Mittel- und südamerikanische Musikerinnen kämpfen gegen Sexismus

Rappen gegen den Machismo

In Mexiko und anderen Ländern Mittel- und Südamerikas lehnen sich Rapperinnen wie Audry Funk, Rebeca Lane und die Mitglieder der Crew Batallones Femeninos gegen tradierte patriarchale Strukturen und Gewalt an Frauen auf. In ihren Texten fordern sie ihre Rechte ein und nehmen das Establishment in sarkastischer Weise aufs Korn.

»Wir haben viel Spaß dabei gehabt, das Video zu drehen«, erzählt Audry Funk und zieht die Augenbrauen in die Höhe. Zu sehen ist die Rapperin aus Mexikos Autostadt Puebla in der Rolle der jungen, sympathischen Frau, die geduldig in der Küche steht. Plötzlich fragt eine Stimme aus dem Off provokant, ob sie nicht Lust hätte, HipHop zu machen. Mit leuchtenden Augen nickt die junge Frau. Doch dann spottet die Stimme aus dem Off nur noch hämisch, dass ihr Platz nun einmal in der Küche sei und nicht am Mikrophon. Da platzt Audry Funk der Kragen: Sie wirft die Küchenhandschuhe auf den Boden, zeigt den Mittelfinger, reißt sich die Perücke vom Kopf und feuert den Haushaltskittel gekonnt an den Haken.
Lange Dreadlocks kommen zum Vorschein, sie wirft sich in Trainingsjacke und Chucks und Audry Funk tritt in Aktion. Der 28jährigen ist mit »Rompiendo Esquemas« (Muster aufbrechen) in Mexiko ein Achtungserfolg gelungen. Der Song räumt mit den Macho-Strukturen im mexikanischen HipHop auf, das Video wurde bereits mehr als 100 000 Mal angeklickt. Für die diplomierte Psychologin ist es Ehrensache, dass sie nicht nur bei »Rap contra el Racismo« (Rap gegen Rassismus) mit von der Partie ist, sondern auch bei der gerade in Mittelamerika angelaufenen Tour »Somos Guerreras« (Wir sind Kriegerinnen), an der weitere Rapperinnen teilnehmen.
»Während sich der Rap gegen den Rassismus, gegen den Umgang mit den Migranten auf dem Weg in die USA richtet, die überfallen, ausgeplündert, oft vergewaltigt und teilweise als Arbeitssklaven ausgebeutet werden, ist unsere ›Kriegerinnen-Tour‹ ein Plädoyer für Frauenrechte im Rap und darüber hinaus«, erklärt Audry Funk mit ihrer hellen, melodischen Stimme. Sie rappt seit 13 Jahren, hat sich in Puebla als engagierte Sozialarbeiterin einen Ruf erarbeitet, ist Feministin und tritt offensiv gegen den dominanten Machismo in Mexiko und anderen Ländern ein. »Deshalb sind wir jetzt in Nicaragua, Honduras, El Salvador, Mexiko sowie Costa Rica und Guatemala unterwegs«, sagt sie. Aus dem tiefsten Underground hat sie sich peu á peu nach oben gekämpft und ist hin und wieder auch in Mexiko-Stadt zu sehen. Verantwortlich dafür sind ein paar Kontakte, aber vor allem die Tatsache, dass Audry Funk rappen und singen kann und langsam aber sicher ihr Publikum erobert.
Gendervibes
Rap ist in Mexiko eine Männerdomäne, Frauen erobern sich erst ihre Nische. Audry Funk gehört zum Netzwerk Mujeres Trabajando (arbeitende Frauen), das sich für einen alternativen Kulturbegriff und gegen den Machismo in Mexiko engagiert. Folgerichtig setzt sich Audry Funk in und um Puebla in der Jugendarbeit ein. »Mir macht es Spaß, mit Jugendlichen zu arbeiten. Das gefällt mir besser, als auf wissenschaftlichen Konferenzen zu hocken und neue Konzepte zu diskutieren«, erklärt sie. Die Rapperin stammt aus einfachen Verhältnissen, erhielt aber von ihrem Umfeld viel Unterstützung. Aufgewachsen ist sie mit kritischem Rap aus den USA, aber auch mit mexikanischen HipHop-Bands wie Control Machete. »Mir haben immer die Sozialwissenschaften und das soziale Engagement gefallen und deshalb gebe ich weiter, was ich selbst gelernt habe: rappen, komponieren, performen«, erzählt sie. Dazu gehört es auch, Netzwerke aufzubauen und Kontakte in Mexiko und anderen Ländern zu knüpfen. Befreundet ist sie etwa mit der Musikerin Roja en Sí aus Ecuador und mit der Rapperin Rebeca Lane aus Guatemala. Letztere beteiligt sich auch an der bis weit in den März laufenden Tour Somos Guerreras. Ziel ist es, kritischen HipHop und die Vernetzung von Rapperinnen in der Region voranzutreiben.
