Biolandwirtschaft in Kuba

Bio ohne Gummistiefel

In Kuba boomt die Biolandwirtschaft. Anders als viele große staatliche Farmen schaffen es viele Biohöfe, rentabel zu wirtschaften, etwa die Finca »El Retiro« in Cárdenas und der Stadtgarten von Alamar. Doch die nötige Ausrüstung ist oft schwer zu bekommen.

Edinel Ojeda steht im Schatten eines Obstbaums und beschneidet die Zweige. Cherimoyas, Tamarillos (Baumtomaten), Guaven, Mangos und Birnen wachsen im Obstgarten der Biofarm »El Retiro«. Auf Deutsch heißt das »Ruhestand«, doch auf der 33 Hektar großen Farm wird hart gearbeitet. Obst gibt es das ganze Jahr, je nach Jahreszeit, im weiter unten liegenden Gemüsegarten werden auf rund zehn Hektar Kopfsalat, Rote Beete, Erbsen, Bohnen, Zucchini und Zwiebeln angebaut. »Hier gibt es fast alles, was der Mensch zum Leben braucht. Schweine, Hühner und Gänse halten wir weiter oben«, erklärt Ojeda. Der 25jährige Arbeiter ist erst seit ein paar Monaten dabei. Die Arbeit in der Landwirtschaft ist alles andere als populär in der Region von Cárdenas. Die Hafenstadt liegt nur ein Dutzend Kilometer von Kubas Tourismushochburg Varadero entfernt. Wo einst vor allem Zuckerrohr angebaut und Rinder gehalten wurden, wächst jetzt überall Marabú, ein stacheliges Gestrüpp.
Die Marabúbüsche dominieren auch die Felder in direkter Nähe der Biofarm El Retiro. »Früher gab es gegenüber eine Kooperative, auf der ich mal gearbeitet habe. Jetzt liegt alles brach und wir müssen aufpassen, dass der Marabú nicht übersiedelt«, sagt Juan Carlos Ortega. Der 48jährige ist Agrartechniker und seit sechs Monaten erneut Verwalter der Biofinca. Er ist ein Rückkehrer, denn in den vergangenen vier Jahren ist er seiner zweiten Leidenschaft, dem Kochen, nachgegangen – in Varadero. »Das ist eine ruhige Arbeit im Vergleich zum Ackern in praller Sonne. Das ist nicht jedermanns Sache«, sagt der kräftige Mann und gibt Ojeda ein paar Anweisungen. 14 Menschen arbeiten derzeit auf der Biofarm, die rund vier Kilometer vom Stadtzentrum von Cárdenas entfernt liegt. Die meisten sind mit den Gemüse­beeten beschäftigt, die etwas weiter unten liegen und denen sich Ortega nun nähert. »Salat, Bohnen, Kohl, Zucchini und vieles mehr produzieren wir und beliefern Altenheime, Kindergärten, das Krankenhaus und das christliche Zentrum für Dialog und Reflexion«, erklärt der Verantwortliche der Biofarm. Die gibt es seit Ende der neunziger Jahre. Der Hof wurde gegründet, um Lebensmittel für das christliche Zentrum (CCRD) und seine sozialen Projekte zu produzieren. Das klappte so gut, dass er als Modellbetrieb in der Provinz Matanzas ausgezeichnet wurde. »Echte Vorteile bringt uns das aber nicht, denn heute verkaufen wir unsere Tomaten für drei Peso nacional an soziale Einrichtungen, während auf den Bauernmärkten ohne Preisbindung derzeit 25 Peso für das Pfund bezahlt werden«, so Ortega. Es sind Widerstände, mit denen viele Betriebe in der kubanischen Landwirtschaft zu kämpfen haben, denn zwei verschiedene Währungen und zwei verschiedene Ankaufmodelle für landwirtschaftliche Produkte machen Agrarbetrieben das Wirtschaften schwer.
