»Waffengleichheit nicht gegeben«

Die Initiative »Volksentscheid Fahrrad« möchte das Radfahren in Berlin angenehmer machen. Dem Berliner Senat scheint das nicht recht zu sein. Per Ausschreibung sucht er PR-Firmen, die für seine Radverkehrspolitik werben. Heinrich Strößenreuther vom »Volksentscheid Fahrrad« hat mit der Jungle World gesprochen.

Wäre Ihre Initiative bereit, Unterschriften zu sammeln?
Ja. Wir haben etwa 1 300 Sammler, die sich angemeldet haben und darauf warten, die Unterschriftenlisten zu bekommen.
Es liegt also nur noch an der Senatsinnenverwaltung, die Kosten zu schätzen und die Listen freizugeben.
Der Senat hat auf eine Anfrage der Grünen schon sämtliche Kostenpositionen veröffentlicht. Eigentlich geht es nur noch um eine Excel-Arbeit, die innerhalb einiger Stunden zu schaffen wäre. Wir haben das in zwei Tagen erledigt.
Der Senat will ausgerechnet jetzt ebenfalls eine Kampagne zu seiner Radverkehrsstrategie beginnen. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Es geht dem Senat darum, seine wenigen Aktivitäten für den Radverkehr besser zu verkaufen. Das soll geschehen, während der »Volksentscheid Fahrrad« und der Wahlkampf laufen. Das hat ein Gschmäckle. Der zweite Teil der Ausschreibung des Senats besteht aus einer größeren PR-Maßnahme, die ab 2017 laufen soll, wenn wir die 170 000 Unterschriften für das Volksbegehren sammeln und dann jeden zweiten Berliner für den Volksentscheid gewinnen müssen. Der Senat leistet sich also eine PR-Agentur, um Wahlkampf zu machen und dabei gegen einen Volksentscheid vorzugehen. So ist die Waffengleichheit nicht mehr gegeben.
Wie sieht die Radverkehrspolitik des Senats im Vergleich zu anderen Städten aus?
Der Senat gibt pro Einwohner und Jahr für die Radverkehrsinfrastruktur 3,80 Euro aus. Das Bundesverkehrsministerium empfiehlt zehn Euro. Partnerstädte wie Paris und London liegen bei 15 bis 17 Euro. Kopenhagen gibt 21 Euro pro Einwohner und Jahr aus. 3,80 Euro, der Preis von einem Weizenbier – das ist bei weitem nicht genug.
Berliner Radfahrer merken das, wenn sie über die berüchtigten Wurzelschäden fahren. Wie will Ihre Initiative solche Missstände beseitigen?
Die Wurzeln sind ein gutes Beispiel. Der Senat soll eine Meldestelle für solche Radwegsschäden einrichten. Zudem können sich die Radfahrer auf zwei Meter breite Fahrradwege an Hauptverkehrsstraßen und 350 Kilometer Fahrradstraßen freuen, auf denen sie Vorrang haben. Pro Jahr sollen 75 Kreuzungen sicher gemacht werden. Das ist der größte Unfallschwerpunkt. Insbesondere Berufskraftfahrern mit Sattelschleppern und Bussen muss ihre Verantwortung für gefährdete Verkehrsteilnehmer klargemacht werden. Von den sieben Radverkehrstoten, die es in diesem Jahr bereits in Berlin gab, wurden vier von LKW getötet.
Lassen sich die Bedingungen für Radfahrer verbessern, ohne den Autoverkehr, den öffentlichen Nahverkehr und die Fußgänger in die Überlegungen einzubeziehen?
Bisher kam der Radverkehr in solchen Gesamtüberlegungen immer zu kurz. Deshalb muss nun etwas für die Radfahrer passieren. Der Radverkehr hat einen Anteil an allen Berliner Verkehrsflächen von ungefähr drei Prozent. Der PKW-Verkehr hat einen 20-mal höheren Anteil. Was wir fordern, ist angemessen.