Ein katholischer Apotheker in Berlin kämpft gegen Verhütung

Keine Smarties in Neukölln

Ein katholischer Apotheker in Berlin will Kundinnen die Benutzung von Verhütungsmitteln ausreden. Bei der »Pille danach« ist aber auch die Bundesregierung gegen zu viel Selbstbestimmung.

»Unverschämtheit!« Dieses Wort im Tweet einer Sexarbeiterin über einen inoffiziellen Beipackzettel in der Kondomschachtel löste Anfang April eine unerwartete mediale Aufmerksamkeit aus. Urheber des Zettels, auf dem für »einen verantwortungsvollen Umgang mit Verhütungsmitteln« im Sinne einer »grundsätzlichen Offenheit und Bereitschaft, Kinder zu bekommen« geworben wurde, ist ein bekannter Apotheker in Berlin-Neukölln. Die Undine-Apotheke, idyllisch am Landwehrkanal gelegen, wird von dem Katholiken Andreas Kersten betrieben. Der Tweet der Sexarbeiterin mochte bei manchen nur die erstaunte Frage auslösen, wer denn bloß Kondome in der Apotheke kaufe. Andere reagierten mit einem ungehaltenen »Grrr, der schon wieder«. Der Sprecher des Berliner Erzbistums, Stefan Förner, fand die Idee hingegen »originell« und die »Lebensschützer« von Kaleb e. V., die den Berliner »Marsch für das Leben« mitorganisieren, kommentierten auf ihrer Facebook-Seite: »Hut ab«.
Aber Kersten schiebt nicht nur Zettelchen in Kondompackungen. Auch die Pille gibt es bei ihm nur mit mahnenden Worten. Diese fallen sogar deutlich strenger aus als bei den Präservativen. Der Apotheker ist ausweislich seiner Zettelchen überzeugt, dass »das Leben« mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Alles, was die Einnistung einer befruchteten Eizelle in der Gebärmutter verhindert, ist für ihn bereits eine Abtreibung. In dieser Ansicht stimmt er mit den Lehren seiner Kirche überein, allerdings nicht mit dem deutschen Gesetz, für das eine Schwangerschaft erst mit der vollzogenen Einnistung in der Gebärmutter beginnt. Da Kersten davon ausgeht, dass die Pille diese Einnistung verhindern könne, warnt er vor ihrer abortiven Wirkung. Das Verhütungsmittel stehe dem »unveräußerlichen Lebensrecht jedes Menschen von der Empfängnis an« (Hervorhebung im Original) entgegen, heißt es auf dem hauseigenen Beipackzettel.
Die »Pille danach«, ein Notfallmedikament, das bei fehlgeschlagener Verhütung den Eisprung verzögern kann, verkauft er aus denselben Gründen überhaupt nicht – auch dafür gibt es einen Zettel. Auf diesem ist von einer »Abgabeverweigerung aus Gewissensgründen« zu lesen und von der »schweren Last der Entscheidung« über die Abgabe der Pille danach. Diese Entscheidung hat er sich aber offensichtlich leicht gemacht, es gibt diese Pille bei ihm schließlich nicht. Nun ist die anerkannte und nachgewiesene Wirkung der Notfallverhütung zeitabhängig. Ist der Eisprung einmal erfolgt, hilft die Einnahme nicht mehr. Zwar liegen zwischen der Undine-Apotheke und der nächsten anderen gerade mal 400 Meter, auf denen schon nichts passieren wird. Auf dem Land ist die Apothekendichte jedoch deutlich geringer, die Probleme, die durch solch »gewissenhafte« Apotheker entstehen können, sind dort also deutlich größer.
Die Apothekerkammer Berlin kam in einer Stellungnahme zu dem Schluss, dass Apotheker nicht aus religiösen oder weltanschaulichen Gründen selbst entscheiden können, welche Arzneimittel sie ausgeben. Aus der Apothekenbetriebsordnung sei eine Verpflichtung abzuleiten, den Verschreibungen eines Arztes nachzukommen und sich religiös und weltanschaulich zu mäßigen. Unternommen hat sie gegen die Verweigerungshaltung des Apothekers aber nichts. Außerdem ist die Pille danach seit März vorigen Jahres rezeptfrei in Apotheken erhältlich. Die Europäische Kommission hatte am 7. Januar 2015 beschlossen, das Präparat »Ellaone« mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat europaweit rezeptfrei zuzulassen. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat daraufhin widerwillig die Arzneimittelverordnung geändert und auch den Wirkstoff Levonorgestrel von der Rezeptpflicht befreit. Seit März 2015 ist die Verordnung entsprechend geändert.
Große Diskussionen gab es darüber, ob die ärztliche Beratung durch die des Apothekers ersetzt werden könne und verhütungsfaule junge Frauen die Pille danach nicht einfach »wie Smarties« einwerfen würden. Vor allem die ärztlichen Standesvertretungen wie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), der Berufsverband der Frauenärzte (BVF) und die Bundesärztekammer (BÄK) sprachen sich vehement gegen die Aufhebung der Rezeptpflicht aus. Diese Kritik ist auch ein Jahr nach der Freigabe nicht verstummt. Der Verdacht, dass es sich um ein fachlich verbrämtes Klagelied über Umsatzeinbußen handelt, liegt jedoch nahe. Die Vizepräsidentin der DGGG, Birgit Seelbach-Göbel, kritisierte, Apotheker gäben unnötigerweise die Pille danach ab, da sie den Zyklus­stand nicht abfragten. Der Präsident des BVF, Christian Albring, spottete über angebliche Zyklus-Rechenspielchen in der Apotheke. Die Deutsche Apotheker Zeitung fragte zu Recht: »Ja, was denn jetzt?«.
In einer kleinen qualitativen Befragung von Apothekern kommt der Beratungsverband »Pro Familia« zu dem Schluss: »Ein zeitnaher und barrierearmer Zugang zu evidenzbasierter Beratung und zur Anwendung der rezeptfreien Postkoitalmethode scheint noch nicht überall gewährleistet zu sein.« Auch weiß einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zufolge weniger als die Hälfte der befragten Frauen und Mädchen, dass die Pille danach mittlerweile rezeptfrei ist. Auch die Bloggerinnen des Anti-»Lebensschützer«-Blogs no218nofundis.wordpress.com glauben, dass das Wissen darüber, einfach in die nächste – oder übernächste – Apotheke gehen zu können, noch nicht ausreichend verbreitet ist. Ein Eintrag über die Möglichkeit, die Wirkung der Pille danach auch durch die Einnahme mehrerer regulärer Antibabypillen auszulösen, hat seit langem mit großem Abstand die meisten Klicks. Dies habe sich auch nicht mit dem Ende der Rezeptpflicht für die Pille danach geändert.
Den Aktivisten gegen den »Marsch für das Leben« ist die Undine-Apotheke schon lange ein Begriff. Nahezu jedes Jahr bekommt sie zum 8. März, und wenn im September der Marsch ansteht, Besuch. Mal finden die Anwohner Aufklärung über den »religiösen Fanatismus« des Apothekers in ihren Briefkästen, mal ist das Schaufenster mit der Aufforderung »Fundis blockieren« besprüht. Immer wieder finden sich Aufkleber mit der Aufschrift »Gegen Bevormundung! Diese Apotheke verkauft nicht die Pille danach«. Die Sexarbeiterin hätte gewarnt sein können.