Kalkulieren, Investieren, Honorieren
So darf der kirchliche Biohof trotz zahlreicher Anträge weder auf dem lokalen Bauernmarkt verkaufen noch Restaurants in Cárdenas oder Hotels in Varadero beliefern, kritisiert Rita Morris, die Direktorin des christlichen Zentrums. Sie arbeitete früher selbst auf der Biofarm und hat versucht, den Betrieb besser zu strukturieren. »Das ist in Kuba alles andere als einfach, denn Arbeitskleidung, Geräte, Saatgut und Maschinen zu bekommen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.« Schon eine Machete, Handschuhe und Gummistiefel sind in Cárdenas nur selten zu ergattern und den Traum vom modernen Traktor hat Rita Morris längst aufge­geben, obwohl durch Spenden und Projektfinanzierung aus dem Ausland Geld durchaus da wäre. »Mit einem Ochsengespann pflügen wir auf der Finca El Retiro und die Ochsen sind es auch, mit denen wir die Marabú-Wurzeln entfernen«, erklärt Verwalter Ortega. Er hat zwar auch noch einen alten russischen Traktor aus den achtziger Jahren auf dem Gelände stehen, aber er weiß nicht, woher er die nötigen Ersatzteile bekommen soll. Das geht vielen in Kuba so. Ortega sucht einen findigen Mechaniker zu finden, der das Ungetüm wieder flott machen könnte. Bis dahin sind die Ochsen am Zug, mit denen Ortega auch gern ein paar angrenzende Hektar wieder urbar machen würde. Doch das ist ausgeschlossen. »Obwohl wir der wichtigste Lieferant von Gemüse für soziale Einrichtungen sind, wurden alle Anträge von uns, mehr Anbaufläche zu bewirtschaften, abgewiesen«, sagt die CCRD-Direktorin Rita Morris. Auch der Verkaufsstand am Weg zur Finca wurde nicht genehmigt. Das ist ein Grund dafür, dass der Anbau von Tomaten, Kopfsalat und anderen Produkten schon länger stagniert. »Wir könnten mehr produzieren, aber wissen kaum, wohin mit den Produkten, da wir nicht frei verkaufen dürfen«, schildert Ortega das Problem.
Dabei muss Kuba rund 80 Prozent der im Land konsumierten Lebensmittel importieren – aus den USA, Brasilien, Argentinien oder Vietnam. Das kostet das Land über zwei Milliarden US-Dollar im Jahr. Präsident Raúl Castro hat mehrfach gefordert, dass die Landwirtschaft produktiver werden müsse, um die marode Wirtschaft wieder aufzubauen. Doch alle Reformen der vergangenen Jahre blieben weitgehend ergebnislos, zuletzt die »Ley 300« über die Nutzung des Bodens für Privatzwecke. Der kubanische Agrarspezialist Armando Nova meint, das Gesetz sei zu bürokratisch angelegt gewesen, habe den Bauern, die die Zuteilung von brachliegendem Land beim Staat beantragten, wenig Gestaltungsspielraum gelassen. So werde ihnen das Land nur für zehn Jahre überantwortet. »Kontraproduktiv ist auch, dass es keine Großmärkte für Agrarbedarf wie Werkzeug, Arbeitsgerät, Düngemittel und Saatgut gibt«, so Nova. Das ist landesweit ein Problem und in Cárdenas sind Handschuhe, Gummistiefel oder selbst Macheten nur für Peso convertible (CUC), die an den US-Dollarkurs gekoppelte Zweitwährung, zu haben, nicht aber in der Landeswährung, dem Peso nacional, mit dem alle Staatsangestellten bezahlt werden. Großmärkte wollte die Regierung zwar schon vor fünf, sechs Jahren einführen, aber bisher ist damit nur experimentiert worden. So stieg auf der gesondert verwalteten Nebeninsel »Insel der Jugend« der Ertrag der Bauern nach der Einführung von Großmärkten für Landwirtschaftsbedarf um durchschnittlich 150 Prozent. Doch bis heute weiß niemand, ob die Großmärkte landesweit eingeführt werden sollen.
