Beyoncés neues Album

Queen Bey erhebt powackelnd die Faust

Kapitalistische Feministin oder #BlackLivesMatter-Vorkämpferin? An Beyoncé und ihrem Album »Lemonade« scheiden sich die Geister.

Eins vorweg: Es soll in diesem Text nicht darum gehen, ob und wen Jay Z fremdgevögelt hat. Auch wenn angeblich sein Ehebruch der Impuls für Gattin Beyoncé war, das Album »Lemonade« zu produzieren. Als künstlerischen Racheakt sozusagen – ein höchst lukrativer, erscheint das Werk doch pikanterweise auf Jay Zs Streamingdienst Tidal. So weit, so abgekartet. Schließlich ist es eine Binsenweisheit, dass selbst der momentan größte weibliche Popstar der Welt im Dauerrauschen der Facebook- und Twitter-Feeds so sehr um Aufmerksamkeit zu kämpfen hat, dass jede neue Veröffentlichung zwingend mit einer persönlichen Story lanciert werden muss.
Zweifellos ist Beyoncé Giselle Knowles-Carter, so ihr bürgerlicher Name, ein Coup mit diesem visuellen Album gelungen – jeden Song begleitet ein aufwendig produzierter Film. Auch zwei Wochen nach der Veröffentlichung quellen die sozialen Medien und Blogs vor Huldigungen und Schmähungen über: Mission erfüllt. Keine Popsängerin ist derzeit erfolgreicher als die 34jährige US-Amerikanerin. Sie hat über 120 Millionen Soloalben verkauft und war so häufig wie keine andere für den Grammy nominiert.
Eingeleitet wurden die Beyoncé-Festspiele in diesem Jahr mit ihrer Super-Bowl-Performance im Februar. Aggressiv und mit erhobenen Fäusten führte sie einen Trupp Tänzerinnen in Hotpants-Uniformen im Stil der Black Panthers an – der goldene Patronengürtel über ihrer Brust als modisches Accessoire. Im Clip zu »Formation« kauerte sie auf einem Polizeiauto im überfluteten New Orleans und intonierte »I like my negro nose with Jackson Five nostrils«. Ein Graffito darin mahnte: »Hört auf, uns zu erschießen« – Beyoncés Solidarisierung sich mit der #BlackLivesMatter-Bewegung, die Polizeigewalt gegen schwarze Amerikaner anprangert. Dieser Slogan löste wiederum Protest bei der Polizei aus, so dass sich die Sängerin danach genötigt sah, in einem Interview mit der Frauenzeitschrift Elle ihre Bewunderung für sämtliche Gesetzeshüter kundzutun.
Doch wie glaubwürdig sind Beyoncés politische Intentionen? Und was erreicht sie für die aforamerikanische Bewegung? Ist Beyoncé überhaupt eine politische und feministische Künstlerin oder ist es ein Image, das sie überstreift wie eines ihrer ständig wechselnden, mehr Haut als Stoff zeigenden Kostüme? Welche künstlerischen Risiken geht sie ein? Wie ernst ist es zu nehmen, wenn sie race, Identität und Schwarzsein thematisiert?
Unterstützung bekommt Beyoncé aus dem akademischen Betrieb. Die schwarze Yale-Professorin Daphne A. Brooks nennt sie liebevoll »Our Lady Bey« und lobte bereits ihr 2006 erschienenes Album »B-Day«, weil es die spektakuläre Entrechtung schwarzer Frauen in den Südstaaten nach der Hurrikan-Katrina-Katastrophe thematisierte habe. Brooks sieht sie als Protagonistin eines neuen goldenen Zeitalters des Protestsongs. #BlackLivesMatter stehe für eine »musikalische Revolution«, schrieb sie dazu im Guardian. Für Brooks handelt es sich dabei um eine der wichtigsten schwarzen Grassroots-Bewegungen seit zwei Jahrzehnten: »Beyoncé, ebenso wie D’Angelo und Lamar, ermutigen uns, uns zu versammeln, unsere Hände in die Luft zu heben – in Ekstase, beständigem Glauben und im Widerstand.«
