziale Frage hierzulande seit Jahrzehnten nicht gegeben wurde, glaubt ein stark gewachsener Teil der Wähler, sie könnten vielleicht von einer nationalistisch-ethnisierenden Variante einer Antwort darauf profitieren«, schreibt Tom Strohschneider im Neuen Deutschland über den »Verlust an Glaubwürdigkeit des rot-rot-grünen Lagers«.
Die Wahlergebnisse sind in gewisser Hinsicht paradox. Ob der Grüne Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg, die Sozialdemokratin Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz oder selbst Reiner Haseloff von der CDU, dessen Partei in Sachsen-Anhalt zwar prozentual leicht verloren, an absoluten Stimmen jedoch hinzugewonnen hat: Bei den Wahlen am Sonntag wurden alle drei Ministerpräsidenten erneut mit einem, wie es so schön heißt, Regierungsauftrag ausgestattet. Doch ihre Koalitionen wurden krachend abgewählt. Für die SPD hat es sich nicht ausgezahlt, den Grünen und der CDU als Juniorpartnerin zu dienen: Sowohl in Baden-Württemberg als auch in Sachsen-Anhalt fuhr die Partei historisch schlechte Ergebnisse knapp über zehn Prozent ein. Die sachsen-anhaltinische SPD-Landesvorsitzende Katrin Budde legte nach der Wahl alle Ämter nieder. Den Grünen erging es als kleinem Koalitionspartner der SPD in Rheinland-Pfalz nicht besser. Auch sie verloren mehr als zehn Prozentpunkte und schafften mit 5,3 Prozent nur knapp den Wiedereinzug ins Parlament.
Zum Trend nach rechts gehört auch die kleine Wiederauferstehung der FDP. Sie legte bei allen drei Wahlen deutlich zu, verfehlte zwar mit 4,9 Prozent denkbar knapp den Parlamentseinzug in Sachsen-Anhalt, in Rheinland-Pfalz sitzt sie jedoch mit 6,2 Prozent wieder im Landtag und in Baden-Württemberg steigerte sie sich auf 8,3 Prozent. Gelungen ist ihr das mit einer Positionierung rechts der Merkel-CDU. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner und seine Wahlkämpfer hätten »es geschafft, sich als seriöse Alternative im bürgerlichen Lager für jene Wähler anzubieten, die Angela Merkels Flüchtlingspolitik der offenen Grenzen für falsch halten und eine Korrektur wünschen«, freut sich die FAZ. »Auch die fast reumütige Rückkehr vieler einstiger Unterstützer aus Wirtschaft und Unternehmertum, denen die CDU längst als schwarze Version der Sozialdemokratie vorkommt, hat zu dem Wahlerfolg beigetragen.« Demnächst könnte die FDP nach längerer Pause erstmals wieder in einer Landesregierung sitzen: In Rheinland-Pfalz strebt Malu Dreyer eine »Ampelkoalition« an. »Ich wünsche mir, dass diese Dreier-Konstellation zustande kommt«, sagte sie am Montag. Die Grünen haben bereits ihre Bereitschaft zu einer rot-gelb-grünen Koali­tion erklärt.
Ohnehin scheinen die Grünen zu allem bereit zu sein, solange sie nur mitregieren dürfen. In Sachsen-Anhalt will sie der konservative CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff als zweiten Koalitionspartner neben der SPD gewinnen. »Wir werden eine Regierung der Mitte bilden, und der Wähler hat uns ins Stammbuch geschrieben, wie diese Mitte derzeit auszusehen hat«, sagte Haseloff am Montag. Schwarz-Rot-Grün wird von Staatsflaggenfans auch als Kenia-Koalition bezeichnet. Die SPD ist willig, die Grünen geben sich offen. »Die CDU ist größte Fraktion und muss Angebote machen, die demokratische Parteien nicht ablehnen können«, sagte die grüne Landesvorsitzende Cornelia Lüddemann. Die Gespräche über die noch nie überregional erprobte Koalition begannen am Mittwoch. Am selben Tag ging auch der grüne Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württemberg auf Juniorpartnersuche. Hier stehen die Zeichen auf grün-schwarz.
Nichts mit irgendwelchen Regierungsbildungen zu tun hat die Linkspartei, obwohl sie sich das ganz anders vorgestellt hatte. Bis zum Herbst vergangenen Jahres konnte sich ihr sachsen-anhaltinischer Spitzenkandidat Wulf Gallert noch Chancen ausrechnen, im dritten Anlauf in die Staatskanzlei einzuziehen. In den Umfragen schaffte es die Linkspartei auf einen Spitzenwert von 26 Prozent, es reichte seinerzeit für eine rot-rot-grüne Mehrheit. Dann kam die sogenannte Flüchtlingskrise und ein peinlicher Wahlkampf, in dem sich der 52jährige unter anderem als »Frauenversteher« plakatieren ließ. Trotzdem zeigte sich Gallert im Wahllokal unverdrossen zuversichtlich. »Wir haben gemerkt, wie der Trend in den letzten vierzehn Tagen wirklich nach oben gegangen ist, und wir sind sehr optimistisch, dass das Ergebnis für uns ein gutes wird«, flunkerte er in die Kameras. Tatsächlich schnitt seine Partei mit 16,3 Prozent noch schlechter ab, als es die Demoskopen prognostiziert hatten. Nur 1990 gab es für die damalige PDS weniger. Am Montag zog Gallert die Konsequenz und erklärte, nicht wieder für den Fraktionsvorsitz zu kandidieren.
Aber wenigstens ist die Linkspartei in Sachsen-Anhalt im Landtag. Im Südwesten der Republik ist ihr das weiterhin nicht vergönnt, obwohl sie in Baden-Württemberg ihren Bundesvorsitzenden Bernd Riexinger kandidieren ließ und in Rheinland-Pfalz Plakate mit den Konterfeis von Helmut Kohl und Papst Franziskus warb. Mit 2,9 und 2,8 Prozent rangiert sie dort nur knapp über der Wahrnehmungsgrenze.
Die Linkspartei ist die große Wahlverliererin. Sie sei mit ihren sozialen und solidarischen Positionen »nicht durchgedrungen«, konstatierte Riexinger. Jetzt droht eine unangenehme Strategiediskussion. Sowohl in der Flüchtlings- als auch der Euro-Politik versuchen die Bundestagsfraktions­vorsitzende Sahra Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Saarland, schon seit einiger Zeit, die Linkspartei auf einen linksnationalis­tischen Kurs zu bringen. Allerdings hält die Parteiführung dagegen. Offensiv verteidigte Riexingers Co-Vorsitzende Kipping die bisherige Linie. »Es war uns bewusst, dass wir mit unserem Kurs für Weltoffenheit und Solidarität Stimmen verlieren würden«, ­sagte Kipping. »Wenn wir auf AfD light gemacht hätten, müssten wir noch über ganz andere Wahlergebnisse reden.« Außerdem hätte die Linkspartei »auch eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und im Übrigen auch gegenüber der Geschichte«.