Juan Carlos Ortega quittiert derartige Debatten mit einem Schulterzucken. Er ist es gewohnt, die Augen aufzuhalten, um mitzubekommen, wo es Saatgut, Arbeitsgerät oder Nachschub für die Bewässerungsanlage gibt. »Die Bewässerung ist für uns ein Problem, denn nach zehn und mehr Jahren im Einsatz gehen Sprinkler, Düsen und Verbindungsstücke kaputt und wir müssen flicken und improvisieren.«
Produktiv trotz aller Hürden
Einfach mal bestellen geht in Kuba nicht, denn fast alles wird zentral gesteuert und importiert oder ist eben nicht verfügbar. Offenbar stehen Bewässerungsanlagen bei den staatlichen Einkäufern nicht ganz oben auf der Liste, bemerkt Miguel Salcines, der Präsident des »Organopónico Vivero Alamar«. Der Stadtgarten liegt auf der anderen Seite der Bucht von Havanna, wo die Neubauviertel der Revolution hochgezogen wurden. In so einem pastellfarbenen Wohnquader lebt auch der 66jährige Gründer des Stadtgartens von Alamar. Salcines hat seinen Schreibtisch im Agrarministe­rium gegen gut zehn Hektar Ackerfläche zwischen den Wohntürmen am Parque Hanoi in Alamar eingetauscht. »Ich wollte wissen, ob ich die Theorie in die Praxis überführen kann«, erinnert sich der hochgewachsene, graumelierte Agrartechniker. Er ist Präsident der Agrargenossenschaft, der rund 160 Genossen angehören, die Gemüse, Salat und sonstige landwirtschaftliche Produkte produzieren. Mit vier Mitstreitern gründete er 1996 den Stadtgarten und das Quintett hatte Glück, denn die deutsche Welthungerhilfe fand die Idee förderungswürdig und sorgte für die nötige Ausrüstung.
»Damals waren Hacken und Spaten genauso rar wie Handschuhe, Sprinkleranlagen und Gewächshäuser. Die wurden importiert«, erklärt Salcines und deutet auf die feinen schwarzen Gazenetze, die über einem Teil der Anbauflächen gespannt sind. »Sie filtern rund 70 Prozent der Sonneneinstrahlung und ermöglichen es uns, selbst im Juli und August Kopfsalat, Auberginen, Gurken und vieles mehr zu ziehen«, sagt Salcines. Doch die feinen, widerstandsfähigen Netze kommen wie fast alles, was im Agrarsektor der Insel benötigt wird, aus dem Ausland und sind in Kuba nur selten zu bekommen. Ein Geschäft, das hin und wieder Bewässerungstechnik anbietet, gibt es beispielsweise auf dem Weg zum internationalen Flughafen von Havanna. Doch auch dort wurde Salcines in letzter Zeit kaum mehr fündig. Ähnlich wie der Kollege Ortega in Cárdenas benötigt der Stadtgarten in Alamar Nachschub für die Tröpfchenberieselung. »In einigen Bereichen arbeiten wir derzeit mit Sprinklern, doch Tröpfchenberieselung ist viel effektiver und spart Wasser«, berichtet Salcines. Er will in den kommenden Jahren die Produktivität des Stadtgartens erhöhen. Mehr Arbeitsplätze und bessere Versorgung für die Anwohner hätte das zur Folge, aber der Agronom will auch an Restaurants und Hotels verkaufen. »Die suchen gute Qualität aus ökologischen Anbau, das können wir bieten und die Preise sind besser«, erklärt er. Für drei Peso nacional verkaufen die Genossen am Verkaufstresen einen Kopf Salat oder einen Bund Spinat. Ein Pfund Süßkartoffeln kostet nur zwei Peso nacional, Tomaten kosten pro Pfund sieben Peso: die Produkte der Genossen vom Vivero Alamar sind deutlich günstiger als die vieler Bauernmärkte.