In Mexiko gibt es bereits eine feministische Subkultur, die sich immer mehr Gehör verschafft. Neben Mujeres Trabajando gibt es etwa das Netzwerk Batallones Femeninos aus Ciudad Juárez. Dessen Musikerinnen rappen gegen ein Geschlechterbild, in dem Frauen allzu oft als Ware angesehen werden, verurteilen die Frauenmorde in Ciudad Juárez und treten für einen gesellschaftlichen Wandel in Mexiko ein. »Es herrscht eine totale Straflosigkeit in Mexiko. Männer verdrängen, vergessen, ignorieren diese unzähligen Morde in Ciudad Juárez und anderswo«, kritisiert Susana Molina. Sie ist eine von sechs jungen Frauen, die bei Batallones Femeninos rappen und sich für die »Ciudad Futuro« (Stadt der Zukunft) engagieren, wo sich Frauen frei bewegen können. Genau das ist in Ciudad Juárez nur bedingt der Fall, wie Hunderte Morde an Frauen in den vergangenen 20 Jahren verdeutlichen. Diese sind ein Thema für die Rapperinnen aus der direkt an der Grenze zu El Paso gelegenen Stadt mit 1,5 Millionen Einwohnern. Susana Molina hat als Obeja Negra (Schwarzes Schaf) mit klugen Texten, Vorträgen und Performances auf sich aufmerksam gemacht. In der Hauptstadt Mexiko-Stadt war sie an der Autonomen Universität UNAM genauso zu hören wie weiter im Süden des Landes.
Gewalttätige Realität
Rapperinnen machen auch in Mexiko-Stadt auf sich aufmerksam. Dort hätten Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen ein anderes Niveau als in Ciudad Juárez, Michoacán oder Chiapas, so Jacqueline L’Hoist Tapia. Sie ist die Antidiskriminierungsbeauftragte der mexikanischen Hauptstadt, leitet den »Rat zur Vorbeugung und zur Eliminierung der Diskriminierung in Mexiko-Stadt« und setzt sich mit einem geringen Etat und einem kleinen Team gegen alle Formen der Diskriminierung ein: gegen Frauen, Angehörige der indigenen Minderheiten und homo-, bi- oder transsexuelle Menschen. Das ist alles andere als einfach in einem Land, das eher an Toleranz einbüßt als gewinnt. Frauenmorde gab es in den vergangenen Jahren auch vermehrt im Zentrum von Mexiko. Erst Mitte Februar hat Papst Franziskus bei seiner Visite in Ecatepec auf die mehr als 600 Fälle von verschwundenen und höchstwahrscheinlich ermordeten Mädchen und Frauen seit 2013 hingewiesen.
»Das sind unsere Realitäten«, erklärt Verónica Caporal. Sie ist Expertin für Frauenhandel und Prostitution und arbeitet für mexikanische Ministerien und Forschungseinrichtungen, ist aber auch für internationale Nichtregierungsorganisationen im Einsatz. Immer wieder ist sie zwischen der Nordgrenze in problematischen Städten wie Ciudad Juárez und Tijuana und der Südgrenze in Städten wie San Cristóbal de las Casas und Tapachula unterwegs. Überall dort sind Prostitution und Frauenhandel verbreitet. »Das hat Gründe, in Mexiko wird danach aber kaum gefragt. So dreht sich die Spirale immer weiter«, sagt die in Mexiko-Stadt lebende Wissenschaftlerin. Sie hat wie viele linke Mexikanerinnen und Mexikaner mehr vom Papstbesuch erwartet. Er habe zwar viele Probleme Mexikos angesprochen, aber deren Ursachen nicht benannt. »Es bringt wenig, über Frauenmorde in Ciudad Juárez, Ecatepec, Oaxaca oder Chiapas zu sprechen und sie zu verurteilen, wenn man die Gender-Frage nicht stellt«, kritisiert Caporal.
Genau das tun Musikerinnen wie Audry Funk, Rebeca Lane und die Mitglieder von Batallones Femeninos. »Así era ella, joven y bella« (So war sie, schön und jung) heißt es in einem Song von Batallones Femeninos zum 15. September, dem Nationalfeiertag – ein frontaler Angriff auf die nationale Feierstimmung. Das Lied handelt von den Frauen und Mädchen, die brutal ermordet wurden, nachdem die meisten vergewaltigt worden waren, teilweise vor laufender Kamera. Mit ihren Songs nehmen die sechs Rapperinnen von Batallones Femeninos die Verhältnisse aufs Korn und benennen Verantwortlichkeiten.