Ihre Gegner kritisieren dagegen den kapitalistischen Feminismus. Etliche schwarze Feministinnnen und Blogger outen sich im Internet als »Anti-Bey«, diese »Kapitalistin, die wir liebevoll Bey nennen«, wie die Journalistin Dianca Potts im Online-Magazin Death and Taxes Mag schreibt. »Formation« sei in erster Linie Werbung für Beyoncés Marke: Sie entwickle einen Aktivismus als sich selbsterhaltende Cash Cow mit begrenztem Potential. Potts betont: »Wir als schwarze Amerikaner sollten uns selbst den Raum geben, diese Botschaften in Frage zu stellen, selbst wenn sie maßgeschneidert für uns sind.« Der Blogger Matt Walsh schlägt in eine ähnliche Kerbe und schreibt auf The Blaze, dass Mädchen, die Beyoncé hören, nicht Selbstvertrauen gewönnen, sondern einen Altar anbeteten und die Sängerin keine Kunst, sondern Werbung mache.
Die afroamerikanische Literaturwissenschaftlerin Bell Hooks lobt auf ihrem Blog, dass »Lemonade« eine machtvolle schwarze Schwesternschaft etabliere, die sich weigere, den Mund zu halten und dankenswerterweise den weiblichen schwarze Körper ins Zentrum stelle. Hooks kritisiert dann aber, dass das Album in einem konventionellen, stereotypen Rahmen verharre, in dem die schwarze Frau immer das Opfer bleibe. Allein die Zurschaustellung schwarzer schöner Körper schaffe keine Kultur, in der schwarze Frauen respektiert würden.
»Lemonade« ist in der Tat fürchterlich durchkalkuliert und musikalisch durchwachsen. Natürlich gibt es starke Momente, etwa das kokett gedroppte Malcom-X-Zitat: »The most disrespected woman in America is the black woman.« Allerdings ist das auch mehr Entertainment als Reflexion. Das Album beginnt und endet stark mit einer Handvoll toller Songs wie »Hold Up«, einer berührenden Liebeserklärung an Jay Z (»They don’t love you like I love you. Can’t you see there’s no other man above you?«), den großartigen Tracks »All Night« und »Formation« sowie zwei gelungenen Kollaborationen: »Don’t Hurt Yourself« mit Jack White und »Freedom« mit Kendrick Lamar. Es gibt aber auch eine Handvoll Schmachtsongs à la Mariah Carey wie »Daddy Lessons« (die Zeile »Daddy made a soldier out of me« verrät viel über den Drill und Ehrgeiz, den die Künstlerin von klein auf verinnerlicht hat) oder das schwülstige »Sandcastles«.
Visuell ist das alles zahm, da geht Beyoncé kein Wagnis ein. Wir sehen viel Pogewackel und Twerking, herzige MTV-taugliche Familienbilder im Homevideo-Stil, etwa Jay Zs Großmutter Hattie an ihrem 90. Geburtstag, die in einer Rede innere Stärke beschwört. Beyoncés Ästhetik folgt einer simplen Logik: Für Frauen gibt es nach einem Betrug nur eine Strategie, die Betrogene muss sich ihrer physischen Schönheit vergewissern: »Look what you’ve missed!« Die Rückeroberung des Mannes findet ausschließlich über Sex statt. Im »Hold Up«-Video inszeniert sich die Sängerin passend dazu im gelben Haute-Couture-Kleid als Rachegöttin, die mit einem Baseballschläger einen Sportwagen zertrümmert. All das ist eine endlose Feier der zweifellos makellosen Schönheit von Beyoncé, garniert mit einigen alibimäßig eingesetzten Next-Door-Frauen. Sie sind rührend, aber wirken mehr wie Staffage denn wie ebenbürtige Protagonistinnen. Etwa wie die Mütter getöteter Männer wie Trayvon Martin, Eric Garner und Michael Brown, alle schwarz, alle von Polizisten erschossen, die Porträts ihrer Söhne in die Kamera halten.
Wer »Lemonade« als revolutionär preist, geht vielleicht doch einer perfekt inszenierten Kampagne auf den Leim. Parallel zum Album hat Beyoncé eine geschmacklose Work-out-Garderobe mit einem typographisch lieblos hingerotzten Slogan »Ivy Park« (eine Referenz an ihre Tochter und ihren Herkunftsort) gelauncht. Twitterfreundlich #Mypark gehashtagt, bringt sie der Online-Händler Zalando mit dem gruseligen Claim »Mach dein Ding« unters Volk. Als könne man sich für ein 29,95 Euro teures lachsfarbenes bauchfreies Top das Lebensgefühl von Beyoncé kaufen. Und das ist in der Tat eine ziemlich deprimierende Botschaft.
Beyoncé: Lemonade (Columbia)