Trotz relativ günstiger Preise erwirtschaftet der Stadtgarten von Alamar großen Gewinn und ist in der Lage zu investieren. »Vom Gewinn geht die Hälfte an die Genossen und die andere aufs Konto, um Rücklagen für Investitionen und schlechte Zeiten zu haben«, erklärt Salcines das erfolgreiche Modell. Am Verwaltungsgebäude hängt neben der Stechuhr auch die Tafel mit der Prämie für die vergangenen 14 Tage. Die liegt bei 65 Peso nacional. Nicht allzu viel, doch sie wird mit den Jahren der Zugehörigkeit zum Vivero Alamar multipliziert. Wer zwei Jahre dabei ist, erhält 130, wer vier Jahre dabei ist, 260 Peso und die alten Hasen wie Noel Peña, Spezialist für Bewässerung, können mit 500 Peso als Prämie für die vergangenen 14 Tage rechnen. Insgesamt verdient Peña im Monat rund 1 500 Peso nacional (56 Euro). Das ist in Kuba ein Lohn, von dem man relativ gut leben kann.
Die Genossenschaft ist daher auch für junge Menschen attraktiv. »Ich habe mal Veterinärmedizin studiert, aber abgebrochen, und da es in Alamar kaum Jobs gibt, bin ich froh, hier gelandet zu sein«, erzählt der 21jährige Pedro, der nun hier zur guataca, zur Hacke, greift. Die Arbeit in der Landwirtschaft ist in Kuba bei der Jugend in der Regel verpönt, weil sie hart, schmutzig und oft schlecht bezahlt ist, sagt Salcines. Er schätzt, dass rund ein Drittel der Genossen unter 30 und ein weiteres Drittel über 60 Jahre alt ist. Viele Rentner in Kuba müssen sich etwas dazuverdienen, weil ihre Rente von 200 bis 300 Peso nacional nicht ausreicht. So ist die Arbeit im Vivero Alamar eine Alternative. Auch für den 76jährigen Ramón Portal, er ist einer der Ältesten und für die Arzneipflanzen zuständig. Portal ist ähnlich wie Salcines der Meinung, dass attraktive Löhne und gute Arbeitsbedingungen sowie die kontinuierliche Versorgung der Betriebe der Schlüssel sind, um die kubanische Landwirtschaft wieder auf die Beine zu bringen.
Dass es im Kleinen funktioniert, haben Betriebe wie El Retiro in Cárdenas oder der Vivero Alamar gezeigt. Für die Zukunft stellt sich jedoch die Frage, ob sich deren Beispiel auf die großen staatlichen Farmen übertragen lässt. Eine Frage, mit der sich auch die Ikone der kubanischen Revolution, Fidel Castro, beschäftigt. Der 89jährige hat vor ein paar Wochen eine erfolgreiche Biofinca auf dem Weg nach Pinar del Río besucht. Diese erwirtschaftet schwarze Zahlen und beliefert nicht nur das staatliche Fünf-Sterne-Hotel »El Nacional« mit Bioprodukten, sondern auch zahlreiche Privatrestaurants in Havanna. Das sorgt für Umsatz und garantiert attraktive Löhne. Ein Modell, das allerdings auch zahlreiche Gegner hat, wie der Parteitag der kommunistischen Partei gezeigt hat. Da konnte man sich nicht zu neuen Initiativen für die Landwirtschaft durchringen.

Der kubanische Staat erteilt landwirtschaftlichen Produzenten feste Produktionsquoten. Die Betriebe müssen diese zunächst erfüllen und ihre Produkte – bei einigen Grundnahrungsmitteln zu festgelegten Preisen – an den Staat verkaufen. Sind die Produktionsquoten erfüllt, dürfen die Überschüsse seit der letzten Agrarreform, die am 1. Januar 2014 in Kraft trat, frei verkauft werden. Das betrifft Kleinbauern, Genossenschaften sowie staatliche Agrarbetriebe.