Verbindende Protestkultur
Das kommt an und auch in Mexiko-Stadt haben sich kritische Rapper zusammengetan, um gemeinsam das Video »Protesta« einzuspielen, woran mehr als ein Dutzend Bands und Künstler mitgewirkt haben. In Szene gesetzt hat es der Video- und Plakatkünstler Gran OM, der es auch aus eigener Tasche bezahlt hat. »Protesta« ist ein klingender Appell, sich gegen ein zutiefst korruptes Establishment aufzulehnen und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das Video kursiert in den sozialen Netzwerken und ist mehr als 100 000 Mal angeklickt worden.
Deutlich weniger Klicks hat bisher noch das Video »Devuelvanmelas« (Bringt sie mir zurück) der indigenen Rapperin Mare Advertencia Lirika aus Oaxaca. Sie hat ein Stück über die zahllosen Verschwundenen gemacht, Frauen wie Männer, die landesweit gesucht werden und oft nur tot gefunden werden. Das sind Themen, die Gran OM alias Omar Insunza immer wieder aufgreift, weil er die politischen Verhältnisse in Mexiko grundlegend kritisiert. »Ich bin direkt nach dem Bekanntwerden des Verschwindens der 43 Studenten aus Ayotzinapa dorthin gefahren und habe angefangen, ein Video zu drehen, das ich später mit Lengualerta vertont habe«, erzählt er.
Lengualerta ist ein Dancehall-Sänger, mit dem Gran OM regelmäßig zusammenarbeitet. Auch für Audry Funk hat der Künstler Konzertplakate entworfen. »Vor ein paar Monaten haben wir uns in Mexiko-Stadt getroffen und auch unsere Tour war dabei ein Thema«, sagt sie. Die führt die Rapperinnen in drei Monaten von Costa Rica über Honduras, Nicaragua, Guatemala und El Salvador nach Mexiko. Selbstverständlich auch nach Ciudad Juárez, wo eine Veranstaltung mit Batallones Femeninos auf dem Programm steht. Die HipHop-Crew aus Ciudad Juárez hat Mitte Februar ihr neues Album »Vivo Viva« präsentiert und das Quartett um Audry Funk und Rebeca Lane hat ebenfalls neues Material auf der Tour komponiert. Zwischen dem 7. und dem 13. März waren sie in Ciudad Juárez, dann ging es weiter nach Mexiko-Stadt und zum Schluss nach Merida.
Laute Kritik
Die vier Rapperinnen dokumentieren ihre Tour, um Werbung für kritische Lyrics zu machen. »Wir brauchen Texte, die etwas mit der mexikanischen Realität zu tun haben – der von Frauen«, erklärt Audry Funk. Ihre Mitstreiterinnen sehen das nicht anders. Rebeca Lane, die rappende Soziologin aus Guatemala-Stadt, prangert in ihrem Song »Cumbia de la Memoria« (Cumbia der Erinnerung) die Massaker der Militärangehörigen an und fordert historische Aufklärung. In »Bandera Negra« (Schwarze Flagge) singt sie über feministischen Rap und über das Recht, sich auszudrücken und Flagge zu zeigen. In Guatemala sind das vollkommen neue Töne, denn dort traute sich die Zivilgesellschaft lange Jahre nicht, den Mund aufzumachen. Das hat sich erst mit dem Völkermordprozess gegen den ehemaligen Diktator Efraín Ríos Montt geändert. Rebeca Lane ist eine Stimme des neuen Guatemala.
Sie sei ein Glücksfall für die Frauenbewegung in dem mittelamerikanischen Land, sagt die Menschenrechtsaktivistin Dora Robledo vom mexikanischen Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas in San Cristóbal de las Casas. In Mexiko könne die Frauenbewegung noch ein wenig mehr Drive und Einigkeit gebrauchen. »Wir brauchen eine landesweite Frauenorganisation mit tragfähigen Strukturen, an der der Staat nicht vorbeikommt«, fordert sie. Dort würde sie sofort anfangen zu arbeiten und Veranstaltungen mit Identifikationsfiguren wie Audry Funk, Rebeca Lane oder den Batallones Femeninos machen.
Zur Garde der regionalen Rapperinnen gehören auch Nakury und Nativa aus Costa Rica sowie Roja en Sí aus Ecuador. Sie alle sind aber nicht nur auf HipHop fixiert, zum Repertoire von Audry Funk und Rebeca Lane gehören auch Balladen und ein paar Cumbia-Klänge. Wichtiger als die Beats sind ohnehin die Texte. Auf die hat Audry Funk bei ihren nächsten CD großen Wert gelegt. Sie kommt im Juli heraus, danach geht es noch einmal auf Tour – dann sicherlich auch in den mexikanischen Süden. Der blieb bei der »Somos Guerreras«-Tour diesmal außen vor. Das soll sich ändern, denn in den süd­mexikanischen Bundesstaaten Oaxaca, Chiapas und Guerrero hat sich längst eine Subkultur entwickelt, die Zuspruch von außen genauso gut gebrauchen kann wie die Feministinnen in Ciudad Juárez.